Karikaturen von Politikern:Glatt vergessen

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Kondom übern Kopf: Die neue erste Reihe der britischen Politik stellt Karikaturisten vor ernsthafte Schwierigkeiten.

Ron Steinke

Unerkannt die Straße überqueren zu können, das ist etwas, wonach sich berühmte Menschen ja angeblich sehnen. Es sei denn, sie sind Politiker, möchten noch bekannter werden - und sehen aus wie Nick Clegg. Der Chef der britischen Liberaldemokraten, der seit drei Wochen als Vize-Premier amtiert, hat ein "flaches, fades, rosiges Gesicht", wie es Peter Brookes, der Stamm-Karikaturist der Londoner Times, bedauernd ausdrückt, sprich: eines, das man sofort wieder vergisst. Was für Cleggs Wahlkampfmanager noch ein geringes Problem gewesen sein mag, ist für Brookes und seine Kollegen nun ein großes. Zumal sich Clegg und der neue Premierminister David Cameron in ihrer glatten Ebenmäßigkeit fatal ähneln.

David Camerons Gesicht sei fast gummiartig, beklagen sich Karikaturisten. Wie soll man das zeichnen? (Foto: dpa)

Eine weitere Ursache für den ungewöhnlichen GAU bei den britischen Karikaturisten ist die Lage an der Spitze der Labour-Partei: Dort konkurrieren die Brüder Ed und David Miliband um die Oppositionsführung. Auch sie entsprechen - obgleich etwas brünetter - dem Typus Cameron/Clegg bis hin zur identischen Frisur. Insgesamt also: Vier jungenhaft blasse Fourty-Somethings, und kein Bäuchlein, Bart oder Brillengestell dabei. Was könnte die Kunst der Zeichner, mit wenigen Strichen für prägnant-provokante Unterscheidbarkeit zwischen den Akteuren zu sorgen, auf eine größere Probe stellen?

Das Problem als solches hat es natürlich schon immer gegeben. Nicht jeder ist so leicht zu karikieren wie ein Helmut Kohl, und da glatte Gesichter den meisten Menschen als besonders hübsch gelten, lässt sich sogar sagen: je hübscher, desto schwerer. Je weniger knarzig und schnurrbärtig die Politiker über die Jahrzehnte wurden, desto weniger leichtes Spiel hatten die Zeichner. Der smarte Obama wird in Karikaturen oft nur durch ein dunkel schraffiertes Gesicht und die Segelohren erkennbar. Die merkmalsfrei aus dem Ei gepellte deutsche Familienministerin Kristina Schröder lässt sich, auf wenige Striche reduziert, kaum mehr von Tausenden Gleichaltrigen unterscheiden. Doch selten hatte ein Land eine solche Ballung an äußerlicher Langeweile in der Führungsspitze zu beklagen wie Großbritannien.

Cameron ist eine zeichnerische Herausforderung. Sein Vorvorgänger Tony Blair hatte Geheimratsecken und das blitzende Siegergrinsen, das man später wölfisch fand, Gordon Brown schenkte den Karikaturisten seinen düsteren Blick und bulldoggenhafte Hängebacken. Der Neue jedoch: "Er hat ein fast unwirklich glattes Gesicht, ich habe mir das schon ein paar Mal aus der Nähe angesehen", klagt Steve Bell vom Guardian, einer der dienstältesten politischen Karikaturisten des Landes. "Fast gummiartig! Aber er hat auch diese geschwollene Stirn, wie ein Ballon. Immerhin, die ist sehr schön." In den neunziger Jahren gewann Bell Preise dafür, dass er den grauen Tory-Premier John Major auf stilprägende Art entstellte. Im Fall Camerons hat er sich mit einem Kunstgriff beholfen. Cameron, der Gummiartige, wird im Guardian konsequent mit einem Kondom über dem Kopf dargestellt.

Bei Clegg ist die Sache noch schwieriger. "Selbst so etwas Grundlegendes wie seine Kopfform zu erfassen fällt nicht leicht", erklärt Bell. In der Times stellt Peter Brookes den Vize-Premier derzeit pausbäckig dar, was nicht wirklich überzeugt. Und im Guardian zeichnet Bell ihn mit verstrubbelten Haaren und extrem dicken Lippen. Was völlig danebengeht.

An der Bereitschaft zur Überzeichnung fehlt es nicht, britische Karikaturisten zeichnen oft mit deutlich respektloserer Feder als ihre Kollegen hierzulande. Kurz nach der Wahl zeigte etwa die konservative Times den neuen Premier als Stripperin in Strapsen (die an der Tanzstange nicht so weit hoch kam, wie sie gedacht hatte). Doch liegt die Kunst auch darin, Charakterzüge prägnant zu machen - Westerwelles Eitelkeit, Merkels Eintönigkeit. Und insofern gibt Liberaldemokrat Clegg den Karikaturisten in doppelter Hinsicht ein Rätsel auf: "Dass man Clegg als Politiker bislang kaum kennt, erschwert das Zeichnen erheblich", findet Steve Bell.

Eine überzeugende Karikatur des neuerdings zweitmächtigsten Mannes in der britischen Politik stehe noch aus, schrieb die Times kürzlich sogar selbst - wer möchte, kann darin auch eine Klage über den neuen, sich möglichst nett und adrett gebärdenden Politikertypus sehen. Eine "Phase der Ausnüchterung nach der herrlich schrägen Blair/ Brown-Zeit", scherzt Steve Bell. Erfreut klingt das nicht.

© SZ vom 31.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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