Im Kino: Schlafkrankheit:Abschied von allen Idealen

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Der Genuss vermeintlicher Allmacht: Ulrich Köhlers Berlinale-Beitrag "Schlafkrankheit" über Weiße in Afrika ist eine Parabel auf eine Welt, in der alles zugrunde gehen muss. Pierre Bokma verliert als Expat in Kamerun erst seine Familie, dann sich selbst.

Michael Bitala

Ach, wäre man doch ab und zu alleine, nur für ein paar Tage, dann wäre die Einsamkeit vielleicht nicht ganz so quälend. Aber in Zentralafrika ist man nicht allein, zumindest, wenn man ein sogenannter Expat ist, ein Weißer, der von seiner Firma für ein paar Jahre auf den Kontinent geschickt wird. Tag und Nacht ist man von afrikanischen Angestellten umgeben, die man irgendwann eingestellt hat, auch wenn man das gar nicht wollte, aber sonst wäre das Eingangstor noch länger belagert worden von all den Arbeitssuchenden.

Einsam, aber nie allein - Pierre Bokma als Arzt Ebbo Velten, der einem Inspektor der WHO (Jean-Christophe Folly) Rechenschaft ablegen soll. (Foto: Farbfilm Verleih)

Die Angestellten bewachen das Grundstück, pflegen den Garten, machen den Haushalt, kochen - und lassen einen nicht aus den Augen. Ist man unterwegs, hat man entweder einen Fahrer dabei oder einen anderen Begleiter, der weiß, wo es langgeht.

Natürlich gibt es Ausnahmen, Weiße, die in ihrer zweiten Heimat Afrika das Glück finden, die gleichberechtigt mit den Einheimischen leben, die enge Freundschaften schließen und sich ein Leben in Deutschland, Großbritannien, Frankreich oder Belgien nicht mehr vorstellen können.

Die meisten Expats aber leben anders. Sie leben ziemlich isoliert vom Rest der Bevölkerung - die ihnen verschlossen bleibt und sie doch ständig umgibt. Dann lieber ganz allein, denn nichts ist bekanntlich schlimmer, als unter vielen Menschen zu sein und zu wissen, dass man nie zu ihnen gehören wird.

Vera und Ebbo Velten vereinigen in ihrer Ehe beide Typen von Expats. Sie leben seit fast 20 Jahren in verschiedenen afrikanischen Ländern. Vera Velten leidet unter der Einsamkeit und dem Verlorensein in dieser fremden Welt. Sie will nach Hause, sie will endlich wieder ihre Tochter in der Nähe haben, die in Deutschland ein Internat besucht. Ebbo Velten aber stürzt das ins Dilemma: Er muss sein Leben und sein Projekt zur Bekämpfung der Schlafkrankheit in Afrika aufgeben oder er verliert die Frau, die er liebt. Eine Zukunft in Deutschland aber, in einer spießigen, engen Kleinstadt kann sich der Arzt auch nicht vorstellen, nach zwei Jahrzehnten ist ihm seine einstige Heimat fremd geworden.

Nichts kann Wurzeln schlagen

Das ist der Grundkonflikt von "Schlafkrankheit", einem Spielfilm von Ulrich Köhler, der auf der Berlinale den Silbernen Bären für die beste Regie gewann und bei Kritikern und Publikum ziemlich umstritten ist. Vor allem wohl deshalb, weil derjenige, der dieses Expat-Leben in Afrika nicht kennt, den Film schnell als spröde oder zäh empfinden könnte. Das aber ist er nicht. Man muss ihn nur als Parabel auf eine Welt sehen, in der nichts an seinem richtigen Platz ist, in der nichts Wurzeln schlagen kann und deshalb alles zugrunde gehen muss.

Außerdem ist er schon deshalb nicht langweilig, weil man ein so realistisches Bild vom Leben der Europäer in Afrika selten gesehen hat - was auch daran liegt, dass Ulrich Köhler als Kind von Entwicklungshelfern viele Jahre in Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, gelebt hat und somit weiß, wovon er erzählt.

Am Anfang ist eine Autofahrt zu sehen, auf einer Straße nach Yaounde, es ist Nacht, die einzigen Lichtquellen sind die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Lastwagen. Sie transportieren Tropenholz zum Hafen. Im Wagen sitzt das Ehepaar Velten mit der Tochter Helen, die gerade in Kamerun angekommen ist, um die letzten Afrika-Tage der Eltern mitzuerleben.

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Bei einer Straßenkontrolle kommt es zu einer ersten Grenzüberschreitung des Vaters, den Pierre Bokma wunderbar verlottert spielt. Die bewaffneten Polizisten wollen das Visum der Tochter sehen, doch als diese ihren Ausweis nicht findet, wittern die Beamten eine Chance, ihr Gehalt aufzubessern. Aber Ebbo Velten kennt dieses Spiel nach all den Jahren in Afrika, er lässt sich nicht darauf ein, mehr noch, er nimmt einem der Polizisten die Pistole ab und hält sie sich an den Kopf, was Frau und Tochter und auch die Beamten schockiert. Velten aber genießt seine vermeintliche Allmacht, er, der Ausländer, der Arzt, der Afrika-Erfahrene, kann selbst Polizisten in ihre Schranken weisen. Niemand hält ihn auf.

Schon da ist die Arroganz zu erkennen, die man bei vielen Expats erleben kann, die länger als die üblichen drei bis fünf Jahre in Afrika leben. Ihr wollt mich doch eh nur alle verarschen, lautet diese Haltung, aber ihr könnt mir nichts vormachen. So verhält sich Ebbo Velten dann auch gegenüber den Regierungsbeamten, wenn es darum geht, wie viel Geld er aus Deutschland zur Bekämpfung der Schlafkrankheit in Kamerun anfordert. Und so verhält er sich auch gegenüber seinem Nachtwächter, der ihn zu lange vor dem Tor warten lässt.

Wie verloren Velten zu diesem Zeitpunkt schon ist, zeigt sich auch im Verhältnis zu seiner Tochter, die ihm fremd geworden ist, und noch stärker wird es ein paar Tage später deutlich, als er im leergeräumten Haus steht und seine Tränen kaum noch unterdrücken kann.

An dieser Stelle macht der Film einen Sprung von drei Jahren. Und man ahnt nur, wie Velten sich in diesem Dilemma entschieden hat. Denn nun tritt erst mal Alex Nzila (Jean-Christophe Folly) in Paris auf, ein junger französischer Arzt mit kongolesischen Wurzeln.

Er soll im Auftrag der WHO ein Entwicklungshilfeprojekt in Kamerun bewerten. Doch der Mann war noch nie zuvor in Afrika, er sieht zwar aus wie ein Einheimischer, aber er gehört nicht dazu. Er misstraut den Afrikanern, hat Angst in der Nacht und pinkelt in seinem Zimmer lieber in eine Plastikflasche, als dass er in die geräuschvolle Finsternis hinausgeht. Auch er ist also einer, der nicht am richtigen Platz ist, dem der Halt verlorengeht. Als er bei einem Kaiserschnitt helfen muss, fällt er in Ohnmacht.

Verloren im Busch

Das Kind, das die junge Kamerunerin in dieser Szene zur Welt bringt, ist von Ebbo Velten, der doch in Afrika geblieben ist und weiterhin ein Schlafkrankheitsprojekt leitet. Das Problem ist nur: Es gibt keine Schlafkrankheit mehr, die Klinik sieht aus wie ein Hühnerstall, und für Nzila, der Veltens Arbeit bewerten soll, interessiert er sich nicht. Es ist ihm offenbar alles gleichgültig, nur wenn es darum geht, dass die Familie seiner Geliebten Geld von ihm haben will, braust er auf, beschimpft die Menschen, will sich nicht länger ausnutzen lassen.

Es ist vor allem der zweite Teil des Films, der langsame Verfall von Ebbo Velten, der einem das Gefühl gibt, dass "Schlafkrankheit" kein Spielfilm ist, sondern ein Dokumentarfilm über Weiße in Afrika. Beeindruckend zeigt er, wie sich Velten von allen Idealen und Bindungen verabschiedet und wie hoch der Preis ist, den er dafür bezahlen muss. Losgelöst von allem läuft er durch den afrikanischen Busch und geht darin dann auch verloren. Doch selbst da, inmitten der größten Einsamkeit, ist Ebbo Velten noch nicht allein.

SCHLAFKRANKHEIT, D,F,N, 2011 - Regie, Buch: Ulrich Köhler. Kamera: Patrick Orth. Mit: Pierre Bokma, Jean-Christophe Folly, Jenny Schily, Maria Elise Miller. Farbfilm Verleih, 91 Min.

© SZ vom 21.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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