Berlinale-Premiere: "Pina":Die Architektur der Seele

Wim Wenders' Tanzfilm "Pina" lässt einem die Darsteller näher kommen als es je im Theater möglich wäre. Bei der Premiere auf der Berlinale saßen Kanzlerin und Bundespräsident im Publikum. Ein Staatsakt in 3D.

Susan Vahabzadeh

Kino und Bühne sind verschiedene Welten. Es mag einem manchmal so vorkommen, als sei das Kino, weil ihm die Direktheit fehlt und weil es immer Vergangenheit abbildet, die kältere Kunst. Und dann sieht man einen Film wie Wim Wenders' Pina - und es ist völlig klar, dass das Kino tausend Tricks drauf hat, die Geschlossenheit, die ihm nun einmal zu eigen ist, zu überwinden.

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Wim Wenders hat Orte und Tänze zusammengefügt. Jeder Hintergrund prägt die Charaktere, die vor ihm leben: Damiano Ottavio Bigi und Silvia Farias Heredia

(Foto: AFP)

Wenders hat Pina, den Film, der von der Choreographin und Tänzerin Pina Bausch handeln sollte und dann, nach ihrem Tod 2009, doch die Geschichte von Pina Bausch aus der Sicht ihres Ensembles wurde, in 3D gedreht, aber das ist nicht wirklich der Grund, warum man diesen Tänzern näher kommt, als es in einem Theater je möglich wäre. Die Tänzer erzählen von Pina Bausch, davon, wie die Stücke entstanden sind, was für sie diese Choreographien ausmacht, und jeder gibt, mit dem, wovon er erzählt, ein Stückchen von sich selbst preis.

Der Film hangelt sich an Fragmenten aus Bausch-Stücken entlang, die sie noch selbst ausgesucht hat, Café Müller, Le sacre du printemps, Vollmond und Kontakthof. Dieses Stück hat sie mit Tänzern unterschiedlicher Altersklassen immer wieder neu auf die Bühne gebracht. Wenders hat die verschiedenen Tänzer-Generationen ineinander geschnitten . Auch das ist natürlich etwas, was nur das Kino kann.

Eigentlich war das Projekt, als Pina Bausch am 30. Juni 2009 starb, undenkbar geworden, und dann ist, es, wie zum Trotz, eher noch gewachsen. Lange habe er schon mit der Idee gespielt, einen Film über sie und mit ihr zu machen, sagt Wenders, aber erst die Möglichkeit, ihn in 3D zu drehen, hat ihn dann schließlich aus der Reserve gelockt. Nun gehört Pina zu den drei Filmen, die am Sonntag bei der Berlinale in einem Aufwasch 3D als Festival-Novum einführen. Pina wird da als Herzstück zum halben Staatsakt - Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Christian Wulff bei der Premiere eines Films zu Gast gehabt zu haben, können nicht viele Regisseure von sich behaupten.

So staatstragend ist Wenders zwar eigentlich nicht, aber die Ehre gebührt ihm. Und er muss sie ja auch mit Pina Bausch teilen, die selbst ein Stück deutsches Kulturgut ist. Wenders findet in ihren Stücken, was ihn selbst umtreibt - die Suche nach der Emotion, eher als die nach einer gedanklichen Konstruktion.

3D ist bei Wenders kein Gimmick. Er ist ein Regisseur, der gerne die neuen Möglichkeiten der Technik auslotet, Buena Vista Social Club hätte er 1999 ohne die damals neuen Digitalkameras so nicht drehen können. Die 3D-Technik, sagt Wenders, habe er gebraucht, um den Tanz tatsächlich filmen zu können. Man unterschätzt manchmal, wie wenig ausgereift diese Technik in Wirklichkeit immer noch ist, wie groß die technische Herausforderung gewesen ist für Wenders, ausgerechnet Tanz in 3D umsetzen zu wollen - eine Kunst, die ohnehin nicht leicht zu filmen ist.

Von den Problemen, die Bewegungen einwandfrei festzuhalten, ist im fertigen Film nichts mehr zu sehen. In diesem Fall hat die dritte Dimension tatsächlich die Funktion, etwas von der Direktheit einer Bühne kombinieren zu können mit den Freiheiten des Filmemachens. Zu denen gehört es, nicht in festen Kulissen zu arbeiten, sondern rauszugehen und sich die Stadt, die ganze Welt zur Kulisse zu machen. Und Pina ist tatsächlich zu einem Film geworden, der einem die Freude am Zuschauen wieder beibringen kann.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Architekur in Wenders' Filmen die Charaktere beeinflusst.

Wie soll man leben?

Wenders kann auch aus menschenleeren Räumen Spannung herausholen, das sah man schon an seinen Fotografien. Aber letztlich ist er doch ein Menschenfilmer. Wenders hat über die Verbindung, die er zwischen Film und Architektur herstellt, einmal gesagt: Beides stellt die selbe Frage - wie soll man leben? Die Menschen und die Räume, in denen sie leben, die sie durchqueren, gehen bei ihm von jeher ineinander über, und Wuppertal und der Tanz finden wie von allein zusammen. Die Schwebebahn und die Leichtigkeit der Körper, Straßen und Häuser und Brücken.

Pina ist auch ein Architekturfilm

"Eine Straße oder eine Häuserfront oder ein Berg oder eine Brücke oder ein Fluss oder was auch immer sind immer mehr als ein Hintergrund. Auch sie besitzen eine Geschichte, eine Persönlichkeit, eine Identität, die es ernst zu nehmen gilt. Sie beeinflussen die Charaktere, die vor diesem Hintergrund leben, sie rufen eine Stimmung hervor, ein Gefühl für Zeit, eine bestimmte Emotion, sie können hässlich oder schön sein, alt oder jung, aber sie sind mit Sicherheit präsent." Das hat Wenders vor zwanzig Jahren aufgeschrieben, aber es gilt natürlich immer.

Pina ist auch ein Architekturfilm. Wenders hat Orte und Tänze zusammengefügt. Ein Glaspavillon, ein bunkerartiges Gebäude, und jeweils dazu ein Solo oder ein Pas de deux, der das Filigrane oder das Kantige der Umgebung aufnimmt. Diese kleinen Inszenierungen jenseits von Bühnen und Probenräumen handeln davon, wie sie sich zueinander verhalten, die Menschen und die Räume, in denen sich die Menschen die Seele aus dem Leib tanzen. Wenders weiß ja selbst, dass viel von Antonioni in seiner Wahrnehmung, in seinen Bildern wiederzufinden ist. Es geht nie nur um den Raum, sondern darum, wie sich die Bewegung zum Raum verhält. Normalerweise ist da immer noch die Sprache im Spiel - der Tanz setzt auch die in Bewegung um. Manchmal. Denn natürlich sind die Interviews mit den Tänzern dann doch Verbindungsstücke in einer fortlaufenden Erzählung.

Aber vor allem sind sie präsent, wenn sie tanzen. Man kommt den Tänzern normalerweise nie so nah - und vielleicht ist man sich aus der Entfernung deswegen auch nie so bewusst, was es heißt, dass sich Bauschs Tanztheater so weit weg bewegt hat vom klassischen Ballett, seinem Drill und seinen Figuren, die den Gelenken, dem ganzen Körper etwas abverlangen, was er nicht lange zu geben bereit ist.

Bauschs Tänzer, und vor allem die Tänzerinnen, durften altern, sie können zeigen, was sie mit der Zeit an Ausdruck dazugewonnen haben. Und das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Anblick, wenn die Bilder ihnen ganz nah an die Gesichter rücken. Wie diese Tänzer heißen, kommt im Film nicht vor. Der nimmt sie als Ensemble wahr, als Teile eines Geflechts. Was zählt, sind die Beziehungen untereinander, zwischen Tänzer und Choreograph, Choreographie und Raum.

Nur wenige Tage vor dem ersten Probendreh ist Pina Bausch gestorben, damals hat Wenders erst einmal das ganze Projekt ad acta gelegt, seine Protagonistin war ja fort. So, wie er den Film dann gemacht hat, ist sie nun doch da, in jedem Bild - sie lebt in den Erinnerungen ihrer Tänzer und in den Choreographien vor unseren Augen neu auf. Das ist das Schöne an dem merkwürdigen Verhältnis zwischen dem Kino und der Zeit: Es macht die Vergangenheit unsterblich.

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