Bühne:Zeigen, was den Unterschied macht

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Der junge Regisseur Kieran Joel inszeniert "Romeo und Julia" zur Spielzeiteröffnung am Münchner Volkstheater

Von Sabine Leucht

Sein Theaterwissenschafts- und Philosophiestudium ist ein Gerücht, das so manches Haus, an dem Kieran Joel inszeniert hat, auf seiner Website noch zementierte. Dabei wäre die FU Berlin nur eine Option gewesen, wenn es mit dem Regiestudium nicht geklappt hätte. Die Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch aber hat den heute 32-Jährigen, der in einem "100-Einwohner-Kaff" an der Nordsee aufgewachsen ist, auf Anhieb genommen. Und so ist Joel seit diesem Frühjahr Diplomregisseur. Seine Abschlussinszenierung "Johanna d'Arc" kam an der Berliner Volksbühne zur Premiere. Ans Theater geriet der spät bühnensozialisierte Abiturient "aus Zufall": Ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Hamburger Stadtteilkulturzentrum, "naiv jugendliches Interesse am Schauspiel" und etwas ernsthafteres am Film führten ihn als Hospitant ans Thalia-Theater. 2008 brachte ihm ein Musikvideo zu "Allein allein" von Polarkreis 18 ("Wir haben einfach die Bandmitglieder in Norwegen auf Berge gestellt und sind das mit dem Hubschrauber abgeflogen") eine Echo-Nominierung ein.

Und dann hat er allerlei rund um Theater und Film gemacht. Mal eine Lesung, bei "Wetten dass... ?" Kabel geschleppt - und schließlich drei Jahre am Theaterhaus Jena assistiert. Über die dort entstandenen Arbeiten will er nicht weiter reden: "Das sind meine kleinen Geheimnisse, die mit dem, was ich heute mache, nichts zu tun haben." Zu beschäftigt mit Vorbildern und "Coolsein" sei er damals gewesen. Und zu nah dran an den Schauspielern. Erst das Studium, sagt er, habe ihm geholfen, "Situationen zu verdichten" und eine eigene Sprache zu entwickeln. Wie die ist? Der Abteilungsleiter Regie/Dramaturgie der Ernst Busch gab Joel zum Hamburger Körber Studio Junge Regie eine Empfehlung mit, in der er von Spiellust statt dem heute so angesagten Streben nach Authentizität schrieb und Joels "entfesseltem" Kollektiv ein "utopisches Potenzial" bescheinigte. Na ja, sagt der Mann mit den kurzen schwarzen Locken, "Rampensäue und Schauspieler, die nur auf sich selbst schauen und eh schon Bescheid wissen, würden mich nie interessiere". Er halte viel von der "Dialektik von Schauspieler und Spieler", dem Theater als sinnlichen Ort und der Komik. "Denn der Lacher ist der einfachste Moment der Erkenntnis. Er macht den Unterschied."

Ein neuer Blick auf die alte Geschichte mit dem unverwüstlichen Kern. Carolin Hartmann als Julia und Jakob Immervoll als Vertreter der Capulets. (Foto: Gabriela Neeb)

Vom "Unterschied" redet er oft, dieser Schnellsprecher und Noch-Schneller-Denker, der zum Interview aus der Beleuchtungsprobe gekommen ist. Am Mittwoch hat seine Version von Shakespeares "Romeo und Julia" im Volkstheater Premiere. Eine Woche zuvor war das Ende noch nicht klar, denn - so Joel - "für Enden brauche ich immer sehr lange". Sie hängen davon ab, wo die emotionale Energie hin will. Dabei ist bei der Liebesgeschichte der Weltliteratur doch eigentlich alles klar: Julia nimmt das Elixier, das sie nur tot erscheinen lassen soll, Romeo sieht sie da liegen, nimmt echtes Gift - und als sie erwacht, folgt sie ihm in den Tod. Jede Menge Verzweiflung und eine Liebe, die gegen alle äußere Widerstände brennt und sich erst im gemeinsamen Tod erfüllt.

Der Regisseur lässt Silas Breiding als Romeo und Carolin Hartmann als Julia ihre Geschichte erzählen, "natürlich in dem Bewusstsein, dass es die beste Liebesgeschichte aller Zeiten ist". Der Ort, von dem aus sie das tun, "darf unscharf bleiben. Wir lassen sie nicht zweihundert Jahre später in Berlin Marzahn gelangweilt voreinander sitzen". Eher als um den Moment der Desillusionierung geht es um das gegenseitige Sich-Vergegenwärtigen der Zeit, "wo wir noch nicht um den hochgeklappten Klodeckel gestritten haben, sondern auch der andere noch unscharf war. Nicht nur in der Liebe, auch im Konsum ist es ja so: Das, was wir haben, verliert an Wert."

Kieran Joel studierte Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Seine Diplominszenierung "Johanna d'Arc" war an der Berliner Volksbühne zu sehen. (Foto: Volkstheater)

Kieran Joel hält es mit dem Sozialphilosophen Alain Badiou, der den Blick auf das, was wir Liebe nennen, von allerlei Vorstellungen verstellt sieht. "Wir sind ja so zivilisiert", sagt Joel, dass wir selbst zu wissen meinen, wie Liebende aussehen und handeln. Julia zum Beispiel - oder die Prinzessin Eboli in Schillers "Don Karlos". "Aber warum stellen wir sie uns eigentlich immer heulend und mit runtergelassener Hose vor?" In seinem zu den Internationalen Schillertagen in Mannheim geladenen "Herzensstück" war die Eboli so stark, dass sich "Kritiker um die 60" nicht vorstellen konnten, wie man sich in so eine Frau verlieben könne. Gerade das reizt ihn aber: den gewohnten Blick zu brechen. Zum Beispiel auf die Balkonszene, die "immer wieder gleich gelesen und gemacht wird": Romeo auf den Knien und sie oben?

Bekannte Stoffe geben mehr Freiheit und sind ihm deshalb lieber

Das Theater als Museum, in dem es "selbstreferenziell um Schauspielkunst geht", lässt ihn kalt. "Mein Theater ist dem Moment verpflichtet - ein Ort, an dem man mit Menschen spricht. Und für Spieler wie Regisseur ist es zentral, sich immer auch selbst im Blick zu haben". In gewisser Weise inszeniert er nicht das Stück, sondern "wie wir als junge Menschen heute darauf schauen". Da kann der Lüstling Mercutio schon mal zum rationalen Zweifler und "Camus'schen Clown" geraten oder Paris mit der algorithmengestützten Empfehlung einer Online-Partnerbörse beim alten Capulet vorsprechen. Und Videofilme, auch wenn Joel selbst keine mehr dreht, gehören bei ihm so selbstverständlich dazu wie Bühnenbild, Kostüme und Musik.

Ob er einen Klassiker macht oder eine Uraufführung sind für den Mann in der roten Trainingsjacke "zwei so verschiedene Sportarten wie Tischtennis und Fußball". Bekannte Stoffe, "bei denen die Vorstellung für den Zuschauer zu Hause schon beginnt", geben mehr Freiheiten und sind ihm lieber. Im November wird er im Kölner Theater am Bauturm "Don Quijote" inszenieren. Es folgt Gorkis "Kinder der Sonne" in Bern: "Das wird eine Herausforderung. Nicht inhaltlich, sondern von der Form her. Damals hat das Publikum auf der Bühne sich selbst gesehen. Heute haben wir Nachrichten und das Internet. Um den Leuten die Welt zu zeigen, wie sie ist, brauchen wir das Theater nicht." Es geht wieder darum, den Unterschied zu machen.

Romeo und Julia, Premiere: Mittwoch, 27. September, 19.30 Uhr, Volkstheater

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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