Jimmy Kimmel konnte nur verlieren. Das sei das erste Mal, dass er die Oscar-Verleihung moderieren dürfe, sagte der 49-Jährige zu Beginn der Show, und vermutlich werde es auch das letzte Mal sein - "bei dem Tempo, in dem ihr Oscar-Moderatoren verschleißt". Nach einem knapp vierstündigen Vergabemarathon wandte sich der Mann, der hauptberuflich eine der erfolgreichsten Late-Night-Shows im amerikanischen Fernsehen bestreitet, nochmals ans Publikum: "Ich gebe mir die Schuld. Ich wusste, dass ich diese Show vermassle. Ich verspreche euch, ich werde nie zurückkommen!" Seine Zuhörer schwankten zu diesem Zeitpunkt zwischen Belustigung und Fassungslosigkeit.
Kimmels Schlusssatz war ein ehrenwerter Versuch, die vielleicht größte Panne in der Oscar-Geschichte auf die eigene Kappe zu nehmen. Minuten vorher hatten die Hollywood-Größen Faye Dunaway und Warren Beatty fälschlicherweise "La La Land" zum besten Film des vergangenen Jahres erklärt - tatsächlich hatte die Oscar-Jury aber für "Moonlight" gestimmt. Wie es zu diesem Missverständnis kommen konnte? Dunaway und Beatty hatten den falschen Umschlag ausgehändigt bekommen.
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Und dann gewinnt doch "Moonlight" als bester Film. Bis zu diesem letzten Moment waren die Oscar-Auszeichnungen jedoch ziemlich erwartbar.
Der Job, der an diesem Abend Verlierer statt Gewinner produzierte, war also in Wahrheit der des Laudators. Jordan Horowitz, einer der Produzenten von "La La Land", musste seine Dankesrede abbrechen und die Konkurrenten auf die Bühne bitten - das tat er mit einer Größe, für die er mindestens einen Goldjungen verdient hätte. Manchmal stimmt das von Hollywood oft bemühte Klischee tatsächlich: Helden schreibt das wahre Leben.
In einem schwarzen Macho-Gangster-Milieu gibt es für einen homosexuellen Jungen Prügel
Apropos: Wenn die Academy im Nachklapp Entschuldigungen aussprechen sollte (und das sollte sie!), müssen die auch an die Adresse der "Moonlight"-Crew gehen. Obwohl das überwiegend afroamerikanische Team um seinen großen Moment gebracht worden war - was vor dem Hintergrund der #OscarsSoWhite-Debatte im vergangenen Jahr umso trauriger ist -, verzichteten die Preisträger auf bittere Abrechnungen. In Erinnerung bleiben wird dagegen der Blick von Ashton Sanders an die Decke des Dolby Theaters. Sein Gesichtsausdruck deutete darauf hin, dass dort oben keine Scheinwerfer zu finden waren, sondern das pure Glück.
Der 21-Jährige ist einer der Hauptdarsteller des Films über einen afroamerikanischen Jungen, der feststellen muss, dass es für Homosexualität keinen Platz gibt in der Welt, in der er aufwächst. In einem schwarzen Macho-Gangster-Milieu bekommt er, der seinen besten Freund liebt, vor allem eines: Prügel. Für Chiron, den Titelhelden von "Moonlight", gibt es am Ende keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ganz anders im wahren Leben: Dort nehmen die Mitwirkenden gleich zwei Dinge mit nach Hause - einen Oscar und die Gewissheit, dass sich etwas ändern kann. Auch wenn es manchmal einen zweiten Anlauf dafür braucht.
Den wird es für Jimmy Kimmel nach eigener Aussage nun nicht geben. Und wer will es dem 49-Jährigen verdenken, dass er genug hat von den Oscars? Seine Moderation war schon vor dem Verleihungs-Fauxpas zum Scheitern verurteilt.
Kimmels Job: eine politisch-kritisch-humorige Wollmilchsau-Performance
Der Late-Night-Moderator musste nicht durch irgendeine Oscar-Verleihung führen: Die 89. Ausgabe sollte die politischste seit Langem werden. Bei den Golden Globes einige Wochen zuvor hatte Meryl Streep immerhin einen beleidigenden Tweet vom US-Präsidenten höchstpersönlich provoziert. Und die Globes sind nur die zweitwichtigste Filmpreisverleihung der Welt! So was setzt unter Druck, die Preisträger und natürlich den Moderator. Von dem wurde vor diesem Abend nicht weniger erwartet, als eine politisch-kritisch-humorige Wollmilchsau-Performance hinzulegen. Wenn der Trump'sche Zorn in der Folge ganz neue Social-Media-Dimensionen annehmen würde - umso besser.
Wie gesagt, Kimmel konnte nur verlieren. Wobei man am Ende gerechterweise sagen muss: dass ein kurzer Video-Rückblick auf die zuvor verliehenen Technik- und Wissenschafts-Oscars unterhaltsamer war als große Teile der Show, lag nicht nur an Kimmel. Ihm ist aber die Sache mit dem misslungenen Bustouristen-Sketch anzulasten.
Da wurden also echte und ahnungslose Menschen, die in Los Angeles nur ein bisschen Promis gucken wollten, ins Dolby Theatre geführt, in dem - Überraschung! - just an diesem Abend die Oscar-Verleihung stattfand. Folgende Worte bitte mit Anführungszeichen und einem zwinkernden Grinsegesicht versehen: echt, ahnungslos, Überraschung.
Im vergangenen Jahr waren wenigstens nur die Oscars rassistisch
Ansonsten war Kimmel politisch - in homöopathischen Dosen. Einmal gleich zu Beginn, als er die Erwartung einfach zurückspielte, dass er als Oscar-Moderator ein auseinanderdriftendes Land vereinigen soll. "Wenn jeder versuchen würde, mit jemandem zu reden, mit dem er inhaltliche Differenzen hat - nicht als Republikaner oder Demokrat, sondern als Amerikaner - könnte der Satz 'Make America Great Again' wahr werden", sagte Kimmel. Später wurde es minimal konfrontativer. In Anspielung auf Trump, aber ohne dessen Namen zu nennen, fragte der Gastgeber: "Erinnert ihr euch an vergangenes Jahr, als es schien, als seien die Oscars rassistisch?"
Gleichzeitig ließ Kimmel den kritisch-politisch-humorigen Wollmilchsau-Part einfach aussehen - das können die wenigsten Menschen von sich behaupten, die jemals das höchste Unterhaltungs-Amt in Hollywood innehatten. Ob Kimmel nun Süßigkeiten an Mini-Fallschirmen vom Saalhimmel abwerfen ließ oder wahlweise die Wut-Bürger Gibson ("You look great, Mel - Scientology is working") oder Trump (#merylsayshi) reizte: Er wirkte souverän dabei. Und es ist ja auch nicht so, dass allein der Moderator über das Gelingen einer Show bestimmt. Von Ausnahmen abgesehen, fielen auch die Dankesreden unpolitischer aus als erwartet. Das deutlichste Statement setzte der Regisseur des iranischen Films "The Salesman", der als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet wurde: Asghar Farhadi blieb der Verleihung wie angekündigt aus Solidarität mit dem von Trumps Einreisestopp betroffenen Ländern fern.
Taten sind allemal mehr wert als Worte
Der Rest war Mama-Papa-Manager-Danksagungs-Blabla. Casey Affleck, der den Oscar als bester Schauspieler für seine Rolle in "Manchester by the Sea" gewann, sagte beispielsweise: "Ich wünschte, ich hätte etwas Größeres oder Bedeutsameres zu sagen." So musste Meryl Streep - die zur Abwechslung mal keinen Oscar gewann (die Kategorie "Beste Schauspielerin" ging an "La La Land"-Hauptdarstellerin Emma Stone) - als politische Referenz herhalten. Zu den erwähnten Bustouristen sagte Kimmel: "Da sitzt Meryl Streep. Total überbewertet." Diese Einschätzung stammte natürlich nicht von Kimmel, sondern war aus einem Tweet des US-Präsidenten geklaut.
Trotzdem: Die Oscars 2017 waren es wert, geschaut zu werden. Noch nie zuvor wurden so viele afroamerikanische Künstler ausgezeichnet. Gleich den ersten Oscar des Abends bekam Mahershala Ali als bester Nebendarsteller im Film "Moonlight". Er der erste Schauspieler muslimischen Glaubens überhaupt, der einen Oscar gewinnt. Kurz darauf durfte sich in der gleichen Kategorie Viola Davis freuen, sie gewann für ihre Rolle im Film "Fences". Was uns das sagt? Taten sind allemal mehr wert als Worte. Und: Es gibt immer Hoffnung.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, dass Faye Dunaway und Warren Beatty den falschen Filmtitel vorgelesen hätten. Tatsächlich wurde den beiden aber ein falscher Umschlag ausgehändigt. Wir haben den Fehler korrigiert.