Plattenkabinett:Lady Dada und das Opossum

Judith Holofernes.

"James Cameron/ Zieh Du doch nach Amrum/ Und schraub an 'nem Damm rum", singt Judith Holofernes auf ihrem ersten Soloalbum.

(Foto: Four Music)

Welches Reimschema ist das gleich nochmal? Judith Holofernes drückt die Schulbank, der Bombay Bicycle Club schwebt über Bangkok und bei Die Nerven gibt's richtig was aufs Maul. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Thierry Backes

Mädchen hassen Judith Holofernes. Eine "einzige wandelnde Klagemauer" sei die Frau, schrieb die Kollegin Martina Holzapfel neulich auf jetzt.de, "eine von siebzehntausend langweiligen, ewig gleichen Zeigefinger-Frauen, die (...) nie zugeben würden, dass sie jetzt eigentlich gern mal einen richtig fett triefenden Big Mac Double McTasty kaufen und in sich reinfressen würden".

Das ist natürlich unfair. Und ein wenig 2014. Oder 2008. Im Sommer 2005 jedenfalls, als Holofernes noch einer deutschen Indiepop-Band vorstand, die mehr Menschen vor die kleine Bühne des Southside-Festivals lockte als andere vor die große, sangen ganz schön viele Mädchen mit, wenn sie über Aurélies Akzent sang oder über Blasen werfende Endorphine. Und die Jungs? Reckten Plakate in die Luft, auf denen Zeug stand wie: "Judith, ich will ein Kind von Dir."

Nun ist Holofernes 37 Jahre alt und hat zwei davon, natürlich nicht mit den Jungs aus dem Publikum, sondern mit ihrem Drummer. Sie schreibt wieder Songs, und weil das bei ihr immer etwas mit ihrem Privatleben zu tun hat, geht es auf "Ein leichtes Schwert" eben um Babys oder eine Liebe, die sich mit eben diesen abkühlt ("Liebe Teil 2 - jetzt erst recht"). Wer an der Stelle große Erkenntnis erwartet oder gar eine Botschaft, wird enttäuscht. Holofernes bleibt auf ihrem ersten Soloalbum vage, den Zeigefinger hebt sie ganz bestimmt nicht. Stattdessen gibt sie immer wieder die "Lady Dada" (Holofernes über Holofernes), wenn sie in "Opossum" dichtet:

"Possum, Possum, Beutelratte/ Liegst ermattet auf der Matte/ Hoffst bis heute, dass der netten Ratte/ Das den Beutel rette."

Das führt zurück in die Schule und zu der Frage: Welches Reimschema ist das gleich nochmal? Anderes Lied ("John Irving"), gleiche Aufgabe:

"Hans Zimmer/ Du machst alles schlimmer/ Du und das Gewimmer/ Deiner Geigen Gebt Ruh./ James Cameron/ Zieh Du doch nach Amrum/ Und schraub an 'nem Damm rum/ Oder schau dabei zu."

Das führt jetzt in die Kinderstube. Judith Holofernes sitzt auf dem Bett mit ihrer Ukulele und summt ihren Kleinen ein selbstgeschriebenes Gute-Nacht-Lied vor. Darin kommen Wörter vor wie Trampel, Spatz oder streicheln, Holofernes-Wörter, ohne Zweifel, aber eben auch solche, die Achtjährige verwenden. Was dem Album dagegen abgeht, sind neue Ideen. Die Berlinerin klingt solo nicht viel anders als zu Heldenzeiten, ihr Wortwitz ist ein wenig eingeschlafen. Aber müssen die Mädchen von heute sie deswegen hassen? Auf keinen Fall. Die Jungs übrigens auch nicht.

Diese Mahlzeit passt am besten zur Platte: Bärenwurst (aus dem Bio-Supermarkt, versteht sich).

Dieses Lied muss auf mein nächstes Mixtape: "Pechmarie".

Wer dieses Album hört, geht auch: ins Müttercafé.

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Bombay Bicycle Club - So Long, See You Tomorrow

Es gibt Städte, in denen kein Mensch auf die Idee kommen würde, aufs Rad zu steigen. In Mumbai, das muss jetzt folgen, ist das bestimmt auch so. Was den Namen einer jungen Band aus London erklärt, die, obwohl sie 2008 den NME New Band Award gewann gegen so namhafte Mitbewerber wie The XX oder Mumford & Sons, außerhalb von Großbritannien noch nicht so richtig Fuß gefasst hat. Die Band heißt Bombay Bicycle Club und steht mit ihrem vierten Album in fünf Jahren nun erstmals ganz oben in den UK-Charts.

Doch blicken wir nach Bangkok. Seit ein paar Jahren bietet dort ein verrückter Holländer namens Andre Breuer Touristen eine Tour an, die bei der Luftfeuchtigkeit durchaus zur Tortur werden kann: Auf dem Rad führt er einen einmal quer durch den Moloch, mitten durch Wellblechghettos hindurch in den Urwald (das ist im Wortsinn zu verstehen) und in die Rush Hour. Wer als Fahrgast noch keine Angst vor Tuk Tuks hatte, der entwickelt sie spätestens jetzt.

Ein Mann wie Andre Breuer braucht abends Entspannung. Er findet sie etwa bei einem Cocktail in einer der Rooftop-Bars auf dem Dach eines noblen Hotels in Bangkok, und das ist genau der Ort, an dem man die Kopfhörer aufsetzen möchte, um "So Long, See You Tomorrow" zu hören. Dieser Indiepop lässt einen abheben und über die Lichter der Stadt schweben.

Schon "Overdone", das erste Stück, hypnotisiert einen mit seiner Mischung aus Gitarren und Bollywood-Sound, zu "Feel" landet man in einer Hängematte irgendwo in der Karibik. Frontmann Jack Steadman ist in den vergangenen beiden Jahren viel rumgekommen, nun bereichert er die Tanzmusik der Vorgängerplatte "A Different Kind Of Fix" mit seinen Eindrücken. Entstanden ist so ein kaleidoskopisches Werk, das einen zwar nicht umhaut - man schwebt ja -, aber auch nicht im CD-Regal verstaubt.

Dieser Drink passt am besten zur Platte: der Tom Yam Siam.

Dieses Lied muss auf mein nächstes Mixtape: "Overdone".

Wer dieses Album hört, geht auch: ins Yoga.

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Die Nerven - Fun

Die Hamburger Schule ist nicht tot, sie ist nur umgezogen. Nach Stuttgart diesmal. Von dort erreicht uns eine Platte, die der Kollege von Spiegel Online schon zu einer "der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts" hochgeschrieben hat. So weit wollen wir nicht gehen, aber:

Endlich gibt es mal wieder kräftig aufs Maul.

"Fun" - der Titel des neuen Albums von Die Nerven klingt erstmal nach DJ Bobo. Doch das trifft es, sagen wir, nicht ganz. "Fun", das ist in verzerrte Gitarren gepresste Wut, gemischt mit einer Portion Depression. Es enthält Stücke, die "Ich erwarte nichts mehr" heißen, "Angst" oder "Albtraum". In "Eine Minute schweben" schreit Sänger Max Rieger: "Wer ich bin, ist nicht so wichtig/ Hauptsache, man lässt mich in Ruh." Und in "Hörst du mir zu?" singt er: "Das ist immer noch Dein Leben/ Auch wenn Du selbst nichts mehr entscheidest."

Es gäbe noch viel zu schreiben über diese trotzigen Jungs und ihre lässige, für Punkrock sogar ziemlich vielseitige Musik, doch manchmal tut es auch ein Link. Auf ihrem Tumblr haben Die Nerven ihre liebsten Kommentare zu "Fun" veröffentlicht. "Textlich auf Jugendzimmer-Niveau", steht da und "Hipsterband für alte Szenesäcke".

Manchmal ist man das gerne, ein alter Szenesack.

Diese Mahlzeit passt am besten zur Platte: eine saftige Blutwurst.

Dieses Lied muss auf mein nächstes Mixtape: "Und ja".

Wer dieses Album hört, geht auch: zu Kraftklub.

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