Im Gespräch: Tom Ford:"Genug nackte Haut"

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Als Modedesigner machte Tom Ford Milliarden. Dann fing er an zu trinken. Nun wird er als Filmemacher gefeiert.

Johannes Bonke und Sven Schumann

Interviews mit ihm sind eine Rarität. Etliche E-Mails und Anrufe waren nötig, um das Treffen mit Tom Ford im Luxushotel Windsor Arms in Toronto zu vereinbaren. Der 48-jährige Modemacher und Chef seines eigenen Multi-Milliarden-Dollar-Imperiums ist in der Stadt, um sein Regiedebüt zu präsentieren: "A Single Man" basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage von Christopher Isherwood und erzählt von George Falconer (Colin Firth), einem 52-jährigen College-Professor, der nach dem Unfalltod seines Langzeitpartners versucht, seinem Leben neuen Sinn abzugewinnen. Der Film überraschte Kritiker weltweit: Dass der Ästhet, der dem fast bankrotten Label Gucci in den Neunzigern neuen Glamour verpasste, einen wunderschönen Film macht - okay! Aber dass er so philosophisch wird, hat wirklich keiner erwartet.

SZ: Mr. Ford, Ihre Mode gilt als Musterbeispiel für Luxus. Wieso dreht jemand wie Sie einen Film, der an die simplen Dinge im Leben erinnern soll?

Tom Ford: Ich hatte schon früh das Glück, materiellen Reichtum in all seinen Formen zu erleben. Aber vor einigen Jahren habe ich dann gemerkt, dass mich das alles trotzdem nicht glücklich macht. Ich steckte mitten in einer Midlife-Krise, als ich eines Tages in meinem Auto in Santa Monica saß und bemerkte, dass ich seit meinem zwanzigsten Lebensjahr ziemlich oft an George, den Hauptprotagonisten des Buches, dachte. Mehr noch: Ich stellte fest, dass ich mich sogar ein wenig in ihn verknallt hatte, weil mir seine Traurigkeit so leidtat. Ich hoffte insgeheim, ihm irgendwo über den Weg zu laufen. Da ich wusste, dass er in der Realität nicht existent war, nahm ich das Buch also wieder zur Hand und begann zu lesen. Danach wusste ich: Das wird mein erster Film.

SZ: Klingt fast schon etwas spirituell.

Tom Ford: Ich glaube an die östlichen Philosophien. Ich habe gelernt, dass man zum Glücklichsein nur einen Schalter im Kopf umlegen muss. Es hat nichts damit zu tun, ob du ein neues Haus, ein neues Auto oder eine neue Freundin hast, obwohl unsere ganze Gesellschaft auf diesem Denken basiert. Denn mit dem Hier und Jetzt sind die wenigsten zufrieden. Eigentlich denken wir immer alle: Wir brauchen noch mehr, um wirklich glücklich zu sein. Ein Irrtum, wie ich heute weiß.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Tom Ford gerne eine Maske trägt.

SZ: Sie haben gut reden! Sie spielen tagtäglich damit, bei Ihren Kunden eine Sehnsucht nach Dingen hervorzurufen, die sie eigentlich nicht brauchen.

Tom Ford:Was ich in der Mode mache, kratzt nur an meiner Oberfläche. Mein wahres Ich ist eher schüchtern. Ich kann mich auf alle Fälle viel mehr mit George identifizieren als mit dem, womit ich in meinen Anzeigen spiele. Mode ist für mich ein kommerzielles Unterfangen, das zwar auch künstlerisch sein kann, aber in erster Linie verkaufen soll. Dieser Film dagegen war eine Chance, meinen intimsten Emotionen Ausdruck zu verleihen.

SZ: Denken Sie also zum ersten Mal in Ihrem Leben nicht-kommerziell?

Tom Ford:Sagen wir es so: Ich habe den Film nicht gedreht, um ihn zu verkaufen, freue mich aber jetzt trotzdem über seinen Erfolg. Es ist ein bisschen vergleichbar mit der Mode: Da kannst du dich zwar auch alleine in deinem Zimmer auftakeln, aber hast damit keinen Effekt auf andere. Ohne den Kontakt mit anderen - hast du einfach keine Stimme in der Kultur unserer Gegenwart.

SZ: Warum haben Sie für Ihren Seelenstriptease gerade das Medium Film gewählt?

Tom Ford:Weil es sehr beständig ist. Vergleichen wir es mit der Mode: Kleidung an einem schönen Menschen zu bestaunen, die man in dieser Form so noch nicht gesehen hat, gehört sicherlich zu den gewaltigsten Momenten, die man als Ästhet erleben kann. Aber sechs Monate später ist sie bereits nur noch ganz nett, ein Jahr danach schon alt - und danach verliert sie völlig ihre Kraft. Irgendwann kann man dann vielleicht in einem Museum die Machart bewundern, aber ihre ursprüngliche Kraft hat sie eingebüßt.

SZ: Ihre Modekampagnen sind fast skandalös sexuell. Wieso ist dieser Film nicht so provokant wie der Rest Ihrer Arbeit?

Tom Ford:Der Film ist auf seine eigene Art und Weise provokant. Er soll zum Nachdenken anregen und uns zeigen, dass alles im Leben aus einem bestimmten Grund passiert, auch wenn man es auf den ersten Blick vielleicht nicht sofort erkennt. George hat im Film deshalb auch eine Art Erleuchtung, einen einzigen Moment, in dem alles völligen Sinn für ihn macht. Er könnte noch zwanzig weitere Jahre weiterleben, sich ein neues Leben mit neuem Freund und neuen Hunden aufbauen, aber er weiß, dass er das Leben nie wieder besser verstehen wird als in jenem Moment. Er hat seine Lektion gelernt - und stirbt. In gewisser Hinsicht ist der Film also provokativer als alles, was ich jemals in der Mode gemacht habe. Wenn ich ein "G" aus dem Schamhaar eines Models rasieren lasse, ist das doch nur auf oberflächlicher Ebene provokant.

SZ: Sexualität in den Medien ist in der Tat nicht mehr allzu provokant...

Tom Ford:Wir haben einfach genug nackte Hintern und Brustwarzen gesehen. Mir kommt es so vor, als ob die Menschen sich gerade nicht mehr für hohle Plattitüden interessieren, sondern auf der Suche nach Werten sind, auch in der Mode. Wir sehnen uns heute eher nach Substanz.

SZ: Die Modewelt vergöttert Sie. Warum, bitte, hatten Sie eine Midlife-Krise?

Tom Ford:Als ich bei Gucci aufhörte, fing alles an. Ich hatte mein Werk aufgegeben, wusste nicht mehr, wer ich selbst war. Also habe ich angefangen zu trinken. Und dann kam ich an diesen Moment, an dem ich die Sekundenzeiger ticken hörte und mich fragte, ob ich wirklich genug aus meinem Leben mache.

SZ: Wer viel besitzt, kann sich schneller selbst verlieren.

Tom Ford:Wer alles hat, versteht irgendwann, dass Besitztümer keine wirkliche Wichtigkeit haben. Ich bin ein Kind New Mexicos: Je älter ich werde, desto weniger interessiere ich mich für Großstädte und die gegenwärtige Kultur. Deshalb bin ich gerade glücklicher auf meiner Ranch in der Mitte des Nirgendwo. Dort beobachte ich Käfer, höre der Stille zu oder reite auf meinen Pferden aus.

SZ: Die US-Starfotografin Annie Leibovitz hat Sie einmal als einsamen Cowboy am Lagerfeuer inszeniert. Sie sehen sich selbst auch so?

Tom Ford:Ich bin eher ein Einzelgänger, kein sozialer Mensch. Die Leute denken immer, dass ich als Designer jeden Abend Party machen und mich auf Events herumtreiben würde, aber ich habe für all das nichts mehr übrig. Lieber bin ich alleine oder treffe mich mit engen Freunden.

SZ: Ist die Natur für Sie Inspirationsquelle?

Tom Ford:Sie ermöglicht uns den direkten Kontakt mit dem Universum. Unsere Kultur hat diesen Anschluss verloren, aber die Indianer waren darin Meister. Das Gelände meiner Farm war einst das Zentrum der Anasasi-Einwohner, noch heute spürt man diese Schwingungen.

SZ: Schwingungen?

Tom Ford:Wer im Einklang mit der Natur lebt und früh morgens mit den ersten Sonnenstrahlen aufsteht, entwickelt eine gute Perspektive auf das Leben. All der Müll unseres sonstigen Alltags gerät in Vergessenheit. Unsere Gesellschaft hat den Kontakt mit der Erde verloren. Deshalb habe ich auch eine so große Affinität zu Hunden: Sie verspüren keine Schuld und keine Unsicherheit. Sie sehnen sich nicht nach einem größeren Haus, sondern sind einfach nur sie selbst. Sie denken nicht über den Tod nach, sondern wälzen sich auf dem Rücken, einfach, weil es sich gut anfühlt.

SZ: Klingt, als ob das glamouröse Designer-Leben Ihnen viel abverlangen würde...

Tom Ford:Ich kann gut damit umgehen, habe aber gelernt, dass all das nicht mehr wichtig ist, wenn die Stunde unseres Todes gekommen ist. Ich kann all den Luxus ja doch nicht mit ins Grab nehmen. Stattdessen werde ich sicherlich eher an die Momente denken, die ich mit meinen engsten Freunden verbracht habe.

SZ: In Ihrem Film pflegt George ein morgendliches Ritual der Eitelkeit, bevor er unter Leute geht. Wie lange dauert es, bis aus Ihnen der Tom Ford wird, den man kennt?

Tom Ford:Es dauert lange, bis ich zu dem werde, was man von mir erwartet. Vor allem wenn ich anstrengende Tage vor mir habe, vollziehe ich ein regelrechtes Ritual. Mein äußeres Auftreten empfinde ich dann quasi als Schutzschild.

SZ: Ein gutes Beispiel für Ihren Perfektionismus, den man Ihnen gerne nachsagt.

Tom Ford:Ich brauche das als Ausgleich, um mich gut zu fühlen. Es ist wie eine Maske, die man aufsetzt, um sein Innerstes vor der breiten Masse zu verbergen.

© SZ vom 20.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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