Ausstellung "Manifesto" in Berlin:Das Dutzendgesicht

Der Installationskünstler Julian Rosefeldt verteilt in seinem Berliner Videoprojekt "Manifesto" die Postulate der Kunstavantgarde auf zwölf heutige Figuren - alle gespielt von Cate Blanchett.

Von Dorion Weickmann

Auf dem Tisch thront der Truthahn, rundherum sitzen Vater, Mutter, drei Söhne. Dem Mann steht die Ödnis ins Gesicht geschrieben. Die Blümchenbluse der Frau wirkt so adrett gebügelt wie ihre Frisur. Sie beugt den Kopf, faltet die Hände und setzt zu einer inbrünstigen Rede an: "I am for an art that is political-erotical-mystical that does something other than sit on its ass in a museum."

Genau da aber, in einem Museum, sieht man diese Mutter sitzen, während sie ihr künstlerisches Tischgebet zelebriert: Im Hamburger Bahnhof Berlin, dem Museum für Gegenwartskunst, flimmert sie über einen der zwölf Videoscreens, die der deutsche Installationskünstler Julian Rosefeldt mit der australischen Kino- und Schauspielkönigin Cate Blanchett bestückt hat. In allen zwölf Videos (plus einem Prolog) gibt Blanchett nichts anderes von sich als geballte Revolutionsrhetorik. Das Kunst-Credo, das am Familientisch ins Frömmlerische umgebogen wird, stammt vom Pop-Art-Pionier Claes Oldenburg aus dem Jahr 1961. Damals firmierte es als Manifest wider den Kulturbegriff des Establishments. Heute legt Rosefeldt es einer Mittelklasse-Mum in den Mund und schlägt damit einen ironischen Salto, dem seine Installation "Manifesto" noch weitere hinzufügt.

Vor zwei Jahren - Cate Blanchett hielt sich zu den Dreharbeiten für "Monuments Men" in Berlin auf - realisierte der Künstler das Projekt mit ihr in Rekordzeit: Binnen zwölf Tagen drehte er Material für ein Dutzend Clips von je zehn Minuten Länge, die nun als Parallelprojektion über die Museumswände flimmern. In jedem schlüpft die Aktrice in eine andere Haut: Lehrerin, Punkerin, Puppenspielerin, Börsenmaklerin, Obdachloser, Managerin, Wissenschaftlerin, Trauerrednerin, Choreografin, Nachrichtensprecherin, Mutter.

Dada, Dogma und Konzeptkunst in neuem Munde

Blanchetts Wandlungsfähigkeit ist großartig, keinen Moment fällt sie aus der Rolle. Die Metamorphose reicht bis zu den nude oder feuerrot lackierten Fingernägeln, bis in die Spitzen der kastanienbraunen, aschblonden oder orangestichigen Haare. Ob Blanchett als Penner über Zivilisationsbrachen stapft oder als Tanz-Domina das Revue-Ballett des Berliner Friedrichstadtpalastes mit Yvonne Rainers "No Manifesto" von 1965 traktiert - "No to virtuosity!" -, das grandiose Spiel ihrer Hände skizziert die ganze Figur, das ganze Fatum.

Multiple Auftritte, variable Locations: "Manifesto" lässt sich als Installation durchwandern, aber ebenso gut als Vokalkonzert, Performance, Collage, Experimentalfilm von zwei Stunden Dauer erleben. Zu sehen und zu hören ist eine karnevaleske Neuauflage jener Manifestitis, die alle Avantgarden des 20. Jahrhunderts befiel. Futurimus, Dadaismus, Surrealismus, Fluxus - wer immer die Tradition der Altvorderen abräumen und neue Pfähle ins Kunst-Terrain rammen wollte, verkündete dies gern auch schriftlich. Ob die einst provokativen Inhalte noch produktiv sind, war die Frage, die Rosefeldt umtrieb, als er für "Manifesto" Hunderte Pamphlete sichtete. Tatsächlich bringt die Auswahl, von Blanchett mal direkt in die Kamera, mal in Off-Monologen gesprochen, erloschene Kunstvulkane zu neuer Eruption.

Die Kamera schwenkt über Hitler, Stalin, Churchill, über Mutter Teresa und Marilyn Monroe. Alle tragen Pappmaché-Köpfe, lehnen aneinandergeschmiegt in Reichweite des Arbeitstischs, an dem Cate Blanchett als Puppenmacherin gerade das eigene Ebenbild vollendet. Sie rezitiert André Bretons surrealistische Weltformel von 1924: "Ich glaube an die künftige Auflösung der beiden äußerlich so widersprüchlichen Zustände - Traum und Wirklichkeit." Die Frau hat sich selber ein Universum zwischen Traum und Wirklichkeit geschaffen, bevölkert von Puppen. Rosefeldt bannt den surrealistischen Zauber in die Spielzeug-Metapher. Genauso zärtlich dichtet er die "Dogma"-Visionen des Lars von Trier einer Grundschullehrerin an. Den "Dada"-Krawall beerdigt "Manifesto" dagegen mithilfe einer lautstarken Grabrednerin. Ein paar Meter weiter spiegelt sich die Kälte der Konzeptkunst im Tonfall einer News-Moderatorin, deren eingefrorene Mimik kein Studiolicht auftauen wird.

Rosefeldts Episoden und Bilder erschöpfen sich nicht im Illustrativen. Sie kritisieren, kommentieren, affirmieren die Texte und tun das mit großer Gebärde. Nebenbei wird manch großmäuliger Guru demontiert. Nie aber die Kunst.

"Manifesto", bis 10. Juli im Museum Hamburger Bahnhof Berlin. Der Katalog kostet 27 Euro.

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