Gedichtband von Judith Holofernes:Mach dich lokko

Lesezeit: 3 min

Eine Frau, die sich einmischt: Judith Holofernes beim "Danke"-Konzert in München. (Foto: Getty Images)

Judith Holofernes, Frontfrau von Wir sind Helden, schreibt jetzt Tiergedichte. Die kann man albern finden. Oder sich berühren lassen.

Von Elisa Britzelmeier

Ein Popmusiker ohne aktive Band braucht nichts dringender als eine Aufgabe. Die einen machen nach der Auflösung alleine musikalisch weiter und werden mit der Solokarriere erst richtig erfolgreich (Robbie Williams). Andere versuchen sich als Modedesigner (Gwen Stefani). Die nächsten finden eine wohltätige Beschäftigung, die sie über ihre Relevanz als Musiker hinauswachsen lässt (Bob Geldof). Und dann gibt es noch solche, die Bücher schreiben - wie Madonna (Kinderbuch), Sven Regener (u.a. "Herr Lehmann") und jetzt Judith Holofernes.

Seit ihre Band Wir sind Helden im Jahr 2012 eine nicht näher bestimmte Pause verkündete, hat die Sängerin einen Blog gestartet, ein Soloalbum herausgebracht, Twitter lieben gelernt und Solidarität für Flüchtlinge gezeigt, zuletzt mit einem Auftritt beim "Danke"-Konzert auf dem Münchner Königsplatz. Jetzt veröffentlicht sie ihr erstes Buch, "Du bellst vor dem falschen Baum" ist ein Lyrikband mit Tiergedichten.

Da geht es um Maki, Marabu, Lemuren, Wisent und Gnu. Auch Fuchs, Kuh und Schaf haben ihren Auftritt, und der Hund. Dessen Unterhaltung mit dem lyrischen Ich - "Du sagst: Hrrr!! Ich sag: Du bellst vor dem falschen Baum" - liefert den Titel. Holofernes' Vorliebe gelten aber ungewöhnlicheren Arten. Wie der Vollmeise oder dem Tuberkelhokko. Der wohl vor allem deshalb, weil man so schön "mach dich lokko" darauf reimen kann, und weil er Wortspielereien zulässt wie "Tuberkelhuhn? / Tuberkelgeier? / Tuberkulöser / Truthahn? Reiher?". Überhaupt reimt sich hier alles. So auch die Qualle: "Qualle, olle / hast nicht alle / Machst im Urlaub / uns noch malle."

Brehms Tierleben trifft Bilderbuch

Das klingt nicht nur verspielt, es sieht auch so aus: Die Gedichte werden von Bildern umrahmt, die mal feinstrichige Zeichnungen sind, mal Fantasie-Collagen in Lindgrün, Tiefblau, Ockergelb und Gedämpftrot. Brehms Tierleben trifft Bilderbuch. Das hat etwas Kindlich-Naives, das aber auch denjenigen gefallen dürfte, die auf ledergebundene Taschenkalender und handgeschöpftes Geschenkpapier stehen. Illustratorin Vanessa Karré und Holofernes kennen sich schon länger: Karré gestaltete das Cover zum Wir sind Helden-Album "Von hier an blind" (2005), damals war es ein Comic im Tim-und-Struppi-Stil.

Dass Holofernes jetzt Gedichte schreibt, verwundert kaum. Denn eigentlich hat sie das schon immer getan. Fans dürften einige der Texte kennen. Von Holofernes' Blog, aber auch aus Helden-Songs. Und so kommt es, dass man etwa bei "Elefant" gar nicht anders kann als beim Lesen die Melodie mitzusummen, "ich werde riesengroß für dich / ein Elefant für dich".

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Plötzlich ist es wieder 2005 oder noch früher. Guten Tag, Aurélie, so klappt das nie, hol den Vorschlaghammer!

Wir sind Helden waren Mainstream und trotzdem ein bisschen alternativ, deutsch und trotzdem cool, waren leise Melancholie und zugleich wildes Hüpfen. Und vor allem waren die Helden immer: die Band mit den guten Texten. Hinter diesen Texten stand Holofernes. Sie waren konsumkritisch, sie waren nachdenklich, sie waren lustig, und ja, sie waren verspielt und verschraubt und voller Andeutungen. Da sagte man "den Untergang ab, ohne runterzuschauen", da gab es "endlich Grund, los Panik", da heilte "die Zeit alle Wunder", da sang man "meine Fäuste für ein müdes Halleluja", und "wenn du schon auf den Mund fallen musst, warum dann nicht auf meinen?". Dass Holofernes' Gedichtband nun ebenso verspielt ist, wirkt logisch.

Ins Allgäu, weil die Stille dort stiller ist

Ebenso wie die Songtexte bleiben die Gedichte aber nicht nur an der spielerischen Oberfläche. "Tiergedichte für Erwachsene" nennt Holofernes ihren Band. Wenn die Tiefseefische im gleichnamigen Text gefragt werden: "dass euch nie einer sieht / ist doch noch lang kein Grund / so auszusehen, oder?", dann kann man das lustig finden oder nur albern. Man kann sich aber auch berühren lassen davon. Da fährt ein Mann zum Meditieren ins Allgäu, weil die Stille dort stiller klingt, und das Ich sich von der Welt bedrängt sieht. Es sind nicht nur Bilder von Frohsinn und Leichtigkeit, manchmal klingt eine leise Traurigkeit durch.

Fans hehrer Lyrik rümpfen wahrscheinlich die Nase. Aber das haben die bei den Helden-Songs ja auch schon getan. Für ihre Fans dagegen war Judith Holofernes längst eine der besten deutschsprachigen Poetinnen. Ihnen dürfte es mit ihrem Lyrikband so gehen wie Erwachsenen mit alten Kinderbüchern: Man blättert gerne darin.

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