Politiker-Forderungen nach Amoklauf:Zwei Tage später: Das große Gerede

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Niemand weiß, warum Tim K. in Winnenden tat, was er tat. Dafür gibt es wieder erstaunlich viele, die Antworten auf Fragen haben, auf die es wohl nie endgültige Antworten geben wird.

Thorsten Denkler, Berlin

Es ist immer gut, dass nachher alle wissen, was vorher hätte getan werden müssen, um ein Ereignis wie den Amoklauf von Winnenden zu verhindern. Darin zumindest liegt ein Stück Beständigkeit im Umgang mit solchen Verbrechen. Politiker, Funktionäre, selbsternannte und dazu gemachte Experten - alle werden gefragt. Und alle geben bereitwillig Antwort auf Fragen, die sie im Grunde nicht beantworten können.

Äußert sich nicht zum ersten Mal zum Thema Gewalt im Internet: Familienministerin Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz im Februar 2007. In der Hand hält sie ein sogenanntes Killerspiel. (Foto: Archivbild: AP)

Die beiden zentralen Fragen angesichts solcher Taten lauten: Wie war das möglich? Wie kann verhindert werden, dass so etwas noch einmal passiert? Ehrliche Antworten wären: Die Ursache lässt sich nicht mit letzter Sicherheit ergründen. Und: Verhindern kann man solche Taten eigentlich nicht.

Von Politikern aber wird erwartet, dass sie für Probleme Lösungen präsentieren, selbst wenn die Lösungen mit dem Problem im Grunde nichts zu tun haben. Es ist ein Dilemma, in dem alle stecken, die jetzt gefragt werden, das Unfassbare zu erklären. Sie wissen nichts, müssen aber so tun. Und sie müssen den Anschein erwecken, Forderungen genügten.

Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) etwa will einen Alarmknopf in Chatrooms. Darauf sollen Chat-Teilnehmer klicken, wenn jemand im Chat ein Verbrechen ankündigt. Mal abgesehen davon, dass solche Alarmknöpfe längst Teil der Selbstverpflichtung deutscher Chatroom-Anbieter sind: Mit dem aktuellen Fall hat das nach jüngsten Erkenntnissen nicht zu tun. Die angebliche Tat-Ankündigung von Tim K. in einem Chatroom war wohl eine Fälschung.

Selbst wenn die Ankündigung echt gewesen wäre: Wer soll diese Information denn auswerten und die richtigen Schlüsse daraus ziehen? Amokdrohungen gibt es in den Bundesländern zu Hunderten im Jahr. Da den einen herauszufischen, der wirklich ernst macht, ist nahezu unmöglich. Ganz zu schweigen von dem Daueralarm, mit dem das Land dann belegt wäre.

Von der Leyen musste das alles nicht wissen, als sie ihren Vorschlag am Donnerstagabend in einer Talkshow machte. Sie hätte aber zumindest einen wichtigen Grundsatz beachten können: Erst die Analyse, dann daraus - wenn notwendig - Handlungen ableiten.

Bis der Amoklauf aber gänzlich aufgeklärt und analysiert ist, wird es noch einige Zeit dauern. Wenn es überhaupt je eine abschließende Analyse geben kann. Über die Motive und Auslöser für den Amoklauf von Robert Steinhäuser in Erfurt wird noch heute spekuliert.

Komplexe Erklärungen sind derzeit aber nicht gefragt. Die schnelle Lösung muss her. Von der Leyens Vorstoß ist da nur ein schlechtes Beispiel von vielen. Die einen wollen Zugangssperren und Video-Überwachung an den Schulen. Hätte das Tim K. abhalten können? Wohl nicht. Andere fordern, stärkere Kontrollen von Waffenbesitzern. Wer sieht, dass in manchen Landkreisen ein bis zwei Beamte mehrere tausend Waffenbesitzer zu kontrollieren haben, der weiß um die Unmöglichkeit dieser Aufgabe.

Alte Reflexe

Wieder andere wollen schon reflexartig Killerspiele verbieten. Dabei gibt es zum einen noch keinen echten Beweis, dass Killerspiele tatsächlich reale Gewalt auslösen. Noch weiß zur Stunde wohl auch die Polizei nicht, in welchem Umfang Tim K. Spiele wie Counter Strike genutzt hat, die sich auf seinem Computer befunden haben sollen. Im Übrigen würde ein Verbot ohnehin kaum einen Spieler abhalten können, sich ein indiziertes Spiel zu besorgen.

Politiker, Experten und Medienschaffende brauchen Zeit zum Nachdenken, bevor sie Lösungen präsentieren können. Ihnen dies zu gestatten, würde die Unterstützung für die Überlebenden vielleicht etwas mehr in den Vordergrund rücken. Dies ist bei einer solchen Tat wichtiger als viel Gerede.

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