TV-Kritik: "Hart aber fair":Nicht mehr atmen

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Darf man selbst entscheiden, wann man sterben möchte? Ein Pfarrer, ein Arzt, ein Schauspieler und zwei Politikerinnen diskutierten mit Plasberg fair, aber nicht hart.

Ruth Schneeberger

Um mal ein Geheimnis zu verraten: Niemand weiß, wann das Ende kommt. Es weiß auch niemand, wie es aussieht, und ob es wirklich das Ende ist. Insofern war das, was Frank Plasberg und seine Gäste in der Nacht zu Donnerstag bei "Hart aber fair" zu besprechen hatten, eine Diskussion in das Allerblauste hinein, was man überhaupt diskutieren kann.

Walter Jens ist seit 2004 demenzkrank. (Foto: Screenshot: ARD)

Das Thema lautete, um das Thema Tod und die damit unschön verquickten Themen Sterbegleitung und Sterbehilfe einzugrenzen: Patientenverfügung. Seit Monaten ringt der Bundestag um die Frage, ob eine Patientenverfügung gesetzlich geregelt werden muss, und wenn ja, wie diese dann aussehen sollte, um gesetzlich gültig zu sein.

Welch unklare Vorstellungen über solch eine Patientenverfügung bestehen, und wie im letzten Moment, nämlich im Krankenhaus oder Sterbehospiz, damit umgegangen wird, das machte die Runde von "Experten" klar, die sich selbst nicht einig waren, was gängige Praxis sei.

Den besonnensten Eindruck machte der katholische Pfarrer Wolfgang Picken, seines Zeichens Sterbebegleiter und Gründer der ersten integrierten Hospize in der Altenpflege. Jeder Mensch habe ein Grundrecht auf ein würdevolles Ende, was für ihn heißt: begleitetes Sterben. Zugleich habe aber auch jeder die Pflicht, sein Sterben vorzubereiten - um Ärzte und Angehörige nicht allein zu lassen mit den Entscheidungen in letzter Minute. Er selbst, 41-jährig, habe seit 20 Jahren eine Patientenverfügung, die er alle fünf Jahre aktualisiere.

Vorbildlich fand das Frank-Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer. Jeder Patient, forderte er, müsse nicht nur eine Patientenverfügung schreiben, sondern auch einen Betreuer bestellen, und diesem drittens eine Vollmacht ausstellen, damit eine Vertrauensperson den letzten Willen gültig regeln könne.

Ob man sich gegen eine künstliche Ernährung per Magensonde ausspricht, nicht beatmet werden möchte oder welche lebensverlängernden Maßnahmen man noch ablehnt - all das müsse möglichst genau schriftlich dargelegt werden, damit eine Patientenverfügung gültig sei, gab die Redaktion Tipps in einem Einspielfilm.

Kurzschlussentscheidungen

Und genau da greift die Kritik der CDU-Politikerin Julia Klöckner: Sie vertritt die Auffassung, dass Patientenverfügungen gesetzlich geregelt sein müssen, und dass der Staat den Bürger vor Kurzschlussentscheidungen in Bezug auf seinen eigenen Tod schützen muss. Sie berichtete von Patienten, die längst tot wären, wenn man sich an ihre Patientenverfügung gehalten hätte, in denen sie sich dagegen ausgesprochen hätten, jemals "an Schläuchen zu liegen". Diese Patienten erfreuten sich inzwischen wieder bester Gesundheit, weil man bei jeder Blindarmoperation an Schläuche angeschlossen wäre und es in diesen Fällen nie um Leben und Tod gegangen sei. Klöckner vertritt mit der CDU die Ansicht, dass Patientenverfügungen nur im Zustand des Sterbens Anwendungen finden sollten.

Dagegen wehrte sich Luc Jochimsen, ehemalige Chefredakteurin des hessischen Rundfunks, und nun Bundestagesabgeordnete der Linken. Kein Mensch dürfe gegen seinen Willen am Leben erhalten werden. Julia Klöckner, so ihre Kritik, greife das Grundrecht auf Selbstbestimmung an. Im übrigen hätten Sterbende durchaus auch dann Möglichkeiten, ihren Willen kundzutun, wenn sie nicht mehr sprechen könnten. Sie würden ihren Todeswunsch etwa durch Nahrungsverweigerung äußern - oder einfach nicht mehr trinken, so Jochimsen.

In der Tat vermittelte Klöckner, die im übrigen die gesamte Sendezeit über grinste, den Eindruck, sie traue den Patientenverfügungen nicht so recht. Sie selbst hat ihre eigene offenbar zerrissen, wollte aber nicht sagen, warum. Dies war der einzige Moment, da der Moderator in gewohnter "Hart aber fair"-Manier nachhakte - allerdings ohne Ergebnis. Auch er hatte aus Anlass des ernsten Themas ein passendes Gesicht aufgesetzt, erinnerte damit aber eher einen Beerdigungsunternehmer als an einen Investigativjournalisten.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wer Schmackes in die Runde brachte.

Schmackes musste deshalb ein Schauspieler in die Runde einbringen, der wusste, wovon er sprach: Michael Lesch, der nach eigenen Aussagen ein Jahr lang durch die Hölle gegangen ist und den Krebs besiegt hat, konnte glaubhaft deutlich machen, warum er die Meinung vertritt, man dürfe einem Mensch den Willen, zu gehen, wenn er nicht mehr leiden möchte, nicht verwehren. Ansonsten müsse nämlich der Arzt entscheiden, wann jemand aus dem Leben scheiden dürfe - das sei eben die "Arschkarte Arzt". Rührend machte er deutlich, dass er an diesem Abend seinen neunten Geburtstag feiere, im neunten Jahr nach Beginn seiner Krankheit.

Schlagzahlen machte der Fall der 13-jährigen Britin Hannah Jones, die ein Loch im Herzen hat und nicht mehr leben möchte. Nach 8 Jahren Medikamententherapie und Schmerzen sehnt sie sich nach Erlösung. Ihre Eltern - und inzwischen auch die Ärzte - akzeptieren ihren letzten Wunsch. (Foto: Foto: ap)

Es stellt sich in der Tat die Frage, ob einige, die engagiert über das Thema diskutieren, vielleicht das Glück haben, sich noch nicht eingehend genug damit beschäftigt haben zu müssen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Angehörigen in schöner Regelmäßigkeit unterschwellig unterstellt wird, sie wollten ihre sterbenden Familienmitglieder loswerden? Das mag bei kriminellen Erbschleichern der Fall sein - wie perfide aber dieser Vorwurf ist, zeigt nicht nur der Fall der 13-jährigen sterbewilligen Britin Hannah Jones, sondern auch der Fall von Walter Jens.

Für sich selbst

Walter Jens, der als Schriftsteller, Hochschullehrer und Rhetorik-Experte jahrelang für ein Recht auf Selbstbestimmung bis zum Ende gekämpft hat, verbringt nun, demenzkrank, seine letzten Jahre zeitweilig auf einem Bauernhof. Genau so, wie er es nie gewollt hat, als er sagte, für ihn sei das Schreiben wie das Atmen. Wenn er nicht mehr schreiben könne, wolle er nicht mehr leben. Die Redaktion hatte seinen Sohn, den Journalisten Tilman Jens, geladen, der Auskunft geben sollte, warum man dem Vater seinen letzten Wunsch nicht erfülle, und ob er den Eindruck habe, dass er trotzdem glücklich sei.

Walter Jens, so sein Sohn, habe die gesellschaftliche Debatte sehr engagiert geführt - für sich selbst habe er allerdings im letzten Moment anders entschieden, beteuerte sein Sohn. Auf Nachfragen Plasbergs gab er allerdings zu, dass die Familie ihm, so lange er es noch selbst hätte entscheiden können, verschwiegen habe, wie ernst es um ihn stehe. Man sei sich allerdings sicher, dass er "den letzten Schritt" nicht gegangen wäre, dass er also keine Sterbehilfe gewünscht habe. Er lebe nun, so weit es möglich sei, zufrieden, und habe selbst in einem hellen Moment geäußert: "Aber schön ist es doch!"

Am rührendsten daran ist wohl, dass Walter Jens damit zum Ende seines Lebens wiederum zu einer Debatte beiträgt, die er sein Leben lang führen wollte: dass über das Ende des Lebens diskutiert werden darf und muss. Dass die Wünsche der Menschen geäußert und gehört werden. Insofern hat dieser Abend nützliche Aspekte eines großen Themas angerissen und viele Seiten zu Wort kommen lassen, die alle ihre Berechtigung haben und noch viel mehr gehört werden müssen.

Bis dahin muss sich der Zuschauer allerdings mit der Erkenntnis zufrieden geben, dass die Umsetzung seiner Patientenverfügung, so er denn eine besitzt, davon abhängt, wie die Ärzte den aktuellen körperlichen Zustand des Patienten und seine geistige Verfassung beim Verfassen der Patientenverfügung einschätzen, und nicht zuletzt, wie es um sein monetäres Vermögen steht. Denn bei Vermögenden, so ließ sich aus den Worten des Ärztevertreters heraushören, ist man mit Patientenverfügungen besonders vorsichtig, weil mit dem potentiellen Erbe auch die Eigeninteressen der Angehörigen wachsen könnten. Das wiederum aus einer Talkshow zu erfahren, ist hart - aber fair.

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