Filmfestival Venedig:Kunst vor Mondlandschaft

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Es war ein starker Jahrgang: Das Filmfestival Venedig präsentierte sich in diesem Jahr mit vielen gelungenen Katastrophenfilmen, was gut zur Lage am Lido passte. Denn auch dort ist die Zukunft ungewiss.

Susan Vahabzadeh

Es liegt eine seltsame Stimmung in der Luft in diesen Tagen, der nahende Herbst mischt sich mit Euro-Angst und einem traurigen Blick zurück - schon deshalb wirkten die Filmfestspiele in Venedig diesmal, mehr noch als es Festivals generell tun, wie ein Tanz auf dem Vulkan.

Schlusszeremonie bei den 68. Filmfestspielen in Venedig: Die Zukunft des scheidenden Festivaldirektors Marco Mueller (rechts) ist ungewiss - hier präsentiert er sich ein letztes Mal bei der Mostra, an der Seite der italienischen Schauspielerin Vittoria Puccini. (Foto: Getty Images)

Draußen Trubel und glitzernde Abendroben und Faxen für die Paparazzi, während drinnen auf den Leinwänden durchgespielt wird, auf wie viele Arten man sich von aller Existenz, wie wir sie kennen, verabschieden kann. Es ist ein solidarischer Akt, wenn so viele Stars - George Clooney, Kate Winslet, Gwyneth Paltrow, Madonna, Al Pacino, Keira Knightley, Matt Damon - den Anlegesteg am Lido hochkraxeln: Venedig gilt als Festspielort, der dem Untergang geweiht ist, und was man dort beobachten konnte, war eine Art Dammbau durch Prominenz.

Man kann dieser Mostra nicht wie der im vorigen Jahr vorwerfen, es seien lauter Filme gelaufen, die jenseits des Festivalbetriebs keine Chance haben.

Eine Art, mit der Dominanz des amerikanischen Starkinos umzugehen, ist, seine Präsenz zu genießen - und dann die Preise zu verteilen an Filme, die von den Rändern des Weltkinos kommen. Am wenigsten kann man dabei über den Goldenen Löwen für Alexander Sokurovs "Faust" streiten - ein schwieriges Stück, aber mit einer eigenen, konsequent durchgehaltenen Erzählform und Ästhetik.

Sein mittelalterlicher Doktor, vom Hunger getrieben, haut den Teufel übers Ohr zwischen isländischen Geysiren - auch das ein apokalyptisches Szenario. Die Kunst ist lang und das Leben kurz.

Absurde Sprünge

Der Regiepreis an den Chinesen Cai Shangjun für "People Mountain People Sea" ist da schon eher verwunderlich - eine Geschichte der Selbstjustiz, ein Arbeiter aus einem Steinbruch verfolgt den Mörder seines Bruders, weil es kein Recht gibt in der armseligen Welt der Menschen an der Basis des Wirtschaftswunders China. Man kann Cai Shangjun vielleicht für seine Schauspielerführung loben, aber die Handlung vollführt dermaßen absurde Sprünge, dass man ihr manchmal kaum folgen kann.

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Ruth Schneeberger

Bei den Schaupielerpreisen ist aber klar, worauf die Jury unter Vorsitz von Darren Aronofsky ("The Wrestler") Wert gelegt hat - Minimalismus, zurückgehaltene Energie. Deanie Yip spielt in Ann Huis "A Simple Life" eine bescheidene ehemalige Haushälterin im Altersheim, die der Familie, der sie ihr ganzes Leben geopfert hat, verbunden bleibt. Michael Fassbender bekam die Coppa Volpi für seinen Auftritt in Steve McQueens "Shame" - er galt als Favorit, und obwohl er tatsächlich sehr zurückgenommen spielt, hat er in diesem Drama um einen sexsüchtigen, verzweifelten Yuppie ziemlich viel Körpereinsatz gezeigt, sogar beim Pinkeln schaut man ihm zu.

Nun konnte man in den Filmen im Wettbewerb, nicht aber unbedingt in den prämierten Filmen ein weltweites Unbehagen spüren, an allen Ecken und Enden der Welt, in amerikanischen, europäischen, asiatischen Filmen ging es im Kern ganz oft um Verrohung, den Mangel an Respekt, den totalen Werteverfall.

In "Texas Killing Fields", einem großartigen, finsteren Thriller von Michael Manns Tochter Ami Canaan Mann, versucht ein Ermittlerteam gleich fünfzig Morde aufzuklären in Texas City, das furchterregende Werk mehrerer Serienkiller, basierend auf einem realen Fall - einer von ihnen schreckt nicht einmal vor seiner kleinen Schwester zurück. In William Friedkins "Killer Joe" meucheln sich die Mitglieder einer texanischen Familie aus Gier gegenseitig, George Clooney erklärt in "The Ides of March" das gesamte politische System für bankrott, in "Himizu" des Japaners Sono Sion sind die Erwachsenen weder willens noch in der Lage, ihren Kindern eine erträgliche Welt zu hinterlassen, in "Shame" sind die Helden bindungsunfähig, kalte Solitäre in einer riesigen Stadt, in Emanuele Crialeses "Terraferma" versuchen Carabinieri, Fischer dazu zu bewegen, dass sie afrikanische Flüchtlinge ertrinken lassen.

Und der Italiener Gian Alfonso Pacinotti sehnt sich Außerirdische herbei, die auf die Erde kommen und moralischen Frühjahrsputz machen. Eine wenig optimistische Auswahl - aber nun geht ja auch das Festival einer ungewissen Zukunft entgegen. Der Vertrag des derzeitigen Direktors Marco Mueller ist ausgelaufen, seit Jahren heißt es, die Regierung in Rom versuche, die politisch unliebsame Mostra sterben zu lassen.

Wie sich dieses Festival zusammensetzte, muss man nicht nur an der Person des Direktors festmachen. Das ist nicht nur eine Frage der Auswahl, sondern auch des Angebots - nachdem schon Cannes ein großartiges Programm präsentiert hatte, kann man durchaus behaupten, dass 2011 ein ziemlich starker Jahrgang ist. Dabei sind für Toronto noch ein paar Filme als Weltpremieren übrig geblieben, die auch Venedig gut gestanden hätten, beispielsweise Alexander Paynes neuer Film "The Descendants".

Trotzdem bleibt die ungeklärte Frage, wer Marco Mueller beerben wird. Die Gerüchte, er werde das Festival in Rom übernehmen, die von der italienischen Regierung gewollte und gehätschelte Konkurrenz, hat Mueller zurückgewiesen.

Kein Geld mehr da

Die Gerüchte, er werde doch noch einmal verlängern in Venedig, allerdings auch. Einen namhaften Festivaldirektor, der der Regierung genehm ist, wird man schwerlich finden - und jeder Nachfolger übernimmt auch die Probleme, die sich verschärft haben in den acht Jahren, in denen Mueller das Festival leitete: Die Geldsorgen sind größer, und vor der Tür tut sich ein Krater wie nach einem Meteoriteneinschlag auf, die asbestverseuchte Grube für den neuen Palazzo del Cinema, für den inzwischen kein Geld mehr da ist.

Einstweilen aber sieht es nicht so aus, als ob sich das älteste Filmfestival der Welt kleinkriegen lässt: Dann gibt es eben Kunst vor Mondlandschaft - und eigentlich kann man ja nichts Schöneres über ein Festival sagen, als dass es sich gegen alle Angriffe von außen mit Filmen behauptet hat.

Die Preise im Überblick

Goldener Löwe für den besten Film: "Faust", von Aleksander Sokurov (Russland)

Silberner Löwe für die beste Regie: Shangjun Cai für "People Mountain People Sea" (China)

Spezialpreis der Jury: "Terraferma", von Emanuele Crialese (Italien)

Bester Erstlingsfilm: "Là-Bas", von Guido Lombardi (Italien)

Beste Schauspielerin: Deanie Yip in "A Simple Life" (Hongkong)

Bester Schauspieler: Michael Fassbender in "Shame" (Großbritannien)

Bestes Drehbuch: "Alpis (Alps)", von Yorgos Lanthimos (Griechenland)

Beste Kamera: Robbie Ryan für "Wuthering Heights" (Großbritannien)

© SZ vom 12.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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