SPD-Parteitag:Schulz' Rede - eine rhetorische Analyse

Social Democrats (SPD) Hold Federal Party Congress

Martin Schulz warf sich schnell und zumindest schmerzarm über diese höchste aller Hürden.

(Foto: Maja Hitij/Getty)

Auf dem Auftritt des SPD-Parteivorsitzenden lastete eine große Bürde. Wie deutet man das Einknicken vor der Groko um zu einem Akt gewaltigen Muts?

Von Kathleen Hildebrand

Am Ende hat es also gereicht. Die SPD geht in Koalitionsverhandlungen mit der Union. Für diese Entscheidung musste Martin Schulz auf dem Parteitag in Bonn rhetorisch ganz schön ackern. Was hat er nicht alles versucht in dieser Rede, seiner großen Rede. Während man hörte, wie er von Verantwortung, Erneuerung und dem neuen Vertrauen sprach, das die SPD sich bei ihren Wählern wieder erkämpfen könne - ja, auch in einer Großen Koalition -, während man hörte, wie er laut wurde und emotional, dann wieder leise und verbindlich, da sah man die Redenschreiber regelrecht vor sich: Wie sie beratschlagt haben müssen, wie Schulz die Genossen überzeugen, wie er den Saal über eine knappe Stunde hinweg aufmerksam halten und diese Rede zu einem Aufbruch machen könne.

Erstens, werden sie, aber wird auch Schulz selbst sich gesagt haben: Hol erstmal alle zurück ans wärmende Feuer der Sozialdemokratie, vor allem die Gegner der Koalition. Martin Schulz lobte also den Streit, den er mit seiner Rede hier gerade beenden wollte. Er betonte, wie sehr es die SPD auszeichne, dass in ihr wirklich gestritten werde. Eine "Mitmach-Partei" nannte er sie. Das klang, als ginge es hier um eine Schülervertretung.

Und er lobte die widerständigen Jusos, die er natürlich umgarnen musste: "Weder mir noch euch geht es um uns selbst." Der erste Akt der Rede, das sollte die Wiederherstellung der Gemeinschaft sein, gerade über die Schwierigkeiten, die sie mit sich bringt: "Demokratie ist kein Schlafwagen!"

Mit der Umarmung der Groko-Gegner war das Hauptproblem noch nicht bewältigt

Schulz' ausführliches Lob der Streitkultur sollte wahrscheinlich auch der Anti-Groko-Fraktion in der Partei einen Ausweg ohne Gesichtsverlust eröffnen. Einen Ausweg hin zum Ja. Vielleicht würden sie denken: "Immerhin haben wir gestritten." Schulz hörte nicht auf, die Gegenargumente gegen die Große Koalition aufzugreifen und dann zu entkräften. Das war klug: Dass die Groko-Gegner gehört wurden, hat Schulz in dieser Rede nicht nur behauptet, sondern immer wieder gezeigt.

Doch mit dieser Umarmung war das Hauptproblem noch nicht bewältigt. Wie erklärt ein Parteivorsitzender, dass er nun doch keine Lust mehr auf Opposition hat, sondern will, dass seine Partei mitregiert? Schulz warf sich schnell und zumindest schmerzarm über diese höchste aller Hürden: Er griff die Kritik am Umschwung auf ("Ich kann jeden verstehen, der hier im Saal jetzt sagt: Warum vertritt der Schulz jetzt eine andere Position?"), erklärte die politische Lage seit dem Scheitern von Jamaika für verändert - und schwenkte dann sofort zu dem Motiv, das sich durch die gesamte Rede ziehen sollte: Er verwies auf die Menschen.

Die nächste Etappe in der Rede war also: Emotionalisierung. All diese Menschen - die SPD-Wähler, die Menschen in Deutschland, die Menschen in Europa, die alle auf sozialdemokratische Politik angewiesen seien. Die wolle die Partei doch wohl jetzt nicht im Stich lassen? Es war ein erwartbares Argument, das Schulz da aufrief, aber auch das stärkste.

Diese Menschen also, stellte Schulz dem Saal vor Augen. Er erzählte von dem jungen Mann, der sich endlich stolz und gebraucht fühle dank eines öffentlich geförderten Arbeitsplatzes - aber ohne die SPD laufe dieses Programm nicht weiter. Er erzählte von der Mutter, die sich ihre kleine Wohnung nicht mehr leisten könne - aber ohne die SPD werde es nicht genug sozialen Wohnungsbau geben. Für die Verdiener geringerer Einkommen habe die Union "Null komma null" in ihrem Programm - die SPD aber in den Sondierungsgesprächen schon einiges für sie durchgesetzt.

Die Rede verfing nicht in diesem Saal

"Cash in de Täsch" sei das, rief Schulz volksnah auf Rheinländisch in den Saal und man muss schon sagen: Ziemlich oft war er da wieder zu sehen hinter dem roten futuristischen Parteitagsredepult, der Charismatiker Martin Schulz, den im Wahlkampf irgendwann niemand mehr entdecken konnte. Es gab kein Verhaspeln, keine Unsicherheit, Martin Schulz hat diese Rede sehr gut gehalten. Und doch: Sie verfing nicht in diesem Saal.

Am deutlichsten spürte man das an der Reaktion auf einen Kniff, den Angela Merkel im Kanzlerkandidaten-Fernsehduell gemacht hatte, damals im September 2017, und den Schulz hier nun kopierte: "Der Macron hat mich gestern angerufen", sagte er, "weil ich ihn verstehen kann!" Dann ließ er eine lange Pause. Eine merkwürdig lange. Wollte er Applaus für seine Nähe zum gegenwärtigen Star unter den liberalen Staatsmännern? War er erschrocken, dass er sich diesen etwas durchsichtigen Trick der geliehenen Autorität erlaubt hatte? Es klatschte jedenfalls niemand. Nur verhaltenes Husten war zu hören, sonst Stille. Niemand war beeindruckt.

Es klang irgendwann, als sei das Sondierungspapier gar kein Kompromiss

So zog Schulz weiter durch die Errungenschaften des Sondierungspapiers. Reduzierung der Waffenexporte - gebe es nicht ohne die SPD. Mehr zivile Friedenspolitik, mehr europäische Sozialpolitik, Einhaltung der Klimaziele ebenso wenig. Und, hier klang er fast wie ein Marktschreier: "auf den Ausbau der erneuerbaren Energien legen wir noch einen oben drauf!" Der "Leuchtturm" aber, das sei die Bildungspolitik. Die müsse grunderneuert werden, inklusive Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern.

Es klang irgendwann, als sei das Sondierungspapier gar kein Kompromiss, sondern die Komplettverwirklichung des SPD-Wahlprogramms. Und überhaupt - in den Koalitionsverhandlungen könne sogar noch mehr erreicht werden! Die Union? Ja, die wäre irgendwie auch dabei.

Genau das war das Ziel von Schulz' rhetorischer Überzeugungsarbeit: Die Umdeutung des Einknickens vor der Groko hin zu einem Akt gewaltigen Muts. Die Umdeutung des großkoalierten Weitermachens zum ganz großen Umbruch. Zu einem "mutigen Europa" wolle er sich bekennen, zur politischen Tat, der "mutige Weg sei der richtige". "Mutig und nicht verzagt" wolle er in diese große Koalition gehen und zur mutigen Erneuerung der Partei beitragen. Dass Letzteres nur in der Opposition möglich sei, war natürlich der Einwand, den er hier entkräften musste: "Regieren und Erneuern muss kein Gegensatz sein", sagte Schulz deshalb, "beides geht." Wie allerdings, das ließ er offen.

Ein Nein zur Groko hingegen stellte Schulz nicht nur als Schwäche dar, sondern als "fahrlässig". Dafür schreckte Schulz auch vor ein klein wenig Angstmacherei nicht zurück, vor der "rechten Welle" nämlich, die gerade über Europa schwappe. "Viele sagen, eine Koalition mit der Union stärke die politischen Ränder." Applaus aus der GroKo-Gegnerecke. "Aber was anderes täten denn Neuwahlen?" Nein, die SPD könne - und müsse - in der Regierung ein "Bollwerk gegen Rechts" sein.

Schulz' letztes Argument klang dann wie die Rechtfertigung eines Menschen, der es nicht schafft, sich aus einer unglücklichen Beziehung zu lösen oder einen ungeliebten Job zu kündigen: Es ist ja nicht für immer. Nur eine Chance bekommt sie noch, die Union. Nach zwei Jahren werde man "prüfen, ob die Zusammenarbeit funktioniert. Wir meinen es ernst: Das ist kein Weiter so." Aber an dieser Stelle sahen sich die Delegierten wahrscheinlich schon wieder in einer großen Halle sitzen, über die Fortführung der Großen Koalition verhandeln und eine Rede wie diese von ihrem Vorsitzenden hören - eine "Das ist kein Weiter so"-Rede.

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