Klassiker neu übersetzt:Sehnsucht nach einem besseren Leben

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Berufspendler in New Yorks Grand Central Station: Auch der Protagonist in "Der Mann im grauen Flanell" hastet dort in den in den Fünfzigerjahren entlang. (Foto: Reuters)

Wir kennen das Thema aus "Zeiten des Aufruhrs" mit Leonardo diCaprio und Kate Winslet. An einem solchen Porträt der Nachkriegszeit in den USA mit ihren kleinen Leben in den Vorstädten versuchte sich 1955 bereits Sloan Wilson in seinem Roman "Der Mann im grauen Flanell", der nun in neuer Übersetzung vorliegt. Unterhaltung bietet Wilson, doch die Gesellschaftskritik kommt zu kurz.

Von Nico Bleutge

Wer dieses Buch in die Hand nimmt, muss sich von der Hoffnung auf Glück verabschieden. Schon der Umschlag zeigt die triste Gleichheit chromglänzender Rolltreppen. Und darauf die zahllosen Angestellten in ihren frisch gebügelten Anzügen. "Die Uniform von heute", heißt es einmal, "als hätte jemand eine Verordnung erlassen". Keine Aussicht auf ein ausgeglichenes Leben, kein erfüllter Moment jenseits der Arbeit.

Gleichwohl ist Sloan Wilsons Roman von 1955 mehr als nur Angestelltenliteratur. Mit seinen Genreszenen und Rückblenden versucht sich Wilson an einem Portrait der amerikanischen Nachkriegszeit. Und bietet nicht weniger als Unterhaltung - im guten wie im schlechten Sinne.

Es ist die Welt der Empfangshallen und Aufzüge, der Großraumbüros und Schreibtische, der Karteikarten und klackernden Schreibmaschinen, die der amerikanische Autor vor dem Leser ausbreitet (von Eike Schönfeld neu in ein gut lesbares Deutsch übersetzt).

Tom Rath arbeitet bei einer privaten Stiftung, die Wissenschaft und Kunst unterstützt. Mit seiner Frau Betsy und den drei Kindern wohnt er in einer kleinen Stadt in Connecticut. Gerade einmal 33 Jahre alt, hat er doch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs im Rücken und eine Maxime für sein Leben entwickelt: " ,Träume von Pracht und Herrlichkeit', sagte er, ,ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, sie zu überwinden'".

Doch Betsy ist das kleine Haus zu schäbig - und so richtig zufrieden scheint auch Tom nicht. Nach dem Tod von Toms reicher Großmutter zieht die Familie in das Haus der alten Dame in einem Vorort von New York. Alle Hoffnungen ruhen auf Toms neuer Stelle bei einer großen Radio- und Fernsehgesellschaft. Aber die lähmende Kraft des Arbeitslebens lässt nicht nach.

Die Lethargie der "müden Dreißiger"

Mit der Empathie eines Psychiaters beschreibt Sloan Wilson Toms und Betsys Versuche, die Lethargie der "müden Dreißiger", wie Toms Arzt es einmal beschreibt, zu überwinden. Es ist ein Geflecht aus Arbeitsdruck, Konkurrenz, tief sitzenden Erinnerungen und Sorgen über die Zukunft, das ein Erleben der Gegenwart unmöglich macht. "Entfremdung" würden die Soziologen nennen, was für Tom ein Leben "in grundverschiedenen Welten" ist.

Vor allem die Erinnerungen an den Krieg, in dem Tom als Fallschirmjäger in Italien und im Pazifik unterwegs war, brechen ein ums andere Mal unter dem dünnen Boden der Wahrnehmung auf. Und ihre Wirkung könnte verheerender kaum sein: Hat die soldatische Seinsweise mit ihrem Kampf ums Überleben und den vielen Toten den jungen Tom an die Nullgrenze aller moralischen Vorstellungen gebracht, so ist gerade jenes Gefühl des "Eigentlich ist alles egal" mit dafür verantwortlich, dass er der auszehrenden Müdigkeit des Alltags nur schwer etwas entgegenhalten kann.

Billy Wilder hat die Welt der Angestellten nur wenige Jahre später in seinem Film "Das Appartement" in Bildern aufgefaltet. Auch Sloan Wilson verdankt den Ideen und Techniken Hollywoods viel. Er orientiert sich weniger an den avancierten Romankonzepten, wie sie von Joyce oder Faulkner herkommen, vielmehr bindet er den Roman an die Möglichkeiten des Unterhaltungskinos. "Wie ein Film" mutet Tom sein Leben bisweilen an, und das "Drehbuch", von dem er immer wieder spricht, bestimmt nicht nur seine Gedanken, sondern auch die Struktur des Romans.

Durchaus geschickt baut Wilson zunächst eine Dramaturgie auf, die von der Zuspitzung lebt. Toms Skrupel und seine allzu ehrgeizige Frau, ein neuer Chef und Verpflichtungen aus einer Affäre im Krieg, dazu ein ehemaliger Hausangestellter der Großmutter, der Anspruch auf das Erbe erhebt - alles sieht danach aus, als würde Tom auf eine Katastrophe zuschlittern.

Aber Sloan Wilson hat sich beim Schreiben von Betsys Sehnsucht nach einem besseren Leben anstecken lassen. Der trennscharfe Blick auf das verwaltete Leben verliert sich zunehmend in kitschnahen Erinnerungen und Dialogen. Hier liegt Tom mit seiner Geliebten im Krieg unter den zerfetzten Damastvorhängen einer Ruine, dort sitzt er mit seiner Frau im Mondschein und philosophiert über die Welt.

Als hätte Wilson die Verfilmung schon vorausgesehen, die der Regisseur Nunnally Johnson kurz nach dem Erscheinen des Buches übernehmen sollte. Vor allem aber löst er alle Konflikte schön artig auf. Am Ende steht der unvermeintliche Richter und beschwört die "schlichte Gerechtigkeit".

Einfache psychologische Kunstmittel der Zeit

Es hat seine eigene Ironie, dass Tom bei seinem neuen Arbeitgeber ausgerechnet ein Projekt für "psychische Gesundheit" betreuen soll. Sloan Wilson hat in dem Roman versucht, die psychische Großwetterlage der USA in den 1950er Jahren auszuleuchten. Leider hat er sich bei seinen Sätzen zu sehr von den einfachen psychologischen Kunstmitteln seiner Zeit beeinflussen lassen.

Wer die leicht süßliche Atmosphäre von Filmen mit Ava Gardner oder Gregory Peck mag (der in der Verfilmung auch die Hauptrolle spielt), könnte mit diesem Roman glücklich werden. Wer aber den gesellschaftskritischen Impuls ernst nimmt, mit dem das Buch einsetzt, der wird sich nach der Lektüre eher fühlen wie Tom beim Blick aus seinem Bürofenster: "als wäre sein Fallschirm mitten in der Luft hängen geblieben, auf halbem Weg zwischen Flugzeug und Erde".

Sloan Wilson: Der Mann im grauen Flanell. Roman. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Mit einem Nachwort von Jonathan Franzen. DuMont Buchverlag, Köln 2013. 446 Seiten, 22 Euro.

© SZ vom 18.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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