"Es" im Kino:Amerikas Albclown

Es

Bill Skarsgård spielt den bösen Clown Pennywise in Andy Muschiettis Film "Es".

(Foto: Warner Bros.)

Die Kinoadaption von Stephen Kings "Es" ist weniger ein Horrorfilm mit Teenagern als ein Teenagerdrama mit Horrorelementen. Und gerade deshalb so packend.

Von David Steinitz

Als in Hollywood noch Pappmaché-Puppen eingesetzt wurden, um Monster zum Leben zu erwecken, entstand ein Kinogenre, das man mit dem Titel "miserable Stephen-King-Verfilmungen" überschreiben könnte. Viele Adaptionen seiner Werke sind aus dem profanen Grund missglückt, dass die Special Effects im vordigitalen Filmgeschäft noch nicht gut genug waren, um seine Albtraumvisionen umzusetzen. Deshalb möchte man sich lieber nicht an Trash-Produktionen wie etwa "Der Rasenmähermann" erinnern.

Zum siebzigsten Geburtstag des Autors rollt nun eine Welle von Verfilmungen an - natürlich auf dem neuesten Stand der Technik. Der US-Sender Audience hat aus seinem Roman "Mr. Mercedes" eine aufwendige TV-Serie gemacht, und Netflix hat sich seinen Roman "Das Spiel" vorgenommen. Der Film geht Ende September online.

Tagsüber arbeitete King als Lehrer, nachts in der Reinigung. Immer trank er. Und schrieb

Mit der größten Spannung wurde aber die Neuverfilmung seines Mammutromans "Es" erwartet, die in den USA zwischenzeitlich Platz eins der Kinocharts besetzte und so viel Geld einspielt, dass selbst das Filmstudio überrascht ist. Die amerikanischen Branchenanalysten prophezeien bereits, dass der Film nach einem schwachen Sommer im Alleingang die Jahresbilanzen der amerikanischen Kinos retten wird. Weit über 200 Millionen Dollar hat "Es" umgesetzt, für einen Erwachsenenfilm mit hoher Altersfreigabe eine absolute Seltenheit. Nun startet der Film in Deutschland.

Dabei ist es fast ein Wunder, dass Stephen King die Vorlage überhaupt schreiben konnte. Schon in den frühen Siebzigerjahren, vor dem großen Erfolg, war er schwerer Alkoholiker. In seinem Buch "On Writing" aus dem Jahr 2000 hat er diese Zeit beschrieben: dass er schon trank, als er mit Ende zwanzig mit seiner Frau und zwei Kindern in einem Trailer im ländlichen Maine lebte. Tagsüber arbeitete er als Englischlehrer, nachts stand er in einer Reinigung an der Mangel, weil das Geld nicht reichte - dazwischen setzte er sich neben einen Berg zerdrückter Bierdosen zum Schreiben hin. So entstanden Kurzgeschichten in klassischer Pulp-Tradition, die in Herrenmagazinen erschienen, und schließlich, 1974, der Roman "Carrie", sein Durchbruch.

In den achtziger Jahren war Kings Kokain-Sucht aus dem Ruder gelaufen

Plötzlich war er reich und konnte sich auf das Schreiben konzentrieren, aber die Verlagsschecks reichten nun nicht nur fürs Bier, sondern auch für Kokain. In den Achtzigerjahren war die Kokain-Sucht so aus dem Ruder gelaufen, dass King sich Tampons in die Nase stecken musste, wenn er sich über seine Schreibmaschine beugte, weil er Nasenbluten bekam. Manche Bücher aus dieser Zeit, "Tommyknockers" zum Beispiel, lesen sich, als seien sie in Abwesenheit des Verfassers entstanden. King hat kürzlich dem Rolling Stone erzählt, er könne sich bei einigen Romane nicht mal mehr erinnern, wann er sie überhaupt geschrieben habe.

In dieser Phase sind aber auch einige seiner Klassiker entstanden, die von erstaunlicher Nüchternheit und Klarheit geprägt sind. Besonders unheimlich fand King später, dass er es überhaupt nicht mit seinem eigenen Leben in Zusammenhang brachte, dass "The Shining" von einem alkoholkranken Schriftsteller und Vater handelte, der langsam dem Wahnsinn verfällt.

In diesem Gemütszustand schrieb er zwischen 1981 und 1984 den Roman "Es". Es gibt darin obskure Passagen, die eher vom Kokain als von King geschrieben erscheinen, zum Beispiel eine kleine Philosophie des Universums, das angeblich von einer gutmütigen Schildkröte geschaffen wurde. Gleichzeitig ist "Es" aber auch ein Roman über das Ende der Kindheit und das Buch, in dem er seine ganze Meisterschaft jenseits der Monster zeigt.

King beschreibt die Jahre des Heranwachsens im amerikanischen Hinterland mit einer Zärtlichkeit, die in der jüngeren amerikanischen Literatur einmalig ist. Die Geschichte spielt in den Fünfzigerjahren in der fiktiven Kleinstadt Derry im Bundesstaat Maine, seiner Heimat, in der er bis heute lebt. Sie handelt von sieben Kindern, sechs Jungs und ein Mädchen, die sich zum "Club der Verlierer" zusammenschließen. Sie sind diejenigen, die in der Schule in die Toilette gesteckt und vom Gerüst geschubst werden. Für Antihelden hatte King immer ein großes Herz.

King beschreibt die Welt, wie sie sich mit 13 angefühlt hat, mit liebevoller Präzision. Wie eine eiskalte Dr.-Pepper-Cola an einem heißen Sommertag schmecken kann und wie das Gefühl der ersten Verliebtheit so heiß in einem Jungen aufsteigt, dass er den Kopf ins kühle Gras pressen muss.

Die Lebenswirklichkeit besteht zunächst vor allem aus aufgeschürften Knien, selbstgebauten Dämmen, klapprigen Fahrrädern, sehr viel Eiscreme und all den anderen Verheißungen eines langen Spätsommers in einem Alter, in dem Zucker und erste Küsse fürs große Glück noch vollkommen ausreichend sind.

Ein Amerika in Unordnung

Mit derselben Genauigkeit beschreibt er aber auch die Demütigungen der Kindheit und die erste Einsicht in die Fehlbarkeit der Erwachsenenwelt. Der Club der Verlierer wird mit einem namenlosen Grauen - Es - konfrontiert, das in der Kanalisation haust und die Kleinstadt heimsucht. Es tötet Kinder und nimmt unterschiedliche Gestalten an, am liebsten die des Clowns Pennywise, einer Monsterfigur mit Reißzähnen.

Pennywise verkörpert jenen Albtraum, von dem Stephen King eigentlich erzählen will: von einem Amerika in Unordnung, uramerikanischen Wahnvorstellungen, Neurosen und Vorurteilen, die die Kleinstadt Derry im Griff haben. In Derry werden Schwarze gejagt, Schwule verprügelt, Mädchen belästigt - die Welt ist auch ohne den Clown schon schlimm genug. "Es" ist in diesem Sinne weniger ein Horrorroman, also kein Buch, das Angst machen will, sondern ein Buch, das vom Angsthaben erzählt. Angst vor einer konfusen Erwachsenenwelt; Angst vor einer erwachenden Sexualität, anfangs noch unschuldig, dann fast diktatorisch; Angst vor der Last der Geschichte.

Welchen Einfluss diese Geschichte auf eine ganze Generation hatte, lässt sich besonders gut in Hollywood beobachten, wo Filmemacher schon seit Jahren relativ ungeniert in der Erzählung und ihrem Figurenpersonal plündern. Das kaltschnäuzigste, aber auch gelungenste Beispiel dafür sind die Brüder Matt und Ross Duffer, die für Netflix die Serie "Stranger Things" machen - ein einziges "Es"-Mashup.

Die Erwachsenenwelt ist in einem desolaten Zustand

Aber auch das Original selbst weckt in Hollywood seit seinem Erscheinen Begehrlichkeiten. 1990 gab es eine zweiteilige Adaption für das amerikanische Kabelfernsehen. Der Film von Tommy Lee Wallace hatte mit Tim Curry einen furchterregenden Clown, aber leider verlor er sich in der zweiten Hälfte im Monster-Trash (Pappmaché!).

Die Romanrechte wurden dann ein paar Jahre herumgereicht, und es war bei den vielen Fans nur eine Frage der Zeit, bis "Es" wieder an die Reihe kommen würde. Besonders eifrig um eine Neuverfilmung beworben hatte sich Cary Fukunaga, der die erste Staffel der HBO-Serie "True Detective" inszeniert hat und seitdem in Hollywood als Regiegenie gilt. Er zerstritt sich aber mit dem Filmstudio Warner und warf sein Herzensprojekt ein paar Wochen vor Drehbeginn hin.

Schließlich wurde der bislang eher unbekannte Argentinier Andy Muschietti engagiert, der zwar erst einen Spielfilm gedreht hat - den Horrorfilm "Mama" -, sich aber trotzdem als genau die richtige Wahl für diesen Stoff erweist. Muschietti beschloss, nur die erste Hälfte des Romans zu verfilmen. Im Buch gibt es noch eine zweite Zeitebene, in der die Kinder längst zu jenen Erwachsenen geworden sind, die sie nie hatten werden wollen und die nun in ihre Kleinstadt zurückkehren. Diese Episode soll in einem zweiten Teil, der für 2019 angekündigt ist, verhandelt werden. Jetzt, im ersten Film, wollte er sich ganz auf die Coming-of-Age-Geschichte und das amerikakritische Weltbild der Vorlage konzentrieren.

Dafür hat er die Handlung von den Fünfzigern in die späten Achtzigerjahre verlegt, um sie sanft zu modernisieren, aber trotzdem noch vom digitalen Zeitalter fernzuhalten. Ansonsten bleiben er und seine Koautoren bis auf ein paar kleinere dramaturgische Verdichtungen und Auslassungen nah an Kings Vorlage. Und dies bedeutet, dass der Film weniger ein Horrorfilm mit Teenagern geworden ist als ein Teenagerdrama mit Horrorelementen.

Die Kleinstadt Derry ist in diesem Film eine Geisterstadt, sie sieht aus, als sei Donald Trump schon seit fünfzig Jahren Präsident. Die Erwachsenenwelt ist in einem desolaten Zustand der Abschottung und Ausgrenzung, die Lehrer, Eltern und Ladenverkäufer sehen aus wie die Zombieversion von Erziehungsberechtigten - die kindlichen Helden sind ganz auf sich allein gestellt.

Während das Horrorkino in den letzten Jahren oft ins Pornografische gekippt ist, mit blutigen Folterexzessen in Nahaufnahme, setzt Muschietti mehr auf eine gruselige Gesamtstimmung wie kurz vor der Apokalypse, ein permanentes Unwohlsein, wie es Stanley Kubrick in seiner King-Verfilmung von "The Shining" vorgemacht hat. Noch wichtiger als Vorbild ist aber das Abenteurerdrama "Stand By Me" von 1986. Der Film beruht auf einer Kurzgeschichte von Stephen King, in der eine Gruppe Jugendlicher eine Leiche im Wald entdeckt und die der Autor selbst als Testlauf für "Es" bezeichnet.

Wie bei dieser Verfilmung ist das größte Kunststück von "Es" die Besetzung der Jugendlichen. Andy Muschietti hat Jungdarsteller gefunden, die genau dem Roman entsprechen und die diesen Film mit flapsigen Dialogen, wie man sie nur mit 13 austauschen kann, aber auch mit ihrer Angst und Ungläubigkeit vor den monströsen Dingen des Lebens tragen. Eine Coming-of-Age-Geschichte, in der man das Auftauchen des Clowns fast schon als Störfaktor bezeichnen kann - aber auch das entspricht ja dem Geist der Vorlage.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: