"Belladonna of Sadness" im Kino:Ein Weib, schöner als Gott

Lesezeit: 3 min

"Belladonna of Sadness" st nicht oft wirklich "animiert". Über weite Strecken werden in Wasserfarben gemalte Panoramabilder über die Leinwand geschoben. (Foto: Rapid Eye Movies)

Lieblicher Gesang, jede Menge Vergewaltigungsszenen und für einen Animationsfilm erstaunlich wenig Bewegung. Bei "Belladonna of Sadness" weiß man die halbe Zeit nicht, ob man gequält, aufgeklärt oder einfach verschaukelt werden soll.

Filmkritik von Juliane Liebert

Das schöne Wort "obskur" kann, man darf es nicht vergessen, in vollkommen unterschiedlichen Abstufungen verwendet werden. Es gibt "obskur" wie in "merkwürdig", aber es gibt auch "obskur" wie "War zu faul, darüber nachzudenken, was der Künstler sagen will", oder "obskur" wie "Mein Horizont ist nicht so . . . au, ich glaub ich bin gerade dagegen gestoßen."

"Belladonna of Sadness" jedenfalls ist eines der obskureren Meisterwerke der japanischen Filmkunst. "Obskur" hier wie in "Was um alles in der Welt schau ich da eigentlich?" Es ist der letzte Film Eiichi Yamamotos für das Studio Mushi Productions, stammt aus dem Jahr 1973 und wird gerade als restaurierte 4-K-Fassung in die Kinos gebracht. 4-K heißt: man erkennt die Poren der Schauspieler jetzt endlich auch noch vom Nebenzimmer aus. Das sei in dem Fall geschenkt, denn "Belladonna" ist ein Animationsfilm.

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Drei Warnungen vorweg. Es wird gesungen (lieblich), es gibt einen Haufen Vergewaltigungsszenen (merkwürdige) und - es ist nicht in dem Sinne ein Animationsfilm, in dem wir heute davon sprechen. Präziser: Er ist nicht oft wirklich "animiert". Über weite Strecken werden in Wasserfarben gemalte Panoramabilder über die Leinwand geschoben, manchmal bewegt sich in denen auch ein Element, aber die Bewegungsdichte ist sehr minimal.

Der Teufel ist winzig klein und hat die Form eines Penis'

Passieren tut trotzdem eine Menge, ist "Belladonna" doch nicht weniger als ein emanzipatorisches psychedelisches satanistisches Remake der Geschichte Jeanne d'Arcs kurz vor der Französischen Revolution. Mit ein paar klitzekleinen Änderungen.

Jeanne hat hier einen frischangetrauten Gatten, Jean, beide sind Bauern, lieben sich sehr, brauchen aber den Segen ihres Fürsten (grausam) für ihre Hochzeit. Der zieht es vor, Jeanne zu vergewaltigen, das Paar ist traumatisiert, aber sonst noch ganz guter Dinge. Auftritt: der Teufel. Der Teufel ist winzig klein, hat die Form eines Penis', bringt Jeanne erst zum Lachen und vergewaltigt sie dann gleich auch noch mal. Um ihres Mannes willen verschreibt sie sich trotzdem der Obhut ihres neuen phallischen Kumpels. Es folgen viele viele Vergewaltigungsszenen in Wasserfarben, gerade will man aufgeben, da wird der Film auf einmal interessant.

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Für europäische Augen haben fernöstliche Interpretationen europäischer Geschichten (etwa die des Rotkäppchens im hervorragenden Anime-Thriller "Jin-Roh") immer etwas leicht Verschobenes, weil sie die kulturell implizierten Rollen und Erwartungshaltungen torpedieren. In "Belladonna" geschieht das auf mehreren Ebenen. Einmal der optischen, auf der Kunst und pornografische Elemente mit der in unseren Augen "billigen" Comic-Ästhetik verschmelzen.

Zudem spielt der Film nicht mit Rollenbildern, er ignoriert sie nahezu: Da haben wir Jeanne (trotzdem zwei Drittel der Zeit nackt), die sich dem Teufel verschreibt, und ihren Mann, der den ganzen Film hindurch als furchtbar unselbständiges, weinerliches Opfer gezeichnet wird. Und dann, als die Situation sich zuspitzt - das ist der erste große Coup des Films -, hört der Teufel auf, böse zu sein. So nebenbei.

Die einfachste Interpretation hierfür wäre, dass Jeannes phallischer Kumpel von Anfang an nicht böse war, sondern schlicht Symbol ihrer durch das Christentum unterdrückten Sexualität; in dem Moment, in dem sie sich ihm vollständig hingibt, gesundet sie an Körper und Geist. Es erfüllt sie erst mit Angst. "Ich darf nicht so schön sein", sagt sie, "ich möchte eine Furcht erregende Frau sein, vor der alle das Gesicht wenden und fliehen." Aber nichts da, ab dem Zeitpunkt ihrer Verwandlung bewirkt das Böse nur noch Gutes, und selbst der Teufel unterwirft sich ihr: "Oh, du wunderschönes Weib", sagt er, "du bist noch schöner als Gott!"

Gegen Willkür, Gewalt und Unterdrückung

Spätestens ab dem Moment ist der Film auch eine Geschichte der Emanzipation. Gegen die Kirche natürlich, aber auch gegen Willkür, Gewalt und Unterdrückung. Dem armen Zuschauer werden noch die Pest (in Form von schwarzen Blobs) und eine schier endlose Orgie (Jeanne ist jetzt beinahe durchgehend nackt) untergejubelt, da steht sie plötzlich vor dem Fürsten, der sie zu Beginn des Filmes missbrauchte. Er bietet ihr für ihr Wissen den höchsten Posten im Lande an. Doch sie lehnt ab. "Ich will alles. Ich will alles auf dieser Welt.", entgegnet sie, und er lässt sie verbrennen. Doch ihre Seele geht auf die des Volkes über, und die letzte Szene erklärt in schönster historischer Pseudologik, dass es die Frauen gewesen seien, welche die Französische Revolution angeführt hätten.

Was für ein merkwürdiger Film! Man weiß die halbe Zeit nicht, ob man jetzt abgestoßen, gequält, aufgeklärt oder einfach verschaukelt werden soll. So muss das sein. Denn nachdem die erste halbe Stunde (wie gesagt, viele viele Vergewaltigungsszenen in Wasserfarben) überstanden ist, erweist sich "Belladonna of Sadness" als unerwartet gehaltvoll und, ja, unvergesslich, im Guten wie im Schlechten.

Belladonna of Sadness, Japan 1973 - Regie: Eiichi Yamamoto. Buch: Yoshiyuki Fukuda, Eiichi Yamamoto. Inspiriert von Jules Michelets "La Sorcière". Kamera: Shigeru Yamazaki. Rapid Eye, 93 Minuten.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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