Griechenlands Kulturschätze:Fressen für die Geier

Lesezeit: 5 min

"Lassen wir unsere antiken Schätze doch gleich im Boden": Wie sich die Sparmaßnahmen in Griechenland auf die Museen und auf die Archäologie auswirken.

Christiane Schlötzer

Krisendialog. Sprecher sind: Dimitrios Pandermalis, Chef des Akropolis-Museums in Athen, und eine griechische Journalistin. Journalistin: "Wie viel Geld bräuchten Sie für die Ausgrabungen, Herr Direktor?" - "Viel." - "Wie viel?" - (lächelt): "Werden Sie das Geld für mich finden?"

Der Kopf einer antiken Athene-Statue bei einer Ausgrabung auf Kreta im Jahr 2005 - das reiche Erbe weiter zu entdecken und erhalten, wird während der Krise in Griechenland immer schwerer. (Foto: dpa/dpaweb)

Das neue Akropolis-Museum, ein stolzer Bau zu Füßen des heiligen Athener Hügels, wurde jüngst drei Jahre alt. Zu diesem Anlass ließ sein Direktor und Gründervater Dimitrios Pandermalis, der gewöhnlich zurückhaltend formuliert, wissen, was ihn schmerzt. Sitzt das großartige Museum mit seinen unschätzbaren Exponaten doch buchstäblich auf weiteren Schätzen. Ein Museum unter dem Museum mit antiken Funden würde Pandermalis daher gern eröffnen. Das Geld dafür war auch da, nun aber ist es weg. 3,7 Millionen Euro, so Pandermalis, waren nach der Fertigstellung seines Hauses noch übrig für das geplante Untergrundmuseum. Die mussten, so wollte es der Staat, in griechischen Papieren angelegt werden. Dann kam der Schuldenschnitt. "Nun sind es nur noch 700 000 Euro." Die Nöte eines Museumsdirektors, der einen seiner Träume nicht erfüllen kann, mögen angesichts der Dimension der griechischen Krise wie eine Marginalie wirken. Doch sie sind mehr als das.

Denn Pandermalis plagt noch eine größere Sorge für die Zukunft. Die kritische Grenze für sein Museum sind eine Million Besucher pro Jahr. Im dritten Jahr des Bestehens waren es gut 1,15 Millionen, im Jahr zuvor noch 1,3. Andernorts waren die Einbußen größer. Um fast ein Drittel sanken die Ticket-Einnahmen aller staatlichen griechischen Museen und archäologischen Stätten im ersten Vierteljahr 2012, verglichen mit dem Vorjahr.

"Wenn der Flughafen blockiert ist oder die Seeleute streiken, dann ist das schwierig für uns", sagt Pandermalis. Sein Museum muss sich, obwohl staatlich, wie eine private Einrichtung ganz aus Eintrittsgeldern, den Pachten für zwei Cafés und einem Museumsshop finanzieren. Wenn aber immer weniger Touristen kommen, die gut die Hälfte der Besucher ausmachen, dann wird es auch für das attraktivste aller Antiken-Häuser schwierig, den schon aus Sicherheitsgründen nötigen Personalstand zu halten.

Eine einzige Wächterin war am 17. Februar im antiken Olympia im Dienst, als sich zwei maskierte Räuber an einem Freitagmorgen Zutritt zu dem dortigen Museum verschafften. Sie entkamen mit Objekten aus Bronze und Ton sowie einem Goldring. Offenbar waren die Diebe Amateure, sie ließen Wertvolleres liegen. Leichtes Spiel hatten einen Monat zuvor auch Einbrecher in der Nationalgalerie in Athen. Sie erbeuteten ein Picasso-Gemälde, das der Künstler Griechenland einst geschenkt hat. Auch zwei weitere wertvolle Bilder ließen die Räuber in diesem Fall mitgehen.

Ihre Tat offenbarte allerdings auch, dass neben der gegenwärtigen Krise altbekannte Schlamperei für die Sicherheitslücken verantwortlich ist. So waren die Batterien der Alarmanlage lange nicht ausgetauscht worden, weshalb sie nicht zuverlässig funktionierte. Das Überwachungssystem arbeitete mit alten Videobändern, die immer wieder überspielt wurden und kaum brauchbar waren. Das Personal war nicht ausreichend geschult, um im Ernstfall rasch das Richtige zu tun. So steht es in einem Report von Leandros Rakintzis, dem unermüdlichen Inspektor der griechischen Bürokratie.

"Lassen wir unsere antiken Schätze doch gleich im Boden, damit sie von Archäologen im Jahr 10.000 gefunden werden können, wenn die Griechen und ihre Politiker vielleicht mehr Respekt gegenüber ihrer Geschichte zeigen", schimpfte Michalis Tiverios, Archäologie-Professor an der Aristoteles-Universität von Thessaloniki, in der griechischen Zeitung Ta Nea. Doch selbst im Boden, wie Tiverios meint, sind die Antiken nicht sicher. Raubgräber gab es immer, mit der Krise aber steigt ganz offensichtlich die Zahl der Schatzsucher.

Das Feld nicht den Kulturräubern überlassen

Illegale Grabungen hätten sich "in eine Art Sport verwandelt", klagte schon vor einer Weile die Archäologin Sophia Doukata aus dem nordgriechischen Kavala in der Kathimerini. Gegraben werde mit Vorliebe in der Nähe bekannter archäologischer Stätten, in der Hoffnung Wertvolles zu finden. "Wie Meteoritenkrater" wirkten die zwei Meter tiefen und bis zu fünf Meter breiten Löcher auf dem Berg Paggaio bei Kavala, hatte zuvor eine lokale Online-Zeitung berichtet und damit die staatlichen Antikenschützer aufgeschreckt. Die können viele der schwer zugänglichen archäologischen Stätten in der Bergregion nur zu Fuß erreichen.

Zuletzt wurden viele erfahrene Archäologen und Kunsthistoriker zwangsweise in den Ruhestand geschickt, weil der Staat dringend sparen muss, andere nahmen freiwillig ihren Abschied, um noch von den alten viel günstigeren Pensionsregelungen zu profitieren. Die blieben, denen wurden die Gehälter gekürzt. 40 Prozent seines Nettolohns habe er eingebüßt, sagt Michalis Lychounas, der das byzantinische Erbe in Ostmakedonien pflegt.

Lychounas hat sich persönlich eine Grenze "von 1000 Euro gesetzt". Falle sein Gehalt darunter, werde er den Dienst quittieren. "Gott sei Dank sind es nach den Kürzungen jetzt noch 1000", erzählt der Mann. Er liebt seine Arbeit und will das Feld nicht den Kulturräubern überlassen.

Die Gefahren durch einen allgemeinen Verfall von Recht und Moral sind vielfältig. "Die illegale Privatisierungsparty ist in vollem Gang", warnte jüngst Kathimerini. Gemeint sind jene Leute, die sich einfach ein Stück Grund und Boden nehmen (mit oder ohne Antiquitäten), auf den Inseln, in abgelegenen Landstrichen. Von 2000 Hektar Land in Staatsbesitz fanden Inspektoren in der Provinz Ileia auf der Peloponnes kürzlich nicht mal mehr 200 Hektar, die nicht durch illegale Bebauungen verschandelt waren. Der Staat wollte das Land zu Geld machen. Nun muss er sich vor einem Verkauf erst mit den Instandbesetzern herumschlagen. Kommentator Paschos Mandravelis spricht von "selbstgezüchteten Geiern", die sich des hellenischen Erbes bemächtigten.

Es gibt auch andere mahnende und besonnene Stimmen, die etwa daran erinnern, dass in Griechenland zuletzt sehr viele Museen errichtet wurden. Nicht wenige Kommunalpolitiker wollten sich damit Denkmäler setzen, "und niemand hat daran gedacht, was passiert, wenn das Geld für die Erhaltung einmal nicht mehr da ist", kritisiert Lychounas. Die griechische Archäologen-Vereinigung zählt 106 Museen und Sammlungen prähistorischer, klassischer und byzantinischer Schätze auf. Die Historikerin Kaiti Chatzi von der Demokritus-Universität in Komotini sagt, "es waren noch mehr Museen geplant".

Vom Ministerium für Bildung, Religion, Kultur und Sport erhielt Chatzi jüngst nur ausweichende Antworten, als sie wissen wollte, wie viele Häuser tatsächlich zugänglich seien. Chatzi vermutet, dass "ein Viertel bis zu einem Drittel" entweder zeitweise oder ganz geschlossen sind. Aus Personalmangel. Noch rund 900 fest angestellte Archäologen (von 1100 vor zwei Jahren) und etwa 2000 Wärter seien verantwortlich für etwa 20 000 bekannte antike Stätten und Monumente und Hunderte Ausgrabungen, so die Archäologen-Vereinigung. Zuletzt wurde nur noch Kurzzeit-Personal eingestellt. Das staatliche Budget für diesen Bereich wurde 2011 um 35 Prozent gekürzt.

Griechenlands reiches antikes Erbe kann auch eine Last sein - zumal in Zeiten der Krise. Die Vereinigung der Archäologen appelliert an die EU, Griechenland bei der Bewahrung seines nationalen Erbes zu helfen. Nun hat die EU schon große Summen investiert, in Restaurierungen in Knossos, Delphi, Olympia und Vergina und auf der Akropolis. Europa ist omnipräsent in den blauen Tafeln an vielen Monumenten, wo man auch nachlesen kann, wie viel Geld hier schon ausgegeben wurde.

"Wenn nicht für unsere Kinder und ihre Bildung, für wen?"

Die wahren Tragödien spielen sich eher jenseits der berühmtesten Stätten ab. Kaiti Chatzi, 60, die seit 13 Jahren im thrakischen Komotini lehrt, klagt, die Provinzuniversitäten müssten mit immer weniger Geld auskommen. In deren Budget wirke sich der Schuldenschnitt ebenfalls negativ aus. Weil es in ihrer Universität keine Fachbibliothek gibt, pendelt sie regelmäßig zwischen Komotini und Athen. Die Hälfte ihres auf 1500 Euro reduzierten Gehalts gehe für diese Fahrerei drauf, sagt die Professorin. "Wir leben wie Clochards." Geld fehle aber auch für Schulprogramme. "Wenn nicht für unsere Kinder und ihre Bildung, für wen pflegen wir dann unser antikes Erbe, nur für die Touristen?", fragt Lychounas.

Bürokratie, mit der Polizei gegen Raubgräber kämpfen, Ausgrabungen überwachen, Studenten betreuen - bei immer weniger Personal bleibt vieles auf der Strecke. Griechenland brauche Reformen, meint Lychounas, "aber keinen Elektroschock". Chatzi sagt, Archäologie sei in Griechenland immer ein Traumberuf gewesen, nun fänden die besten Nachwuchswissenschaftler keine Anstellung mehr. Sie könnten kaum noch publizieren oder ins Ausland fahren. "Es geht nicht nur um Gehälter, es geht um die fehlende Hoffnung, dass es wieder besser wird." So arbeiteten viele junge Archäologen nun unter widrigsten Umständen, oft monatelang ohne Lohn. Chatzi sagt, "diese jungen Menschen sind für mich Helden".

© SZ vom 01.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: