Kino:Visuelles Gedächtnis

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Filmreihe im Werkstattkino über Peking im Wandel

Von Bernhard Blöchl, München

Manchmal braucht man Zeit, um sich zu erinnern. Manchmal brauchen auch Erinnerungen Zeit. 15 Jahre lang ruhte das Filmmaterial von Johanna Pauline Maier, das sie während ihrer Studienjahre zwischen 1999 und 2001 in Peking gedreht hatte. "Erinnerungsbilder" nennt die Berlinerin, Jahrgang 1976, die Aufnahmen von damals. Sie filmte den für Europäer fremden chinesischen Alltag mit einer Videokamera, 20 Minuten pro Tag, mehr gab der alte Akku nicht her. "Ich wusste wenig über China. Ich konnte kein einziges chinesisches Wort aussprechen, ohne dabei rot zu werden. Doch mein Mangel an Vorbereitung hat mich besonders empfänglich gemacht, denn ich erwartete quasi nichts und alles." Maier, die Sinologie und Philosophie studierte und in Peking die Filmakademie besuchte, formt noch einen schöneren Satz, wenn sie an die Zeit zurückdenkt: "Wie andere Tagebuch führen, habe ich die Kamera geführt."

Heute würde man wohl Vlog dazu sagen, die Aufnahmen direkt ins Netz stellen und auf Likes spekulieren. Aber das hier blieb offline, das hier brauchte Zeit. Bis jetzt: Unter dem Arbeitstitel "Fragmente einer Reise nach China" wird das gekürzte und mit Gedanken und Texten aufbereitete Material von damals nun erstmalig öffentlich zu sehen sein: in der Reihe "Neues asiatisches Kino" im Werkstattkino. "Seit Jahren schmort der Stoff in mir", sagt Johanna Pauline Maier, die inzwischen auch das Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München abgeschlossen hat. "Aber ich konnte noch nicht umgehen damit", erklärt sie und weiter: "Ich habe Freiraum gebraucht."

Den Freiraum, sich auf die Erinnerungen einzulassen, nahm sie sich im vergangenen Jahr. Und sie hat einen künstlerischen Weg gefunden, auf die alten Bilder einer sich stark verändernden Metropole und den subjektiven Blick der jungen Studentin, die sie einst war, zu reagieren: Sie reicherte die reduzierten Bilder mit einer unaufdringlichen Erzählerinnenstimme an, ein Textgefüge aus Alltagsbeobachtungen und Notizen, chinesischen Erzählungen und kulturphilosophischen Gedanken. Zu Beginn sieht man Kinder, die auf dem Platz des Himmlischen Friedens Drachen steigen lassen, immer wieder Arbeiter im Bauschutt, Musiker, skeptische Blicke. Zu den Bildern aus einem Filmseminar sagt die Stimme: "Das scheint überhaupt eine chinesische Pädagogik zu sein: zeigen, vorleben, nicht unbedingt erklären oder analysieren." Daran hält sich auch Maier. Ihr Film ist ein rätselhaftes poetisches Dokument.

Oder ein Stück visuelles Gedächtnis. Das wiederum verbindet die Münchner Filmemacherin mit der chinesischen Kollegin Ning Ying, die im Hauptfokus der Reihe im Werkstattkino steht. Die inzwischen auch kommerziell erfolgreiche Regisseurin hatte in den Neunzigerjahren mit ihrer Peking-Trilogie ein außergewöhnliches Dokument über die Stadt im Wandel geschaffen. Sie beschäftigte sich mit der radikalen Modernisierung, dem Abriss, dem Verschwinden von alten Gebäuden, der Veränderung der Architektur. "For Fun" (1993), "On The Beat" (1995) und "I Love Beijing" (2001) sind Filme im Grenzgebiet zwischen Dokumentar- und Spielfilm.

Ning Ying, geboren 1959 in Peking, hatte unter anderen in Italien mit Bernardo Bertolucci zusammengearbeitet, bevor sie ihre eigenen Filme drehte. Dass sie sich in den Neunzigern ebenfalls mit dem Wandel von Peking beschäftigte, sollte Johanna Pauline Maier erst später erfahren. Dass nun das dreiteilige Meisterwerk und Maiers Doku-Projekt in einem Festival gezeigt werden, ist eine hübsche Sache. Die Organisatorin, Susanne Mi-Son Quester, hat ihre HFF-Kollegin gefragt, ob sie die neue Ausgabe kuratieren wolle. Sie wollte - auch weil sie mit dem Werkstattkino seit jeher verbunden ist. Also brachte sie Ning Ying ins Spiel, die sie persönlich nicht kennt, wie sie sagt. Maier hoffe allerdings, dass sich das ändert. "Ich spekuliere darauf, sie mal zu treffen."

Neues asiatisches Kino : Ning Ying und Johanna Pauline Maier, Do., 11., bis Mi., 17. Jan., Fr., Sa. und So. mit Maier, Werkstattkino, Fraunhoferstraße 9

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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