Belletristik:Nur der Narr duzt den König

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Hans Joachim Schädlichs Roman über die letzten Hofnarren des 18. Jahrhunderts fügt den historischen Quellen wenig hinzu. Das Ergebnis ist leider ziemlich unlustig.

Von Burkhard Müller

Im 18. Jahrhundert wird in den vielen Staaten, in die Deutschland damals zerfiel, letztmalig ein Amt besetzt, das wenig später der allgemeinen Modernisierung zum Opfer fällt: das des Hofnarren. Am preußischen Hof ist es der Lustige Rat Gundling, eigentlich ein ernst zu nehmender Gelehrter, der sich allabendlich vom Tabakskollegium, dem inoffiziellen Kabinett des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm des Ersten, betrunken machen und demütigen lassen muss; als er stirbt, wird er in einem Weinfass zur letzten Ruhe gebettet. In Süddeutschland und Österreich wiederum vagabundiert der naive junge Bursche Peter Prosch, handelt ein wenig mit Damenhandschuhen, lässt sich aber vor allem von einem kleinen Hof zum nächsten weiterempfehlen, wo er immer gern sein Handgeld entgegennimmt, dafür aber gröbliche Scherze zu ertragen hat; ein Klistier mit eiskaltem Wasser bringt ihm fünf Gulden ein. Relativ am besten ergeht es Joseph Fröhlich, einem gelernten Müllermeister, der als Hoftaschenspieler für August den Starken in Dresden tätig ist und zum großen Erstaunen aller aus einem unversehrten Ei einen Brief hervorzuzaubern vermag.

Aus diesen drei Lebensläufen hat Hans Joachim Schädlich einen "Roman" gemacht. Das Wort steht hier in Anführungszeichen, denn das Buch ist mehr eine Biografie des Joseph Fröhlich, an der locker die beiden anderen hängen: Mit Gundling kommt es zu einer wenig glücklichen Begegnung; Prosch, mehr als eine Generation jünger, schickt seine Aufzeichnungen an den älteren Kollegen, als dieser schon siebzehn Jahre tot ist - ein recht dünner Faden, der dieses Werk zusammenhalten soll.

Schädlich wird oft als Meister des lakonischen Stils gerühmt. Sehr zu Unrecht. Sein Lakonismus bedeutet nicht Konzentration, sondern Defekt. Seine Kargheit führt zu einem Mangel an Anschauung, blassen Charakteren und emotionaler Anämie. Was ließe sich nicht aus diesem außerordentlich reichen Stoff machen, dem strahlenden Elbflorenz im Zeitalter seiner höchsten Blüte, gesehen mit den Augen eines intelligenten und gewandten Menschen, der als Einziger am ganzen Hof den sächsischen Kurfürsten und König in Polen duzen darf! Doch der Duktus der Erzählung gestaltet sich so: ",Du kannst dir Dresden nicht vorstellen. Bayreuth ist auch schön: die Eremitage, das alte Schloss. Aber Dresden! Das Residenzschloss. Der Zwinger. Das Opernhaus. Die Brühlsche Terrasse. Das Palais im großen Garten.'"

Wenn der Autor den historischen Quellen nichts hinzufügen kann, erübrigt sich jede Literarisierung

Von Bayreuth erfährt man zur Not, es sei "auch schön". Von Dresden noch nicht einmal das, hier muss die einsilbige Liste der Sehenswürdigkeiten genügen, jede mit Punkt und neuem Absatz bedacht, als wäre damit schon etwas gesagt.

So aber geht es das ganze Buch hindurch. Die nötigen Hintergrund-Informationen werden aus historischen Handbüchern ausgeschrieben und in Dialogen serviert, die in ihrer pedantischen Trockenheit aller Gesprächswahrscheinlichkeit spotten, etwa wenn Freund Crell dem Narren seitenweise die komplizierte Architektur von Augusts Liebschaften auseinandersetzt. Von drei Mätressen drei Söhne namens Friedrich August - und dazu sollte einem Hofnarren kein Witz einfallen?

Schädlichs Mangel würde man nicht so krass fühlen, wenn er nicht so viele zeitgenössische Zitate eingeflochten hätte, die mit seinem eigenen Text stark kontrastieren. Der Narr Fröhlich verfasst, nicht ohne Risiko, eine Satire auf den eitlen und unfähigen sächsischen Premier Graf Brühl: "Du bist halt immer wert, dass man dich mit lauter Juwelen behäng und auf ein Altarel setz, und ein Weihbrünnel daran vor dein kohlpechrußrabenschwarzes Gewissen. Denn du hast doch schon manchen Schalk zum Biedermann gemacht und manchen Kittel in einen Samtrock verwandelt . . . In der Ewigkeit wirst einmal funkeln wie dein schönstes Paar Schuhschnallen . . ."

Die Auslassungszeichen stammen von Schädlich, der Fröhlichs vitale Streitlust nach Kräften zu lähmen sucht. Peter Prosch mit seinem weit harmloseren Temperament hat davon geträumt, dass die Kaiserin Maria Theresia seinen Hut mit Goldmünzen füllt, und fühlt sich darum berechtigt, ein "Memorial" an sie zu richten: "Ich bitt dich gar schön, sei so gut und tu es mir, ich will meiner Lebtag für dich beten." Auch der Schweizer Uli Bräker, der als gepresster preußischer Soldat an der Schlacht bei Lobositz teilnahm, kommt zu Wort, und sogar sein raubgieriger Kriegsherr Friedrich II. von Preußen, und jeder von ihnen führt seine eigene, unverwechselbare Sprache - nur Schädlich nicht. Was er schreibt, schmeckt nach rein gar nichts.

Man fragt sich, was der Autor mit diesem Buch bezweckt; was er meint, damit geleistet zu haben. Wenn man die Fakten genauso auch aus den wissenschaftlichen Standardwerken beziehen kann und das Aroma der Zeit weit besser aus ihren Zeugnissen, und wenn sich ein Mehrwert darüber hinaus beim besten Willen nicht erkennen lässt - warum dann überhaupt diesen merkwürdigen Zwischenhandel des Romans betreiben?

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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