Literatur:Die Angst vor der eigenen Größe

Lesezeit: 2 min

Erlebnisorientiert: In seinem neuen Roman begleitet Thomas Glavinic einen Schriftsteller durch den Suchtalltag. (Foto: dpa)

Sucht, Genie und Abenteuer: Der Schriftsteller Thomas Glavinic stellt seinen gewaltigen neuen Roman "Der Jonas-Komplex" im Literaturhaus vor

Von Martin Pfnür

Die Neugier, sie sei eine Urtugend des Menschen, sagt Thomas Glavinic. Manchmal äußere sie sich zwar auch negativ, "aber ohne Neugier hätten wir heute kein elektrisches Licht". Glavinic spricht hier von der Neugier der Leser, von einem Voyeurismus, den er als Bedingung ausmacht für einen Riesenerfolg wie jenen des Norwegers Karl Ove Knausgård, der mit seinem groß angelegten Romanzyklus ja bekanntlich sein ganzes Leben in Literatur gießt. Die Frage nach Knausgård drängt sich im Gespräch mit Thomas Glavinic durchaus auf. Beide heben sie das Autobiografische auf ein neues Level, beide neigen sie, wie man ihren Texten entnehmen kann, zum Exzess, beide schürfen sie tief in ihren Abgründen, um eine dunkle, intensive und von existenziellen Fragen geprägte Prosa zutage zu fördern.

Und doch sind da mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Wo sich der Norweger derart nah und streng an eine erinnerte Realität hält, dass ihm alsbald die ersten Klagen ins Haus flatterten, spielt der Österreicher immer wieder gern ein lustiges Spielchen mit den Ebenen. Auf die Sache mit den autobiografischen Elementen lässt er sich nur sehr ungern festnageln. Da kann eine Figur, wie in "Das bin doch ich", Thomas Glavinic heißen und als Schriftsteller von den Ängsten und Hoffnungen nach dem Abschluss des Romans "Die Arbeit der Nacht" und den Eigentümlichkeiten des Literaturbetriebs erzählen: Sobald man ihm mit der Realität kommt, beginnt Thomas Glavinic sich zu winden. "Schriftsteller sind grundsätzlich Lügner", beteuert er und verweist auf seine Rolle als bloßer Vermittler, auf die Unzuverlässigkeit des Erinnerns, auf den Umstand, dass man sich die Vergangenheit immer so zusammenbaue, wie es einem gerade passt.

Man mag das, angesichts des Kokainproblems, mit dem der laut eigener Auskunft recht "erlebnisorientierte" Glavinic in einem der drei Erzählstränge seines neuen Romans "Der Jonas-Komplex" einen Schriftsteller ausstattet und durch den Wahnsinn des Suchtalltags schickt, gerne glauben. Zu spekulieren ist hier müßig, denn wenngleich in diesem Erzählstrang immer wieder Orte wie Glavinics Stammitaliener "Otto e mezzo" am Wiener Naschmarkt oder ein guter Freund des Autors wie der Kollege Daniel Kehlmann auftauchen, wird man doch nach wenigen Seiten viel zu sehr ins Geschehen hineingerissen von dieser ungemein konzise fließenden Prosa, um sich groß Gedanken über Autobiografisches zu machen.

Drei Geschichten, drei Lebenswelten werden hier in kurzen, bündigen und jeweils örtlich gekennzeichneten Kapiteln miteinander variiert. Zusammengehalten werden sie vom psychologischen Phänomen des Jonas-Komplexes, der sich - angelehnt an den Propheten Jonas, der vor Gottes Auftrag aufs Meer flüchtet, von einem Wal verschlungen und wieder ausgespuckt wird - auf die Angst vor der eigenen Größe bezieht.

Da ist der schwer ramponierte Schriftsteller, den Glavinic eine Art Chronik des Scheiterns an den Abstrusitäten des Alltags erzählen lässt. Für dieses Ich ist der Rausch ebenso sehr Flucht wie ein Normalzustand, durch dessen Schleier die Gegenwart hyperreal dringt - was nicht selten zu vortrefflich komischen Situationen führt. Da ist die Coming-of-Age-Story eines hochbegabten Schülers aus der Steiermark - ebenfalls eine fiktionale Variation des Autors, ebenfalls in der ersten Person erzählt -, der sich in eine Zukunft als Schachgroßmeister träumt. Und da ist die in der dritten Person erzählte Geschichte von Jonas, einem schwerreichen Abenteurer, einem Sinn- und Selbstsucher, der in Glavinics Romanen oft auftaucht und sich hier gleich mehrmals von seinem Anwalt betäuben und an immer wieder neuen entlegenen Orten und Nicht-Orten aussetzen lässt, um sich am Ende gen Südpol aufzumachen.

Wie werde ich mich selbst los? Wer könnte ich sein? Und wer bin ich gewesen? Das sind die Fragen, die Glavinics Figuren in diesen drei höchst kurzweiligen Geschichten umtreiben. Die Antworten bleiben auch nach 750 Seiten offen. Wäre ja schade um all die Neugier.

Thomas Glavinic, Dienstag, 12. Juli, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: