Olivier Assayas über "Carlos":Terrorismus ist eine Form der Diplomatie

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Als Terrorist bleibt man undercover, doch "Carlos" wollte ein Star sein: Filmemacher Olivier Assayas spricht über Terror-Rockstars als Spielbälle der Weltwirtschaft.

Susan Vahabzadeh und Fritz Göttler

SZ: Prinzipiell gefragt - ist der Terrorismus denn nun etwas Mythisches?

In dem Film Carlos - Der Schakal spielt Schauspieler Edgar Ramirez den Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, der in den siebziger Jahren als "Carlos" zur Medienfigur wurde. Links Badih Abou Chakra als saudi-arabischer Ölminister Ahmed Zaki Yamani. (Foto: dapd)

Olivier Assayas : Terrorismus ist ein Faktum der modernen Weltpolitik, schon lange - aber Carlos ist ein Mythos. In dem Sinne, dass das Individuum Ilich Ramírez Sánchez eine Art Monster erschaffen hat, aus dem mit Hilfe der Medien Carlos wurde. Carlos ist ein Archetyp, ein Phantom, das Superhirn des Bösen. Dass Ilich Ramírez nicht diese Person ist, ist doch klar. Ich wollte natürlich schon die Maske herunterreißen, etwas darüber herausfinden, wer die Person dahinter ist. Die Geschichte von Carlos ist die Geschichte, das Schicksal dieser Person.

SZ: Ein Phantomfilm, so kommt einem "Carlos" manchmal vor, wie Ihre "Irma Vep" ... Vielleicht wollte Carlos ja wirklich so einer sein wie Fantômas.

Assayas: Ja, aber das konnte nicht funktionieren. Er will ein Terrorist sein und gleichzeitig ein Star. Er will Ruhm. Wenn er die Operation in Wien, die Geiselnahme im Opec-Hauptquartier, inszeniert, präsentiert er uns eine neue Maske. Da ist er auf einmal Che Guevara, er hat das Barett und den Bart und die Lederjacke. Er schlüpft in die Rolle eines anderen. Er hat ja auf dem Weg zum Flughafen aus dem Autofenster geschaut, wollte, dass man ihn fotografiert. Das steht, wenn du ein Terrorist bist, nicht in deiner Arbeitsplatzbeschreibung - da bleibt man eigentlich undercover.

SZ: Andreas Baader hatte ähnliche Anwandlungen.

Assayas: Ich verstehe nicht viel von deutschem Terrorismus, aber Baader und Ensslin waren ja Führungsfiguren. Carlos war das nicht, der war immer nur Soldat. Er hat keine Operation organisiert, er hat immer nur ausgeführt, was seine Vorgesetzten planten. Er wusste oft nicht einmal, was genau mit dem, was er tat, bezweckt wurde. Ich habe mit dem palästinensischen Terroristen Anis Al-Nakasch, genannt Khalid, gesprochen - in Beirut, er ist jetzt Berater fürs libanesische Fernsehen -, der in Wien die Nummer zwei war, und zu den wenigen interessanten Dingen, die er mir erzählte, gehörte, dass die Presse zwanzig Jahre brauchte, um rauszukriegen, dass er in Wien überhaupt dabei war. Das ist der Unterschied zwischen ihm und Carlos. Khalid hat dann im Libanon die Grundlagen für die Hisbollah mitgeschaffen. Er hat seinen politischen Idealen gedient. Aber sehen wir uns Carlos an: Der wurde eine Medienfigur und schaffte nichts.

SZ: Hat Carlos, nachdem das in Wien schiefgegangen war, sich neu orientiert?

Assayas: Carlos hatte, als er bei der Opec-Operation über politische Probleme stolperte, überhaupt nicht das Rüstzeug, sie zu lösen. Er hat nicht das richtige Flugzeug, um in den Irak zu fliegen, die Tunesier und die Libyer wollen ihn nicht, er sitzt in Algier fest. Er nimmt das Geld und wendet sich einer anderen Operation zu.

SZ: Sie sitzen fest, werden zum Spielball der Weltpolitik.

Assayas: Für mich ist das beim Terrorismus der zentrale Punkt. Terrorismus wird nie von Individuen ausgeübt, er ist immer Teil der Weltpolitik. Da ist immer ein Staat, der einem anderen eine Botschaft übermittelt. Ich sehe das zumindest so - es gibt nur Staatsterrorismus.

SZ: Eine Form des Krieges also!

Assayas: Ich würde sagen, Terrorismus ist eine Form der Diplomatie!

SZ: Was Carlos von vielen Terroristen unterscheidet, ist ja, dass er tatsächlich keine Theorie, keine eigene Vision hatte - haben Sie explizit versucht, die politischen Tiraden, die er im Film vom Stapel lässt, alle so hohl klingen zu lassen?

Assayas: Ich habe alle belastbaren Quellen genommen zu Dingen, die er gesagt hat. Die drei Szenen, in denen er richtig redet, sind vollständig belegt. Ich habe das verkürzt, aber es ist alles aus erster Hand. Die Sprache der Linken war damals so eigenartig, aber Carlos klang besonders seltsam. Was diese Szenen über ihn sagen: Er hatte Überzeugungen - aber ein Denker war er nicht gerade.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie luxuriös "Carlos" lebte.

SZ: Die Überzeugungen haben aber nicht gereicht, um ihm seinen luxuriösen Lebensstil auszutreiben.

Assayas: Nun, er war ganz anders als die europäischen Linken damals. Er war mehr oder weniger im Bürgerkrieg aufgewachsen, er war schon verletzt worden im Kampf, bevor er nach Europa kam. Und da ließ er sich dann die Anzüge maßschneidern. In London nannten sie ihn Cocktail-Lounge-Terrorist. Aber er hat immer wieder sein Leben riskiert. Dass er die anderen in schicke Restaurants einlud - das machte ihn zu einer Art Terror-Rockstar. Er hat sich wirklich aufgeregt, wenn seine Lebensgefährtin Magdalena Kopp nicht elegant genug gekleidet war. Er hat sich einen Mercedes gekauft - solche Sachen kann man nicht weglassen. Er hat für jeden gearbeitet, der seine Dienste brauchte, auch für Ceausescu, es war also immer viel Geld im Spiel. Er war wie Scarface, ein Gangster.

SZ: Wird also am Ende jede Revolution Opfer der Weltpolitik?

Assayas: Ich bin in den Siebzigern aufgewachsen, und wir waren sicher, dass es die Revolution geben würde. Wir lebten mit der abstrakten Idee einer kommenden Revolution. So etwas glaubt man ja als Teenager. Aber der Terrorismus der Siebziger war eben Teil des Kalten Krieges, und da spielte Frankreich keine Rolle - sonst hätte ich bestimmt Leute gekannt, die sich für den bewaffneten Kampf entschieden hätten. Wir hatten eine libertäre Vorstellung von der Revolution, wir fanden die Maoisten totalitaristisch. Ich war ja kein Idiot und wusste, was während der Kulturrevolution passiert war. Also blieb mir der Terrorismus suspekt. Aber wir wollten gesellschaftliche Veränderung. Heute will niemand mehr gesellschaftliche Veränderung, man will nur mehr von der Gesellschaft - mehr Lohn, frühere Rente. Jeder glaubt, dass die Welt für ewig bleibt, wie sie ist, und will von ihr profitieren. Und die Zugänglichkeit von Geschichte hat sich geändert - wir haben so viele Tonbandaufnahmen und Dokumente über Carlos, von der Stasi und sonst woher.

SZ: Haben die Dichte und Dimension der Arbeit Ihnen nicht Angst gemacht?

Assayas: Doch, und wie. Aber ich war selbst schuld. "Carlos" wurde mir als vierseitiges Treatment über die Verhaftung im Sudan angeboten, das interessierte mich nicht. Aber dann schickte mir der Produzent mehr Material - mir war gar nicht klar, dass man so viel über Carlos wusste. Ich schlug vor, seine Geschichte zu erzählen - aber ich sagte gleich: Das wird ein Mehrteiler fürs Fernsehen, und es muss eine Kinoauswertung geben. Und es wuchs und wuchs und geriet außer Kontrolle, wurde absurd kompliziert. Aber Canal plus wollte das Projekt haben - und ich dachte mir, wenn ich mir das aufhalse, dann will ich in den Originalsprachen drehen, dann darf mir keiner reinreden, wir drehen auf 35 mm in den richtigen Ländern. Und ich will Carte blanche bei der Besetzung, denn ich werde mit unbekannten Schauspielern drehen müssen. Ich habe dann erwartet, dass mich mit solchen Forderungen irgendjemand aufhält und sagt: sehr schön, aber für uns zu kompliziert und riskant. Aber ich kam durch mit allem - also musste ich den Film machen.

© SZ vom 04.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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