Homo-Mahnmal in Berlin:Elendige Kuss-Quote

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Im Mahnmal für homosexuelle Nazi-Opfer sind bald küssende Lesben zu sehen - die wurden aber gar nicht unterdrückt. Dabei bedarf es wohl gerade hier besonderer Genauigkeit.

Jens Bisky

In wenigen Wochen schon soll der Film ausgetauscht werden, der derzeit im Homo-Mahnmal, dem Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, gezeigt wird. Bisher sind da zwei junge Männer zu sehen, die sich innig, liebevoll, nach allen Regeln der Kunst eben küssen. Von Mai an könnten dort zwei Frauen ihre Filmkusskünste beweisen. Es wäre gewiss ebenso schön und anrührend, man sähe es mit derselben Freude und Sympathie wie jede Liebe - nur zum Denkmal würde es nicht recht passen. Ein lesbischer Kuss würde die Geschichte verfälschen, das Andenken an die Opfer für gegenwärtige Interessen instrumentalisieren, die Botschaft verzerren.

Historische Wahrheit oder sexualpolitische Bedürfnisse?

Diese Vorwürfe erhebt ein Offener Brief an den Kulturstaatsminister, Bernd Neumann. Unterzeichnet haben fast alle wichtigen Akteure des Gedenkstättenbetriebs: Volkhard Knigge von den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, zuständig auch für Sachsenhausen, Insa Eschenbach, die in Ravensbrück arbeitet, Gabriele Hammermann, die die Gedenkstätte in Dachau leitet und viele mehr. Es sei, heißt es im Brief, historisch nicht wahr, "dass lesbische Frauen im Nationalsozialismus individueller Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt gewesen seien". Nicht ein "einziger Fall einer lesbischen Frau" sei historisch belegt, "die aufgrund ihrer homosexuellen Veranlagung" in die NS-Verfolgungsmaschine geraten wäre.

Der Brief bietet Gelegenheit einen schweren geschichtspolitischen Fehler zu korrigieren. In der vergangenen Legislaturperiode waren die Vertreter der Bundestagsfraktionen und der noch neue Kulturstaatsminister vor einer Kampagne von Emma eingeknickt. Das Blatt mag seine Verdienste haben. Auf diesem Gebiet aber hat es durch Lautstärke eine vernünftige Lösung verhindert. Auch die Lebenswelt der Lesben sei im Dritten Reich zerstört worden, man habe die Freiheitsrechte der Frauen eingeschränkt, ihre Zeitschriften verboten.

Um die Errichtung des Denkmals nicht zu gefährden, einigte man sich damals auf den faulen Kompromiss der Kuss-Quotierung: Zwei Jahre schwul, zwei Jahre lesbisch. Als ob die historische Wahrheit sich nach unseren sexualpolitischen Bedürfnissen richten müsse. Der Kompromiss, eigentlich ein Skandal, wurde offiziell nie festgeschrieben. Erst jetzt, da zwei Jahre nach der Einweihung der Film ausgetauscht werden soll, kommt es zum Schwur. Die Ausschreibung läuft. Eine "gleichgeschlechtliche Kussszene" wird verlangt.

Verhöhnung der schwulen Opfer

Einer der Unterzeichner des Offenen Briefes, Eberhard Zastrau, hat auf die Absurdität der Geschichtsklitterung hingewiesen. Auf der einen Seite der Berliner Ebertstraße erinnern wir an die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden, "während auf der anderen Straßenseite unter der gleichen Überschrift, Verfolgung in der Nazi-Zeit, daran erinnert wird, dass Lesben ihrer Zeitschriftenlektüre verlustig gingen". Will man das? Das Denkmal nach einem Entwurf von Michael Elmgreen und Ingar Dragset bezieht sich ausdrücklich auf das Holocaust-Mahnmal: der Film wird in einer einzeln stehenden Stele gezeigt.

Bernd Neumann (CDU) weist die Kritik zurück, beruft sich auf den Bundestagsbeschluss und darauf, dass "ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben" gesetzt werden solle. Aber gerade dafür bedarf es wohl der Genauigkeit. Alles andere erinnerte an den DDR-Antifaschismus: Die Toten mahnen, Einzelheiten kümmern uns nicht, wir gehen den richtigen Weg.

Da die Gedenkstätten auch forschen, ist nun eine Ausstellung, nebst einer wissenschaftlichen Konferenz über die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich zu verlangen. Die Inschrift am Denkmal differenziert bereits genau nach dem derzeitigen Kenntnisstand. Den Film einfach zu wechseln, käme einer Verhöhnung der schwulen Opfer gleich, egal wie "gut gemeint" es scheint.

© SZ vom 26.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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