Deutsch-Russisches Museum wiedereröffnet:Aus der Perspektive des Opfers

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Den Schrecken des Krieges nachgehen: Sowjetische Kriegsgefangene. Ihr Hungertod war Programm. (Foto: Deutsch-Russisiches Museum Karlshorst)

Hier unterzeichnete die Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation: Das Deutsch-Russische Museum beherbergt nun eine neue Dauerausstellung. In ihrer Mitte stehen nicht Schlachten, nicht Generäle, sondern das Leiden der Einzelnen. Der Schrecken des Krieges wird so besonders spürbar.

Von Jens Bisky, Berlin

Das wichtigste Ausstellungsstück des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst ist das Haus, in dem es residiert, samt der historischen Räume. In den dreißiger Jahren wurde es als Offizierskasino der Wehrmachtspionierschule errichtet. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 unterzeichneten Keitel, von Friedeburg und Stumpff in diesem Haus die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht.

In den folgenden Jahren saß hier der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. Nach 1967 war der Kapitulationssaal öffentlich zugänglich, als Prunkstück im damals neuen "Museum der bedingungslosen Kapitulation", einer Außenstelle des Zentralen Museums der Streitkräfte in Moskau.

Noch können sich Tausende daran erinnern, wie sie als Pioniere, FDJler oder NVA-Soldaten einen Film über die Minuten der Kapitulation sahen, wie sie neugierig oder gelangweilt vor den Waffen im Garten des Museums standen, wie sie die Texte aus sowjetischen Plakaten zu entziffern versuchten.

Das historische Filmdokument läuft heute noch in Endlosschleife. Mit dem Abzug der sowjetischen Truppen hatte sich die Bundesrepublik verpflichtet, den Ort zu erhalten.

Im Mai 1995 wurde das Deutsch-Russische Museum eröffnet, ein Versuch der ehemaligen Kriegsgegner, nun gemeinsam an den Schrecken zu erinnern, der für die einen der Krieg im Osten, für die anderen der Große Vaterländische Krieg gewesen war. Damals besaß das Deutsche-Historische Museum noch keine Dauerausstellung, gab es das Mahnmal für die ermordeten Juden noch nicht, und der "Topographie des Terrors" fehlte noch das eigene Gebäude.

Da sich die Berliner Gedenkstättenlandschaft in den vergangenen fünfzehn Jahren gewaltig verändert und professionalisiert hat, wurde nun die Dauerausstellung des Deutsch-Russischen Museums neu gestaltet. Die Militärtechnik steht noch im Garten, der Kapitulationssaal sieht aus wie immer, auch das Arbeitszimmer des Marschalls Shukow kann man weiterhin besichtigen.

Heroisierende Erinnerung ist uns fremd geworden

Vernünftigerweise hat auch der Gedächtnisraum von 1967 seine Gestalt weitgehend behalten, die an das Ehrenmal in Treptow erinnert. Ein Diorama über den Sturm auf den Reichstag, ebenfalls aus dem Jahr 1967, hält für den Besucher die Einsicht bereit, wie fremd uns diese Formen heroisierender Erinnerung geworden ist. Ratlos stehen wir davor. "Wer hat vollbracht all die Taten / Die uns befreit von der Fron?/ es waren die Sowjetsoldaten / Die Helden der Sowjetunion", hieß es bei Johannes R. Becher.

Die neue Dauerausstellung im Obergeschoss macht es dem Besucher hingegen nicht so einfach. Sie zwingt ihn, den Schrecken dieses Krieges detailliert nachzugehen. Nicht die großen Schlachten, nicht die Entscheidungen der Generäle stehen im Mittelpunkt, sondern das Erleben der einzelnen, vor allem der Opfer. Aus guten Gründen verfährt man inzwischen nahezu überall so. An diesem Ort ist es erlaubt, verschiedene Perspektiven einzunehmen, die Schnappschüsse deutscher Soldaten neben den Aufnahmen sowjetischer Fotoreporter zu betrachten.

Unter den gut tausend Objekten sind 560 Fotografien, viele davon nur schwer zu ertragen: die Aufnahmen der Galgen, ein Foto von der Züchtigung eines Bauern durch Wehrmachtssoldaten, Bilder von Massengräbern, Pogromen, von hungernden Gefangenen oder "Filmaufnahmen eines unbekannten österreichischen Wehrmachtsangehörigen über die Demütigung und Hinrichtung eines Partisanenverdächtigen", 1941/42".

So ordentlich und besucherfreundlich das neue Ausstellungsdesign ist - wer sich auf die Lebensgeschichten, die Momentaufnahmen des Alltags im Vernichtungskrieg einlässt, will, immer wieder, hinauslaufen. 27 Millionen Sowjetbürger verloren in diesem Krieg ihr Leben, 14 Millionen davon waren Zivilisten.

Auch das Erleben sowjetischer Soldaten wird im Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst zum Thema gemacht: Sowjetischer Angriff bei Kursk. (Foto: Deutsch-Russisches Museum Karlshorst)

Der Hungertod der Zivilbevölkerung war ebenso eingeplant wie der Tod der sowjetischen Kriegsgefangenen. "Armut, Hunger und Genügsamkeit erträgt der russische Mensch schon seit Jahrhunderten. Sein Magen ist dehnbar, daher kein falsches Mitleid", meinte im Juni 1941 ein Staatssekretär des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Man liest es, sieht Hungernde, sieht in einer Vitrine - dramatisch ausgeleuchtet - Jacke und Mütze eines Kriegsgefangenen. Sechzig Prozent von ihnen, 3,3 Millionen Menschen, verloren ihr Leben.

Selbstverständlich kommen auch die Schicksale deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion vor; Aktenvermerke erinnern an vergewaltigte Frauen; der Hitler-Stalin-Pakt kann nachgelesen werden; eine Karte erinnert an die Deportationen unter Stalin; Plakate erzählen von der Zusammenarbeit in der Anti-Hitler-Koalition: "This man is your FRIEND", steht da über dem schematischen Porträt eines russischen Soldaten, und darunter: "He fights for FREEDOM".

Die Kleinteiligkeit der Ausstellung ermöglicht es, sehr viele Themen anzusprechen, einzelne Schicksale darzustellen: ermordete Roma, Partisanen, Kollaborateure, die Hungernden von Leningrad, deutsche Kriegsgefangene, die im Juli 1944 durch Moskau geführt werden, Ilja Ehrenburg, der Berliner Stadtkommandant Nikolai Bersarin.

Immer lebensbedrohlich

Vieles von dem, was seit dem Ende des Kalten Krieges für Aufregungen, für Diskussionen sorgte, kommt vor. Sowjetische Veteranen müssen ebenso wenig enttäuscht sein wie die Enkel deutscher Soldaten. Beide Seiten im gnadenlos geführten Krieg kommen zu Wort, und mehr als einmal ahnt man, wie verwickelt, unklar und immer lebensbedrohlich das konkrete Geschehen für die Beteiligten gewesen sein muss.

Der Platz reichte nicht, so der Direktor des vom Bund bezahlten Museums, Jörg Morré, die Geschichte auch der Nachkriegszeit zu erzählen. Nun, das wäre ein lohnendes Thema für mehr als eine Sonderausstellung.

Um das Jahr 2000 hat das Museum mit mehreren kleinen Ausstellungen den erinnerungspolitischen Streit nach Kräften befördert. An diese Tradition könnte man anknüpfen. Warum nicht mit der sehr unterschiedlichen Erinnerung an den mörderischsten Krieg beginnen, den Europa bisher erlebt hat, mit der Frage etwa, warum es in Deutschland noch kein Denkmal für die sowjetischen Kriegsgefangenen gibt.

Deutsch-Russisches Museum, Berlin-Karlshorst. Zwieseler Straße 4. www.museum-karlshorst.de.

© SZ vom 25.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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