"Aus dem Nichts" im Kino:Ein Film, der vor seiner eigenen Gewalt kapituliert

Lesezeit: 4 min

Fatih Akin erzählt in "Aus dem Nichts" in fiktiver Form von den Morden des NSU - entschärft seine politische Geschichte aber viel zu früh.

Von Martina Knoben

Eine Frau sieht Rot. Regen peitscht an die Fenster ihres großzügig verglasten Bungalows, der Schein einer Ampel wirft dunkelrotes Licht durch die Wasserschlieren auf ihr Gesicht wie Ströme von Blut. Die Frau, Katja Sekerci (Diane Kruger), hat ihren Mann und ihren Sohn bei einem Nagelbombenanschlag verloren. Schier grenzenlos sind ihr Schmerz und ihre Wut. Den Begriff des "Blutbads", der bei solchen Verbrechen gern benutzt wird, hat Fatih Akin fast eins zu eins in sein Filmbild übersetzt. Es ist wuchtig, überdeutlich. Die Kraft dieses Films und seine Schönheit sind in diesem Bild zu finden - aber auch die Grenzen, an die Akin mit seiner Erzählung stößt.

In "Aus dem Nichts" verarbeitet der Regisseur, selbst Sohn türkischer Einwanderer, in fiktiver Form die fremdenfeindlichen Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) und die Schlampereien der Polizei und des Verfassungsschutzes bei der Aufarbeitung. Nach seinem umstrittenen Armenien-Drama "The Cut" packt er damit ein weiteres brisantes Thema an. "Aus dem Nichts" wurde wohl deshalb als deutsche Einreichung für das Rennen um den Auslands-Oscar nominiert.

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Der Film beginnt mit einer rauen Kiez-Seligkeit, wie sie Akin oft inszeniert hat: Beschwingt mit der Handkamera gefilmt, sehen wir eine fröhliche Hochzeit - allerdings im Gefängnis. Katja, damals noch Kunststudentin, heiratet ihren Dealer Nuri (Numan Acar), der wegen Drogenhandels einsitzt. Soweit der Prolog. Fünf Jahre später haben die beiden einen kleinen Sohn, Rocco, und eine Villa im Grünen. Nuri betreibt ein Steuerberatungs- und Übersetzerbüro in einem türkischen Viertel in Hamburg. Katja bringt ihren Sohn dort kurz vorbei. Wenig später detoniert vor dem Laden die Bombe.

Die Täterperspektive spielt in dieser Geschichte keine Rolle, es geht um den Zorn des Opfers

Wie Katja zurückkommt, um ihr Kind abzuholen und einen abgesperrten Tatort vorfindet, wie sie die Absperrung durchbricht, von Polizisten zurückgehalten wird und doch schon zu viel gesehen hat, um noch weiter zu hoffen dürfen - das ist eine Explosion der Gefühle, bewegend gespielt und packend inszeniert. Wie Akins berühmtester Film "Gegen die Wand" ist auch "Aus dem Nichts" in drei Kapitel unterteilt, als wolle der Regisseur die überwältigenden Emotionen ordnen. Im ersten Kapitel "Familie" lotet er den Schmerz und die Einsamkeit Katjas nach den Morden aus. Diane Kruger ist für ihre Darstellung in Cannes zu Recht als beste Schauspielerin geehrt worden. Ihr Körper und ihr Gesicht spiegeln immer wieder neue Facetten des Leidens: schreiendes Entsetzen, rastlose Versuche der Betäubung, Versteinerung. Immerzu scheint es zu regnen im Film. Die Farbenpalette reduziert sich auf Grau und Braun. Ganz flach wirken die Bilder. Der Bungalow im Grünen wirkt schließlich wie ein gläserner Sarg: Katja wurde vom Leben selbst abgeschnitten. Für diesen Zustand finden Akin und seine Hauptdarstellerin berührende Bilder.

Aber wo bleibt das Politische? Die in der Realität langwierige, schlampig verschleppte Aufklärung des rechtsradikalen Terrors wird im Film radikal abgekürzt. "War Ihr Mann religiös? War er Kurde? War er politisch aktiv?" Das sind die ersten Fragen, die der Kriminalbeamte Katja nach dem Tod ihrer Familie stellt. Sie aber weiß sofort: "Es waren Nazis!". Und auch der besonnen wirkende Ermittler verfolgt bald diese Spur. So wird die Geschichte politisch früh entschärft, um in eine Spielfilmdramaturgie zu passen.

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Mit dem zweiten Kapitel verwandelt sich "Aus dem Nichts" in ein Gerichtsdrama; Schauwerte gibt es da naturgemäß kaum. Die Spannung liegt im Austausch von Argumenten, dem Knüpfen von Indizienketten und der Präsentation von Beweisen. Und in der Ausdeutung der Figuren. Auch hier brilliert Diane Kruger, wenn etwa ein medizinischer Sachverständiger detailreich und nüchtern vorträgt, was die Nagelbombe bei ihrem Sohn angerichtet hat und Katja um Fassung ringt. Im Prozess gegen das Neonazi-Paar Edda und André Möller - das der Film übrigens in jedem Moment für schuldig erklärt - ist sie Zeugin und Nebenklägerin. Und so intensiv Akin die Gefühle Katjas studiert, so wenig beschäftigt er sich mit den Tätern.

Versöhnung kann es nicht geben, auch der Zuschauer erfährt, wie man eine Nagelbombe baut

Dass ihn deren Perspektive in dieser Geschichte nicht interessiere, hat der Regisseur in vielen Interviews erklärt, und dass er in Katja sein Alter Ego sieht. Ihren Zorn und ihre Trauer macht sich der Film zu eigen. Akin hat die Verhandlung wie ein Elfmeterschießen inszeniert: Mal landet die eine Seite einen Treffer, dann die andere. Weil er über diese andere Seite aber so wenig nachdenken will, sind dort nur Schießbudenfiguren zu sehen. Dem Verteidiger der Neo-Nazis, den Johannes Krisch mit fieser Eindringlichkeit spielt, scheint die Schlechtigkeit förmlich ins Gesicht geschrieben zu sein. Verständlich wird so nichts. Was möglich gewesen wäre, deutet Ulrich Tukur als Vater des Täters immerhin an. Dieser Mann, ein Rentner aus Dithmarschen, ist der "gute Deutsche", er hat seinen Sohn der Polizei gemeldet, als er merkte, welche Verbrechen er plant. Vater Möller spricht sanft, wird dem Zuhörer allerdings zunehmend unheimlich: Was ist das für ein Mensch? In welchem Milieu kann eine so extreme Fremdenfeindlichkeit gedeihen? Nach der Gerichtsverhandlung spricht Möller senior Katja an: Erfreut stellt er fest, dass auch sie aus Schleswig-Holstein kommt. Da könne sie, wenn in der Gegend, doch mal auf Kaffee und Kuchen vorbeikommen. Bitte?

Fatih Akin geht diesem gruseligen Bürgertum nicht weiter nach. Eine so billige Versöhnung, wie sie Möller anstrebt, kann es in seinem Film sowieso nicht geben. Das Gerichtsdrama wird im dritten Teil zum Rache-Thriller - eine Frau sieht Rot. Auch der Zuschauer erfährt, wie man eine Nagelbombe baut. Und schließlich unterscheidet sich Katjas Handeln kaum noch von dem der Neonazis. Als verzweifelte Reaktion einer zerstörten Frau lässt sich das vielleicht verstehen. Dass der Film für ihren "Ausweg" luftige, poetische, rosafarbene Bilder findet, ist allerdings kaum auszuhalten. Eindringlich hatte Akin zuvor die verheerenden Folgen der Gewalt beschrieben, die Katja erfährt. Am Ende hat "Aus dem Nichts" vor dieser Gewalt kapituliert.

Aus dem Nichts , D 2017 - Regie: Fatih Akin. Buch: F. Akin, Hark Bohm. Kamera: Rainer Klausmann. Mit: Diane Kruger, Denis Moschitto, Johannes Krisch, Ulrich Tukur. Verleih: Warner, 105 Minuten.

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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