"Haus der Sünde" im Kino:Im Gefängnis der Inszenierung

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Nostalgische Melancholie und harter Kontrast: Bertrand Bornellos "Haus der Sünde" erzählt vom Ende der Pariser Bordelle und zeigt, wie sehr diese Gefängnisse waren. Im tiefsten Inneren ist der Film dabei auch eine Parabel auf das Showbiz und die Verteilung von Macht und Ohnmacht.

Susan Vahabzadeh

Die meisten Filmemacher stricken Geschichten um ihre Figuren herum; Bertrand Bonello sagt, er fülle Räume mit Leben. Am Anfang war L'Apollonide, das "Haus der Sünde", eine Idee davon, wie ein Bordell in Paris gewesen sein mag am fin de siècle - und in den ersten Bildern wirkt dieser Film, als würde man sich durch ein Gemälde bewegen, ein wunderschönes Haus, in dem Frauen in zauberhaften Kostümen ihre Kunden umsorgen. Schnell folgt dann eine albtraumhafte Sequenz - Madeleine (Alice Barnole), die glaubt, ihr Freier hätte eine Schwäche für sie, lässt sich fesseln - als sie ihn bittet aufzuhören, zerschneidet er ihre Wangen, die Narben entstellen sie für immer, sie ist von nun an die Frau, die lacht - immer noch Teil der Gemeinschaft im L'Apollonide, aber ohne jede Chance, sich aus dem Haus wieder zu befreien.

Der Luxus, in dem die Prostituierten leben, ist nicht ihrer - er gehört ihren Freiern. (Foto: NFP)

Der französische Filmemacher Bertrand Bonello hat sein "Haus der Sünden" im vergangenen Jahr bei dem Filmfestival in Cannes vorgestellt, er beschreibt das Leben einer Gruppe von Huren. Ob es schwierig war, die Rollen zu besetzen? "Es hat sehr lange gedauert, weil ich wollte, dass sie als Gruppe zusammenpassen und zu meiner Struktur der Gegensätze - Tag und Nacht, Reichtum und Armut, Luxus und Krankheit", sagt Bonello.

"Aber wir haben auch eine völlig falsche Vorstellung davon, wie so ein Mädchen im 19. Jahrhundert ausgesehen hat, die wollte ich vermeiden: Ein bisschen rundlich, ein Bild von Gesundheit, das die Frauen vermitteln, die damals gemalt wurden. Das als Maßstab zu nehmen ist ein wenig so, als würde jemand in hundert Jahren sagen, alle Frauen heute seien einen Meter achtzig groß und blond gewesen, weil das die Fotos in den Magazinen zeigen."

Die Huren leben in einer geschlossenen Welt - nur ein einziges Mal verlassen die Frauen das Haus, machen Picknick im Grünen, am Flussufer, gehen dort schwimmen. Man vergäße sonst leicht, dass der dekadente Luxus, in dem sie leben, für die Freier ist und nicht für sie: "L'Apollonide", sagt Bonello, "ist ein Gefängnis." Er hat die historischen Hintergründe seiner Geschichte ziemlich akribisch recherchiert, in Büchern und Archiven, mit alten Polizei-Unterlagen, sich orientiert am Pariser Le Chabanais, das unter anderem vom damaligen Prince of Wales frequentiert wurde, Königin Victorias Sohn.

"Das hat mich wirklich am meisten irritiert - ich habe vorher nicht gewusst, wie ähnlich diese Häuser Gefängnissen waren. Die Frauen gingen als freie Menschen herein, und waren sehr schnell durch ihre Schulden gebunden. Aber ein junges Mädchen hatte damals wenig Möglichkeiten, sich ein Leben in Freiheit einzurichten." Die "maisons de tolérance", wie sie zu ihrer Blütezeit im neunzehnten Jahrhundert genannt wurden, waren tatsächlich eine staatlich geregelte Angelegenheit - die Präfekturen gaben sogenannte "Duldungs-Zertifikate" aus und kassierten im Gegenzug fünfzig bis sechzig Prozent des Gewinns.

Einzelschicksale ordnen sich der Gruppe unter

Die letzten dieser staatlich geduldeten Bordelle wurden 1946 geschlossen. "Haus der Sünde" erzählt vom Verschwinden dieser Welt, die Geschichte endet mit der Jahrhundertwende - und man kann darüber streiten, ob Bonellos Blick darauf nun geschönt ist oder nicht. Sicher ist jedenfalls, dass das Ende der luxuriösen Hurenhäuser nicht das Ende der Prostitution ist, sondern nur dem Straßenstrich den Weg ebnet, den Zusammenhalt noch schwieriger macht,

"Haus der Sünde" ist im tiefsten Innern auch eine Parabel aufs Showbiz, auf die Verteilung von Macht und Ohnmacht, das Leben im Gefängnis einer Inszenierung. Bonello hat die Rollen der Madame und der Freier mit Regie-Kollegen besetzt - Noémie Lvosky, Jean Nolot, Xavier Beauvois ("Von Menschen und Göttern").

"Haus der Sünde" fließt dahin, in einer Mischung aus nostalgischer Melancholie - dazu, in hartem Kontrast, eine Kamera in permanenter Bewegung, moderne Stilmittel und moderne Musik. Der Film ist eine durchgeplante Konstruktion: Das ist eine verkopfte Art, Filme zu machen, aber sie ist nicht menschenfeindlich oder herzlos. Die Einzelschicksale der Mädchen - eine holt sich die Syphilis, eine andere wird opiumsüchtig - ordnen sich der Gruppe unter.

Bonello wollte ein System und seine Konsequenzen aufzeichnen, ohne sich allzu sehr auf einen Standpunkt festzulegen, seine Kernfrage sei, so sagt er, "wie sich das Verhältnis zum Körper auf den Geist auswirkt". In manchen Momenten ist ihm das wirklich gelungen, in jenem beispielsweise, wenn die Mädchen Abschied feiern von ihrer Welt, zu den seltsam passenden Klängen von "Nights in White Satin".

L'APOLLONIDE (SOUVENIRS DE LA MAISON CLOSE), F 2011 - Regie und Buch: Bertrand Bonello. Kamera: Josée Deshaies. Mit: Hafsia Herzi, Céline Sallette, Jasmine Trinca. MFA, 125 Min.

© SZ vom 19.04.2012/mapo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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