Kino: Fairplay war gestern:Noch was kaputtmachen

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Sechs prekäre Charaktere, die mit dem Leben nicht zurechtkommen und als Hooligans in die Gewalt abdriften. Ein Männerfilm.

Rainer Gansera

Aus frühen Scorsese-Filmen kennt man diese jungen, manisch taumelnden Männer, die wie tickende Zeitbomben durchs Leben stürmen. Angefüllt mit Zorn, sich selbst ein Rätsel. Als könne nur Gewalt die Möglichkeit bieten, sich ein Gefühl für sich selbst und die Welt zu verschaffen. Die Regisseure Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser fächern in ihrem dritten Spielfilm eine Galerie solcher Charaktere auf. Nur zu Beginn sieht "66/67" wie ein konventionelles Sozialdrama über Hooliganismus aus.

Angefüllt mit Zorn, sich selbst ein Rätsel: Sechs gewaltbereite Fußballfans driften ins Abseits. (Foto: Foto: Filmverleih)

Es geht um eine Clique von sechs gewaltbereiten Fußballfans, Anhänger des Vereins Eintracht Braunschweig, der 66/67 Deutscher Meister war. Sozial bunt gewürfelt, alle aber sind schon über Dreißig - und das ist ihr Problem. "Jungs brauchen das vielleicht, so mit 17, aber mit 30?!", fragt mal ein weibliches Wesen. Recht schnell wird klar: "66/67" ist kein Themen-Film über Fußballfans, sondern die Zeichnung von sechs prekären Charakteren, deren Abgründigkeit Schritt für Schritt enthüllt wird. Sechs Jungs, die sich weigern, erwachsen zu werden.

Sechs Unfähigkeiten, sich den existentiellen Herausforderungen zu stellen: der Freundin, die ein klares Bekenntnis verlangt, dem todkranken Vater, der uneingestandenen Homosexualität, der inneren Leere. Sie klammern sich an einen Cliquenzusammenhalt, der zerbrechen muss. Sie driften ins Abseits der Gewaltexzesse, bis ins Paranoide.

Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser schildern das mit faszinierender Präzision. Wunderbar, wie Fabian Hinrichs - er spielt Florian, den "Anführer" der Clique - die fatale Dialektik von verleugneten Gefühlen und Aggression zum Ausdruck bringen kann, wie er mit irrem Augenfunkeln vor der finalen Prügelei flüstert: "Ich möchte hier noch irgendwas kaputtmachen. Irgendwas, irgendwen!"

Kein perfekter Film: Manches bleibt unerforscht, forciert das Exzessive. Aber es ist - und das zählt am Ende - leidenschaftliches Kino. Ungestüme und unbeirrte Suche nach Intensität. Wann gab es zuletzt einen jungen deutschen Film, der von Schicksalen erzählt, die tatsächlich auch schicksalhafte Wucht hatten?

66/67 - FAIRPLAY WAR GESTERN, D 2009 - Regie: Carsten Ludwig, Jan-Christoph Glaser. Buch: C. Ludwig. Kamera: Ngo The Chau. Mit: Fabian Hinrichs, Christoph Bach. Farbfilm, 118 Min.

© SZ vom 23.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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