"Rave ist Karate" von Schluck den Druck:Man könnte das Atmen vergessen

Schluck den Druck

Eskalieren gerne: Flo (links) und Alex (rechts) von Schluck den Druck. Im Bild: "Schach zu Dritt".

(Foto: Schluck den Druck)

Schluck den Druck war bisher eine reine Spaßcombo. Doch das neue Album der Berliner Band ist nicht nur zum Ausrasten gut.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Mit dem Pfingstwochenende ist die Festivalsaison eröffnet - und eine der Bands, die für solche Anlässe die größten Rampensäue zu bieten hat, ist die Berliner Band Schluck den Druck. Seit ihrem ersten Album vor fünf Jahren und diversen Touren durch das Land weiß eine treue Fangemeinde zu schätzen, was sie an den beiden energiegeladenen Künstlern Alex (Locke) und Flo (Mütze) hat: Neben ziemlich lustigen Texten und peitschenden Elektroklängen, die sie selbst "Maximalbeats" nennen, ist es vor allem die Bühne, die "Schluck den Druck" liebt.

Es gibt wenige deutsche Livebands, die mit so viel Hingabe und sichtbarer Freude an der Eskalation mit dem Publikum arbeitet. Eine echte Spaßband mit starkem Tanzpotenzial.

Problem: Ihr erstes Album vor fünf Jahren, "Im Rausch mit Freunden", ist genau das - ein Rausch von und für Freunde. Die Band hat in Berlin eine große Anhängerschaft, veranstaltet regelmäßig eine eigene Partyreihe, hat aber auch das Zeug, mit ihren mitreißenden Live-Acts über die Grenzen der Hauptstadt hinaus zu begeistern.

Mehr als Krawall

Doch die Texte ihrer Lieder waren bisher eher teeniemäßig mit Titeln wie "Erektion am Mittagstisch" oder "Sinn war noch nie unser Ding". Die sind zwar oft ironisch gemeint, was man am Text von "Probleme, ach was!" erkennt, der da lautet: "Es ist ja wohl ganz klar, wie man mit sämtlichen Problemen, die einem im Leben begegnen, umgeht: Man ignoriert sie, haut ab und flieht ins Ausland!"

Ihre wilden, knallbunten Verkleidungen, der knarzige Krawall-Elektro, der skurrile Wortwitz und Geschichten von kuschelnden Eichhörnchen und gewaltigen Explosionen, die sie in ihren Liedern erzählen, sind allerdings für den gemeinen deutschen Musikfan, der es gerne nachdenklich und am liebsten melancholisch mag, wohl ein bisschen zu albern. Das ändert sich nun mit dem neuen Album.

"Rave ist Karate" ist von Stil und Aufmachung her immer noch unverkennbar eine Schluck-den-Druck-Produktion und kommt mit großem Wumms, viel Energie und ein paar sehr spaßigen Liedern daher. Anderes würden ihnen ihre 13 000 Facebook-Fans wohl auch sehr übel nehmen. Trotzdem hat sich die Band entwickelt - und probiert neue Stilrichtungen aus. Das tut dem Album gut.

Zum Ausrasten

Schon der erste Track, "Ich will", ist eine ungewöhnlich reine Liebeserklärung an die eigene Freundin, ein ehrliches Statement zu harten Elektrobeats. Unverwechselbar druckvoll und trotzdem neu, weil viel weniger verspielt als sonst.

Flo (links) und Alex von "Schluck den Druck"

Wortwitz und Elektrokrawall waren ihre bisherigen Spezialitäten, jetzt kommen leise und noch lautere Klänge dazu: "Schluck den Druck".

(Foto: Schluck den Druck)

Das bisher erfolgreichste Lied der Platte, "Schnick Schnack Schnuck", das sich in den sozialen Netzwerken auch wegen des lustigen Videos verbreitet, erinnert vom Charakter her am meisten an die früheren Lieder. Gewinnt aber musikalisch an Vielfalt (Gitarrenklänge statt ausschließlich harter Beats) und inhaltlich an Aussage (bitte mal entscheiden, welches Leben jetzt zu führen ist) dazu.

Und es gibt weitere Experimente: Das Lied "Im Rausch mit Freunden" ist ungewöhnlich entspannt und erzählt malerisch von dem Party-Lebensgefühl der Band. In "Angst kotzt Schwarzweiß" und "Tausch den Fokus" wird es politisch: Schon mit "Kommerzbaron" hat die Band einst gezeigt, dass sie eine leicht punkige Attitüde pflegt, doch erst jetzt erlaubt sie sich eine Abrechnung mit einem entfesselten Kapitalismus und falschen Vorstellungen von einem guten Leben ("Spiel mir das Lied vom reichen Mann", "In Endlosschleifen nach Schampus greifen"). "Schach zu Dritt" ist wieder die alte Schluck-den-Druck-Nummer, die von Jungs erzählt, die Mädchen abschleppen, das aber immer mit einem humorvollen oder selbstironischen Dreh.

Staunen statt tanzen

In "Adrenalin" beweist die Band noch einmal, wie kraftvoll und enthusiastisch sie Menschen zum Ausrasten bringen kann (inklusive Video, in dem sie als widerliche Alte von jungen Amazonen gekidnappt werden), auch "Rave ist Karate" spornt wieder zum Tanzen an ("Wir sprechen folgendes Machtwort: Tanzen ist auch Sport").

Die größte Überraschung dieses Albums aber ist das letzte Lied: "Einatmen ausatmen". Fast ausschließlich instrumental, schwere Elektrobeats, unterlegt mit melancholischem Geigenklang, ist das Stück vom ersten bis zum letzten Ton so mitreißend und entwaffnend dramatisch, dass man kaum noch tanzen, sondern eigentlich nur noch staunen kann. Bei allem Spaßfaktor, den die Band zu Recht auslebt und anregt: Das hier ist ernst und genau auf den Punkt. Würden nicht ab und zu die Worte "einatmen, ausatmen" ertönen, man könnte glatt das Atmen vergessen.

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