Fernsehen und Unterschicht:Das Leben und Sterben der Jade Goody

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Der öffentliche Tod ist längst Teil der Mediengesellschaft. Und doch setzt das Sterben der Jade Goody neue Maßstäbe.

Ruth Schneeberger

Es sterben viele Menschen in diesen Tagen in aller Öffentlichkeit. Die meisten unfreiwillig, von anderen soll die Öffentlichkeit etwas lernen. Ob Tod, Leid, Krankheit oder Ekel - wir sind hautnah dabei.

Bis dass der Tod sie scheidet: Sie hat vor Fernsehkameras gelebt, sie ist vor Fernsehkameras gestorben. Wie Jade Goody zu Großbritanniens neuer Ikone wurde - in Bildern. (Foto: Foto: Getty Images)

Als der 17-jährige Tim K. Anfang März 2009 in seiner Schule mit der Waffe Vergeltung für vermeintliches Mobbing einforderte, mehrere Menschen und schließlich sich selbst ermordete, ließ Bild auf der Online-Seite ihre Leser das Drama von Winnenden durch das Fadenkreuz nachspielen - um der großen Nachfrage der Öffentlichkeit nachzukommen, möglichst viel über den Fall zu erfahren.

Als der 59-jährige Craig Ewert aus dem Nordosten Englands im Jahr 2006 durch einen rosa Strohhalm einen tödlichen Cocktail einnahm, der ihm von der Sterbehilfeorganisation Dignitas in der Schweiz verabreicht wurde, wusste der Vater zweier Kinder bereits, dass ihm zwei Jahre später Menschen auf der ganzen Welt bei seinem selbstgewählten Freitod zusehen würden. Er wollte es so - die Dokumentation sollte im Fernsehen laufen, um die Zuschauer über die Möglichkeit des freiwilligen Selbstmordes zu informieren. Die Öffentlichkeit reagierte vorwiegend mit Abscheu.

Im Stillen

Als die Italienerin Eluana Englaro mit 21 Jahren nach einem Autounfall ins Wachkoma fiel, berichtete ihr Vater, sie habe schon vorher, nach dem Unfalltod eines engen Freundes, mit ihm darüber gesprochen, dass sie nie künstlich am Leben erhalten werden möchte. 17 Jahre später, Anfang Februar 2009, schloss sie für immer die Augen - nachdem auf Wunsch des Vaters und mit Erlaubnis des Obersten Gerichtshofs in Rom die künstliche Ernährung der inzwischen 38 Jahre alten Frau eingestellt worden war. Die Öffentlichkeit nahm daran regen Anteil - rund um die Sterbehilfe war in Italien ein wahrer Glaubenskrieg entbrannt.

Als Regisseur Christoph Schlingensief Anfang 2008 mit 47 Jahren an Lungenkrebs erkrankte, beschloss er, sich in aller Öffentlichkeit mit der Krankheit, die ihn fast das Leben gekostet hätte, zu beschäftigen. Zurzeit ist das Ergebnis in Form des Theaterstücks "Mea Culpa" am Wiener Burgtheater zu sehen. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek antwortete auf Schlingensiefs Krankheitstheater in der vergangenen Woche mit einem Blog namens Tod-Krank.doc - sie hatte auch schon nach dem österreichischen Inzest-Drama 2008 zur spitzen Feder gegriffen.

Und damit wären wir nun endgültig bei den großen Dramen des Lebens angelangt, an der die Öffentlichkeit umso lieber teilnimmt, je mehr sie normalerweise im Stillen stattfinden. Die aktuelle Geschichte vom öffentlichen Sterben spielt in Großbritannien, jenem Land, in dem Aufstieg und Karriere wenigen vorbehalten ist, die die richtige Schulbildung genießen.

Als Ausweg aus dem Dilemma boten sich bisher der Pop und der Fußball an. Hier konnten begabte Proletarier leicht Millionär werden. Inzwischen ist das Fernsehen hinzugekommen, wie das Leben der Jade Goody zeigt. Sie kam aus der Unterschicht - und endete als Idol der Nation.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Jade Goody zur Ikone wurde.

Großbritannien, das war auch das Land von Diana, Princess of Wales, die 1997 bei einem bis heute nicht ganz geklärten Autounfall im Alter von 36 Jahren in einem Pariser Tunnel starb. Sie wurde als "Prinzessin der Herzen" beerdigt. An diesem Tag war ganz England in Trauer - nicht ein einziger Kiosk hatte in London geöffnet. Dafür türmten sich an ihrem Grab die Blumen so hoch, dass im Fernsehen zu ihrem Andenken noch 2008 eine Diana-Doku die nächste jagte.

Was bisher Staatsoberhäuptern und Königshäusern vorbehalten war, nämlich die heldenhafte Verehrung zum Lebensende, wird nun einem Menschen zuteil, der weder staatslenkend noch sonstwie geadelt war: eben Jade Goody. Sie hat am Sonntag im Alter von 27 Jahren ihr Leben gelassen - und ihr Sterben war den britischen Medien bis jetzt umgerechnet mehr als eine Million Euro wert.

Die Britin war zu Lebzeiten höchst umstritten. Vom kriminellen Vater als Zweijährige verlassen, von der durch einen Motorradunfall mehrfach versehrten Mutter mit der Drogenszene in Kontakt gebracht, wurde Jade Goody mit 21 Jahren Englands jüngste Kandidatin der Fernsehknastshow "Big Brother". 2002 machte sich die englische Öffentlichkeit, in der die Container-Show wesentlich beliebter als in Deutschland ist, zunächst noch über ihr Aussehen lustig.

An "Miss Piggy" wurde der Begriff des Chavies diskutiert: Mit ihrer lauten, vulgären und Konkurrentinnen gegenüber oft beleidigenden Art wurde ein Typus der neuen britischen Gesellschaft in Verbindung gebracht. Das "Oxford English Dictionary" sieht hier einen jungen Menschen, "oft ohne einen hohen Grad an Bildung, der einer bestimmten Mode folgt". Mit schlechten Manieren wurde Jade Goody berühmt - dadurch wurden Designerklamotten ihr erst ermöglicht.

Alles lief gut

Die öffentliche Aufmerksamkeit erbrachte ihr eine Autobiographie, ein eigenes Parfum ließ nicht lange auf sich warten. Alles lief gut für das Mädchen aus ärmlichen Südlondoner Verhältnissen, der Erfolg gab ihr recht. Bis sie 2007 mit Mutter und Freund zu einer Celebrity-Folge von "Big Brother" eingeladen wurde - und auf den indischen Filmstar Shilpa Shetty stieß. Jade Goody, dafür war sie nun einmal bekannt, lästerte lautstark über den Bollywood-Star.

Der Unterschied zu ihren bisherigen Äußerungen: Sie brachte die hübsche Shilpa zum Weinen - und wurde fortan als Rassistin betitelt.

Prompt musste sich der Schatzkanzler und spätere Premier Gordon Brown bei seinen indischen Kollegen öffentlich entschuldigen. Und genauso prompt wurde das böse Mädchen in den indischen Container eingeladen - zur Versöhnung. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Fall Goody eine rein indisch-britische Angelegenheit.

Doch dann erfuhr Jade - natürlich im Container - von ihrer Krankheit, einer besonders aggressiven Form von Gebärmutterhalskrebs. Und entschloss sich, den Kampf gegen die Krankheit im Fernsehen zu führen. Sie hat ihn am Sonntag verloren. Doch ihre Familie - und vor allem ihre Kinder - sind fortan zumindest finanziell gut versorgt. Auch ihre Beerdigung, das hat ihr Medienberater schon anklingen lassen, soll ein öffentliches Ereignis der "Jade Goody Productions" sein.

Jade Goody's öffentliches Leben ist die weibliche Variante der "Truman Show". Sie lebte für und durch die Medien. Sie ist ein Beispiel dafür, dass das Leben die unglaublichsten Geschichten immer noch selbst schreibt. Doch im Unterschied zu Truman hat Jade Goody die Öffentlichkeit selbst gewählt. Das Mädchen von der Straße spielte mit den Medien - und nutzte sie so zu ihren Gunsten. Am Ende ging sie als gefühlte Gewinnerin hervor. Das Publikum war zu jeder Zeit hautnah dabei.

"Mutige Frau"

Goodys öffentlicher Todeskampf wurde in Großbritannien geschätzt - weil sie immer betont hat, dass der Erlös ihren Kindern zugutekommen soll. Premier Brown bezeichnet die Zahnarzthelferin, für die er sich einst öffentlich entschuldigen musste, nun öffentlich als "mutige Frau" - die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen für Gebärmutterhalskrebs steige. Im Vereinigten Königreich gilt Jade Goody jetzt als Ikone.

Zwei Dinge kann man aus der Geschichte lernen:

Erstens: Es ist kein Zufall, dass dies in einem Land passiert, in dem noch ein Königshaus regiert, dessen Mitglieder öffentliche Skandälchen produzieren und Steuergelder verschlingen, und in dem eine upper class weitgehend unter sich bleibt. Für den "kleinen Mann", der sich darüber ärgert, muss die medial zelebrierte Traumhochzeit einer Jade Goody und ihre noch bevorstehende Glamour-Beerdigung so etwas wie Genugtuung sein.

Zweitens: Unangenehme Begleiterscheinungen des Lebens wie Krankheit, Ekel und Tod werden zunehmend in der Öffentlichkeit zelebriert. Was bisher im Stillen passierte, wird medial. Tabus werden aufgebrochen. Das könnte auf den ersten Blick sehr gut sein. Der Fall Jade Goody aber zeigt: Auf diese Weise können wir den Tod noch so sehr an die Öffentlichkeit zerren, über ihn selbst oder den rechten Umgang mit ihm ist damit noch lange nichts gesagt.

Die Truwoman-Show trifft auf den größten aller Brüder - ein trauriges Märchen, aber wahr.

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