Body Count:Woher kommt nur diese irre Schnittwunde auf der Brust?

Lesezeit: 4 min

"Niemand, der bei klarem Verstand ist, will Präsident werden": Body-Count-Frontmann Ice-T. (Foto: Sony Music)

 "Bloodlust", das neue Album von Body Count, ist eine umfassende Vermessung von Gewalt und ihrer Ursprünge. Und der bislang brutalste Kommentar zur Präsidentschaft Trumps.

Von Jakob Biazza

Bevor die Gewalt sich Bahn bricht und das Blut fließt, auf diesem sehr guten und sehr wichtigen Album, lieber noch geschwind das niedliche Youtube-Video von "Little Punk People": In dem Interviewformat stellt der zwölfjährige Eliott Fullam wunderbar milchbärtige Fragen an Film- und Rockstars. In der aktuellen Ausgabe sitzt er - im Gesamteindruck einem Oreo Cookie nicht ganz unähnlich - zwischen Ice-T und Ernie C, also dem Frontmann und dem Gitarristen von Body Count, und will wissen, was die denn tun würden, wenn sie US-Präsident wären - und Superkräfte hätten? Oder welchen Song auf ihrem neuen Album sie selbst am liebsten mögen?

Diese Art Fragen also. Und faszinierend ist nun, mit was für einer tief freundlichen, onkelhaften Souveränität Ice-T antwortet - im Hauptberuf ja immer noch so etwas wie Gangster-Rapper. Wie ernst er sein Gegenüber nimmt, wenn er dem "lil' Homie" erklärt, dass nun wahrlich niemand, der bei klarem Verstand ist, Präsident werden wolle. Aber dass Unsichtbarkeit sicher die beste Superkraft sei. Seine Lieblingssongs auf der neuen Platte sind übrigens "This Is Why We Ride" und "The Ski Mask Way". Begründung: "I like playing the bad guy on records" - er spiele auf Alben gerne den Bösewicht.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Es hilft, diese Worte, und den - man hätte ja nicht gedacht, diesen Begriff im Zusammenhang mit Ice T mal zu verwenden - sehr bezaubernden Kerl im Hinterkopf zu behalten, der sie spricht, wenn das neue Body-Count-Album "Bloodlust" (Century Media) in seinen vollen Blutdurst kippt. Auf Songs wie den genannten. Vor allem aber auf "Here I Go Again", ein Stück, das auch stärkeren Mägen viel abverlangt. Es ist erzählt aus der Sicht eines triebgesteuerten Serienmörders, der zunächst die Spuren seiner nächtlichen Streifzüge sortiert - kurz aufblitzende Bilder von Verstümmelungen, Geschrei, blutige Bettlaken, Matsch an den Füßen. Und woher kommt nur diese irre Schnittwunde auf der Brust?

Parataxen des Grauens sind das, vorgetragen in trägen, schlammigen Raps, die sich über einen dumpf-verschleppten Shuffle-Groove schmieren. Dazu metallische Schreie gefolterter Seelen und eine geifernde Stimme, die immer drängender nach mehr Blut verlangt - und bekommt. Insgesamt eher Hörspiel-Wahnsinn als Song also.

Das Album ist so nicht weniger als eine recht umfassende Vermessung der verschiedensten Formen menschlicher Unmenschlichkeiten. Der unzähligen Abarten von Gewalt und ihrer Ursprünge - und zwar als Frontbericht, erzählt mit wackeliger Handkamera. Gitarren, Bässe und Drums wie großkalibrige Waffen. Breaks und Hits wie Faustschlägen. Niemand in der Band gönnt sich den Manierismus eines markanten Sounds. Alles ist zu einem kompakten Klumpen aus brachialer Energie verdichtet. Dient ganz der Message. Übersetzt die Inhalte in wütende Emotion.

Einst sagte Ice-T noch, dass er Polizisten gerne ins Gesicht schießen würde - heute rappt Böhmermann "Ich hab Polizei"

Und inmitten des ganzen Pulverdampfs steht der nette Onkel, der lieber unsichtbar sein will als Präsident. Er ist in seinen Texten mal Maskenräuber, mal Gang-Mitglied, das Rache für einen getöteten Freund fordert. Und dabei durchweg sehr frei von Mitleid oder so etwas Absurdem wie zum Beispiel: einem Gewissen. Er macht das also sehr gut mit dem Bösewichtspielen. Zu gut fast. Deshalb sei das Wort "spielen" doch noch mal betont.

SZ MagazinIce-T im Interview
:"Ich propagiere keinen Bürgerkrieg, ich sage nur: Es kann passieren"

Mit dem neuen Album seiner Metal-Band Bodycount liefert Rapper Ice-T den Soundtrack zum Trump-Wahnsinn. Im Interview erklärt er, wie ein jahrtausendealtes Buch gegen den US-Präsidenten helfen kann.

Interview von Johannes Waechter

Ist schließlich noch keine 25 Jahre her, Popmusik wurde noch als bedrohlich genug empfunden, um wegen vermeintlicher (politischer) Gewaltverherrlichung indiziert zu werden, da gab es diese sehr aufgeregte Diskussion um Body Count. Polizisten hatten in Los Angeles gerade den Afroamerikaner Rodney King beinahe totgeprügelt. Ein Video von den Übergriffen tauchte auf. Es gab Rassenunruhen. Geschäfte wurden geplündert. Und Ice-T berichtete im Titel "Cop Killer", dass er Polizisten gerne auf Parkplätzen auflauern und ins Gesicht schießen würde.

Es war zugegeben nicht mehr ganz leicht, in dieser aufgeheizten Phase trennscharf zwischen dem lyrischen Ich und dem Künstler zu unterscheiden. Sogar Bill Clinton und George Bush Senior wetteiferten also darum, wer die Band und ihren Frontmann medienwirksamer verteufeln kann.

Heute kann ein Satiriker wie Jan Böhmermann "Ich hab Polizei" rappen und damit gerade noch Wutreaktionen von deutschen MCs provozieren. Ice-T spielt in der Serie "Law & Order" selbst einen Cop. Gesellschaftlich ist das sicher zu begrüßen. Popkulturell ist es schwierig.

Denn natürlich stellt sich die Frage, ob sie damit noch nötig sind: diese Gewaltdarstellungen. Die Milieustudien. All das Gezündel. Wen soll es noch schockieren? Wen aufrütteln? Die einen zeigen auf Instagram ihre dicken Klunker oder wedeln im Club mit Geldbündeln, die anderen ziehen sich Skimasken über, laden die Glock durch und statten ihnen einen Besuch ab - "I got to get paid, the ski mask way". Alter Hut. Kennt man aus dem Fernsehen.

SZ JetztNeues Video "CopKKKilla"
:Haftbefehl antwortet Böhmermann

Fast eine Woche diskutierten Rap-Experten und Feuilletonisten über Jan Böhmermanns "Ich hab Polizei". Nur einer schwieg: der parodierte Haftbefehl. Bis heute.

von Christian Helten

Hätte Clinton die Wahl gewonnen, wäre "Bloodlust" ein gutes Pop-Album - so ist eine Sensation

Also Gegenfrage: Hat sich denn der Rassismus verändert, nur weil er in den USA gerade institutionalisiert wird? Weinen Mütter über ihre erschossenen und zu Tode geprügelten Kinder heute weniger als vor 25 Jahren? Bringt der Kapitalismus weniger Verlierer hervor, die glauben, dass auch ihnen etwas vom Reichtum zusteht - auf welchem Weg auch immer? Ist die Spaltung der Gesellschaft substantiell geringer geworden, oder die strukturelle Diskriminierung von Schwarzen und Armen? Wird sie das unter Trump noch?

Das Wunderbare an Popmusik ist ja, dass sie sich - einfach weil der Kontext, in dem sie spielt, ein anderer wird - sofort mit Bedeutung aufladen kann. "Bloodlust" entstand während des US-Wahlkampfs. Man habe damals noch eher auf Clinton als Siegerin gesetzt, aber die Spaltung des Landes sei bereits spürbar gewesen, hat Ice-T jüngst erzählt. Und die Wut darüber musste raus. Das Album wäre mit einem anderen Wahlausgang auch ein sehr gutes gewesen. Mit Trump an der Spitze, mit seinen Lügen, seinem Hyperkapitalismus, seinem Rassismus und seiner Verachtung für alles Schwache, ist es eine Sensation. Weil die Phrasen, die als Lösung angeboten werden, der Aufruf zu Einheit und Widerstand, die schwer plumpe "Wir gegen die (da oben)"-Rhetorik, plötzlich einen sehr realen Adressaten haben. Und damit eine wahnwitzige Unmittelbarkeit.

"Du erlebst nie, dass sie mal Reiche aus ihren Autos ziehen", heißt es in der Single "No Lives Matter". Die hätten schließlich klagewütige Anwälte, die sie raushauen. Der Song gipfelt in der fatalistischen Zeile: "When it comes to the poor / No lives matter". Während die Armen also keinen Pfifferling wert sind, kommen die Reichen mit allem davon? Hyperpopulismus ist das natürlich. Wenn es sich doch nur gerade nicht so verflucht wahr anfühlen würde.

© sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Popmusik
:Father John Misty rettet die Popmusik

Pop und Protest waren Geschwister, wenigstens entfernte. Dann spielte die Welt verrückt und dem Pop fiel nicht viel ein - bis zu Father John Mistys neuem Album "Pure Comedy".

Von Jens-Christian Rabe

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: