Nobelpreis-Verleihung:Bob Dylan braucht keine Materie

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Angenehm menschlich: Patti Smith beim Bankett nach der Nobelpreisverleihung in Stockholm. (Foto: AFP)

Auch wenn der Musiker gar nicht persönlich nach Stockholm kommt, so ist der Literaturnobelpreisträger dennoch dauerpräsent.

Von Patrick Illinger, Stockholm

Ob ein Mensch zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort anwesend ist, hängt nicht ausschließlich von seiner physischen Präsenz ab. Oder wie es einer der diesjährigen Physik-Nobelpreisträger vielleicht ausdrücken würde: Es braucht keine Materie, damit sich Kraft, Energie oder Information an einen Ort manifestieren. Es gibt auch Fernwirkung mit teilweise handfesten Konsequenzen. In diesem Sinne, wie auch metaphysisch gesehen, war Bob Dylan, Musiker, Lyriker und der in diesem Jahr mit dem Literaturnobelpreis Geehrte während der Nobelpreis-Woche in Stockholm zwar physisch abwesend, und doch auf intensive Weise dauerpräsent.

Auftritt Lars Heikensten. Bei einem Besuch in den Räumen der Nobelstiftung erklärt deren Geschäftsführer zunächst die Finanzlage (gesichert) und die Verpflichtung, Bedeutung und Renommee des Preises zu wahren. Ob es nicht auch darum gehe, jüngere Menschen zu erreichen und Zeichen zu setzen? Allerdings, sagt Heikensten. Deshalb gebe es ja immer auch überraschende und manchmal streitbare Auszeichnungen. In diesem Jahr zum Beispiel Bob Dylan. Als Affront empfinde Heikensten es nicht, dass der Musiker nicht kommt. Ach nein, sagt er, stellen Sie sich bloß den Platz vor dem Nobel-Museum in der Altstadt vor, wo traditionell die Preisträger in den Tagen vor der Verleihung eintreffen. Tatsächlich war das Gebäude schon kaum zu betreten, als japanische Kamerateams das Eintreffen von Yoshinori Ōsumi, dem Medizin-Laureaten, würdigten. Was wäre das geworden, wäre Bob Dylan gekommen? Zehntausend Menschen? "Wer weiß, vielleicht hat es auch sein Gutes, wenn es ruhiger abläuft", sagt Heikensten.

Auftritt Patti Smith. In Stockholms Kongresszentrum, wo in den Tagen vor der Preisverleihung eine öffentliche Vortragsreihe zum Thema Ernährung stattfindet, liest sie ein paar kurze Passagen aus Hermann Hesses Glasperlenspiel und singt ein Lied. Sie verweist auf die Bedeutung von Poesie, zum Beispiel in den Werken Bob Dylans. Im inszenierten Zwiegespräch mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger des vergangenen Jahres wird es emotional. Statt über sein Fachgebiet zu reden, die Entstehung und Bekämpfung von Armut, entpuppt sich Angus Deaton als hingebungsvoller und kenntnisreicher Fan Bob Dylans. "Nicht jeder schätzt Bob Dylan so wie ich. Aber er hat Millionen Menschen beeinflusst. Und das soll der Preis ja auch würdigen. Sehr schade, dass er nicht gekommen ist", sagt Deaton mit einem Grinsen: "Ich hätte ihm gerne die Hand geschüttelt."

Auftritt Horace Engdahl, Mitglied des Nobelpreis-Komitees für Literatur bei der Verleihungszeremonie im Konzerthaus Stockholms. Er beschreibt Dylan als "Sänger würdig eines Platzes neben den Barden des antiken Griechenlands, neben Ovid, neben den Römischen Visionären, neben den Königinnen und Königen des Blues, neben den vergessenen Meistern großartiger Standards. Falls Literaten nun stöhnen", sagt Engdahl, "muss man sie daran erinnern, dass Götter nicht schreiben, sondern tanzen und singen."

Zweiter Auftritt Patti Smith. Demütig sitzt die einstige Punksängerin zwischen den Musikern des Symphonieorchesters von Stockholm, während die Naturwissenschaftler mit Klassik von Sibelius gewürdigt werden. Dann, nach der Laudatio für Dylan setzt sie an zu "A hard rain's a-gonna fall", anfangs nur von einer Gitarre begleitet. Nach dem ersten Drittel stockt ihre Stimme, "Es tut mir leid" sagt sie plötzlich ins Mikrofon, legt die Hände peinlich berührt vor das Gesicht und bittet den Gitarristen, an dieser Stelle erneut einzusetzen. Sie bringt das Lied zu Ende, kraftvoll, energisch und schließlich vom gesamten Orchester unterstützt. Der Applaus ist lang und herzlich. Mit ihrem Aussetzer bringt Smith die von vielen ersehnte Menschlichkeit in eine ansonsten pathetische, teils grotesk steife Zeremonie.

Auftritt Bob Dylan in der Inkarnation der amerikanischen Botschafterin in Schweden, Azita Raji. Beim traditionellen abendlichen Festbankett mit mehr als 1000 Gästen trägt die Diplomatin eine Botschaft Dylans vor. Es sind warme, fast ehrerbietende Worte. Eine Verneigung vor der Größe des Preises, vor den bisherigen Laureaten. Noch nie habe er die Zeit gefunden, sich zu fragen, ob es Literatur sei, was er mache, sagt Dylan. Er danke der Schwedischen Akademie, darauf diese wundervolle Antwort gegeben zu haben. Zu sehr sei der Künstler in praktische Fragen eingebunden: Wer sind die besten Musiker für ein Stück? Sitze ich im richtigen Tonstudio? Passt die Tonart? Auch eine leise Entschuldigung für sein zweiwöchiges Schweigen nach der Bekanntgabe im Oktober lässt Bob Dylan anklingen: "Ich war unterwegs, als ich die überraschende Nachricht bekam, und ich brauchte mehr als ein paar Minuten, um sie angemessen zu verarbeiten."

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