Europäischer Filmpreis:Die Not der Nichtbeachtung

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Die Bühne wie ein Gefrierfach: Beim Europäischen Filmpreis probte der Ruhrpott schon mal Kulturhauptstadt - und die tapfere Anke Engelke prallte ab an einer Wand aus Arroganz.

Hans Hoff

Mitten in der zweistündigen Show zur Verleihung des Europäischen Filmpreises machte die Gastgeberin des Abends deutlich, wie wichtig einige Akteure diese Feier wirklich nehmen. Da begrüßte Anke Engelke die Schauspielerinnen Charlotte Gainsbourg, Penélope Cruz und Kate Winslet, hockte sich auf den Rand einer Couch und plauderte los. Die Couch aber blieb leer. Die nominierten Damen hatten es, wie so viele andere Kollegen auch, vorgezogen, der Veranstaltung fernzubleiben. "Sie können unsichtbare Frauen spielen, und wenn Sie sie nicht sehen können, dann ist das Ihr Problem", belehrte Engelke mit sauberer Ironie die Zuschauer in der etwas zugigen Bochumer Jahrhunderthalle. Danach bekam Winslet den Preis als beste europäische Schauspielerin zugesprochen und ließ schön grüßen.

Regisseur Volker Schlöndorff begrüßt die zu bemitleidende Moderatorin des Abends, Anke Engelke, in der Jahrhunderthalle in Bochum. (Foto: Foto: dpa)

Man konnte die tapfere Engelke nur bemitleiden an diesem Abend. Da versuchte sie mit ein bisschen Komik das international besetzte Haus zu ein bisschen Emotion zu verführen - und prallte ab an einer Wand, gemauert aus Bräsigkeit, Arroganz und übersteigerter Selbstliebe. Genauso gut hätte sie mit ihrem exzellenten Englisch auch vor einer geöffneten Kühlschranktür versuchen können, die Milch zu rocken. Das Ergebnis wäre dieselbe eisige Angelegenheit geblieben. So konnte sie nur ein bisschen rühren in dem zähen Europudding.

Dass Michael Hanekes "Das weiße Band" mit drei Preisen (bester Film, Drehbuch, Regie) zum großen Sieger wurde, darf da noch als Höhepunkt gewertet werden - auch wenn es nach der Goldenen Palme in Cannes, und auf halbem Weg zu den Oscars, gewiss keine Überraschung mehr war. Man habe ihm bei einer früheren Preisverleihung mal Unfreundlichkeit attestiert, erzählte Haneke bei der Übergabe, beeilte sich aber festzustellen, dass er sich wirklich freue. Und dann sagte er noch, dass sein Film ein wirklich europäischer sei, weil er doch eine deutsch-österreichisch-französisch-italienische Koproduktion ist. An diesem Abend klang das ein bisschen, als tauge jede grenzüberschreitende Zusammenarbeit schon als Qualitätsbeweis.

"Lang lebe der europäische Film in all seiner Vielfalt und seinem Reichtum", posaunte der britische Regisseur Ken Loach, der für sein Lebenswerk geehrt wurde, am Ende seiner Dankesrede, in der er darauf hinwies, dass die Mehrzahl der nominierten Filme von den meisten Menschen in Europa wohl eher nicht gesehen werden können, weil es in ihrer Gegend eben keine Arthouse-Kinos gebe.

Von mehr als nur ein paar Menschen ist wohl "Slumdog Millionär" gesehen worden, jene England zugerechnete Produktion, die komplett in Indien spielt. Prompt gab es den Publikumspreis und dann noch den für die beste Kamera. Regisseur Danny Boyle war zumindest anwesend, nahm die Preise aber auch mit eher dürren Dankesworten entgegen. Danach hakte es mehrfach in der Dramaturgie des Abends, und die Bühne wirkte in blauem Neon wie ein Gefrierfach. Mehrfach klangen ungewollte Pausen nach Peinlichkeit, und eine Band aus Kraftwerk-Adepten fummelte wirr an Laptops herum. Schließlich probte Engelke mit der spanischen Schauspielerin Victoria Abril ein europäisches Sangesduett über das Thema von "Stille Nacht". Bei der in diesem Moment höchst treffenden Zeile "Alles schläft, einsam wacht", brach die Gastgeberin indes ab. "Das macht keinen Sinn", sagte sie. Wie wahr.

Irgendwann wurde dann noch der französische Newcomer Tahar Rahim für sein in der Tat sensationelles Spiel in dem Gangsterepos "Un prophète" ausgezeichnet, bekam Isabelle Huppert einen Preis für ihr europäisches Wirken im Weltkino und der polnische Regisseur Andrzej Wajda den Kritikerpreis. Huppert dankte auf Französisch und Wajda auf Polnisch, was von einem neben ihm stehenden Dolmetscher eher schwer verständlich in die Amtssprache des Abends, ins Englische, übersetzt wurde. Die Frage, ob irgendjemand einen Film drehen würde, in dem die Akteure wie bei dieser hakeligen Zeremonie abwechselnd gutes und schlechtes Englisch, Französisch, Polnisch und auch mal Spanisch sprechen, blieb weitgehend unbeantwortet.

In Bochum war man schon zufrieden, dass es für Loach, Huppert und Wajda dreimal Standing Ovations gegeben hatte und dass die Zuschauer während der Verleihung nicht dauernd mit ihren Handys beschäftigt waren. Es überwog allenthalben die Freude, solch ein Ereignis am Vorabend des Kulturhauptstadtjahres in die Region gezogen zu haben. Dass etliche wichtige Akteure den Weg in den Pott nicht gefunden hatten, wurde geflissentlich ignoriert. Aus der Not der großen Nichtbeachtung entstand so die im Ruhrgebiet schon traditionell gern gepflegte Tugend der Freude über das bisschen, das man hat. Sehr schön hatte das Anke Engelkes russisches Alter-Ego Ludmilla schon vorab in einem Einspieler auf den Punkt gebracht: "A potato in the hand is better than a bullet in the head."

Im Video: "Das weiße Band" ist in diesem Jahr der große Gewinner beim Europäischen Filmpreis. Gleich dreimal ist der Schwarz-Weiß-Film, der in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg spielt, am Samstagabend in Bochum geehrt worden.

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© SZ vom 14.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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