60. Berlinale: "Moloch Tropical":Nach der Folter zum Dinner

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Der Regisseur Raoul Peck präsentiert auf der Berlinale eine schrille Politfarce, die schon vor dem Erdbeben in Haiti fertig war - und dennoch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat.

Anke Sterneborg

Die Wirklichkeit des Landes, das Leben auf den Straßen von Port-au-Prince, die Armut, die Unruhen, die Aufstände, all das bleibt draußen, hermetisch weggeschlossen in die Irrealität der Fernsehmonitore. Ein Film über die Wahrnehmungsmechanismen der Macht.

Die Macht residiert in nebligen Höhen: Szene aus dem Film "Moloch Tropical" von Raoul Peck, der in einem Berlinale Special gezeigt wird. (Foto: Foto: Filmverleih / oH)

Raoul Pecks "Moloch Tropical" spielt in der Zitadelle des Präsidenten, und die liegt in den nebligen Höhen über der Stadt und dem darum liegenden Land - ein Elfenbeinturm der Politik, mit weitläufigen Zimmerfluchten, mit ausladenden exotischen Blumenarrangements auf den Tischen und moderner Kunst an den Wänden, und überall die Insignien von Religion und Macht, gewaltige Kreuze und ehrfurchtgebietende Büsten. In diesem Bühnenraum schläft der Präsident in seinem breiten Bett, er trägt einen seidenen Pyjama, eine weiße Augenklappe.

Ins Absurde kippende Fabel

Es ist der letzte Tag und die letzte Nacht seiner Amtszeit, aber das will er nicht wahrhaben, er hofft immer noch auf die Treue seiner Garden, die Unterstützung der Amerikaner, und wenn all das nicht hilft, dann bleibt wenigstens die Zerstreuung mit Hilfe schöner Frauen: "Ich gehe nicht! Schließlich bin ich demokratisch gewählt, für fünf Jahre!", sagt er trotzig.

So entfaltet sich die Tragödie eines lächerlichen Mannes, durchaus in shakespearischer Dimension, eine immer wieder ins Absurde kippende Fabel, die die konkreten Verhältnisse des Landes Haiti mit dem universalen Drama der Macht verbindet. Wie überall auf der Welt werden auch hier die großen politischen Ideale durch die vielfältigen Versuchungen und Privilegien korrumpiert, nimmt die gewählte Demokratie Züge kolonialer Diktatur an.

Es war an der Zeit

Raoul Peck ist in Haiti geboren, im Kongo und in Frankreich aufgewachsen und hat sein Filmstudium an der Berliner DFFB absolviert. Bekannt wurde er 1992 vor allem mit seiner Dokumentation "Lumumba - der Tod des Propheten", über den Präsidenten des Kongo, aber auch mit Spielfilmen, die er in Frankreich, Amerika und Afrika drehte.

Im letzten Jahr war es für ihn wieder an der Zeit, in seiner Heimat zu drehen, mit den Ressourcen des Landes und über dessen bewegte Geschichte - spontan realisiert, mit dem Geld, das sich in drei Monaten mobilisieren ließ. Eine Vorlage fand Peck in Alexander Sokurows "Moloch", der von Hitler und Eva Braun erzählt auf dem Obersalzberg, und er übertrug die Tage auf der bayerischen Festung auf die haitianischen Zustände, auf das von gewaltsamen Machtwechseln geschüttelte Land.

Knalliges Puzzle

Entstanden ist ein Film, in dem Peck vielfältige Versatzstücke der Wirklichkeit zu einem knalligen Politpuzzle zusammenfügt, in dem die scharfsinnige Analyse der Zustande immer wieder in eine schrille Farce kippt - wenn der Präsident beispielsweise einen regimekritischen Journalisten und Freund erst foltern und dann für ein gespenstisches Luxusdinner wieder herrichten lässt. Und wenn die Präsidentenfamilie am Ende ins französische Exil aufbricht, dann folgt sie den Spuren von Haitis Ex-Präsidenten Aristide, ohne sich dabei nur auf diese eine Biografie festlegen zu lassen.

Im September des vorigen Jahres war "Moloch Tropical" fertig, seitdem tourt er erfolgreich durch die Festivals der Welt. Am 15.Januar sollte er zum ersten Mal in Haiti gezeigt werden, doch dann kam das verheerende Erdbeben, das jede Normalität des Lebens und des Kinos in weite Ferne rückte.

Ehemaliger Minister

Wenn Raoul Peck, der von 1996 bis 1997 Kulturminister von Haiti war, jetzt mit seinem Film reist, wird er unweigerlich auch zum Botschafter seines Landes. Und da wird spürbar, dass sich die Probleme gar nicht so sehr verändert haben, dass es auch unter diesen extremen Bedingungen noch immer vor allem um das Ringen des Landes um Souveränität geht, darum, sich nicht von politischen oder ökonomischen Interessen vereinnahmen zu lassen.

Nur drei Tage nach der Katastrophe, erzählt Peck nach der Vorführung seines Films, habe eine befreundete Journalistin, die im Beben ihr Haus verloren hat, streitbar verkündet: "Wenn die glauben, sie können ihre humanitäre Hilfe an Bedingungen knüpfen, dann haben sie sich getäuscht!" Raoul Peck muss sich also keine Sorgen darum machen, dass sein Film, der noch vor dem Erdbeben fertig wurde, durch die Ereignisse an Aktualität und Gültigkeit verloren hat, in dem nun zum ersten Mal seit der Revolution vor 200 Jahren ein französischer Präsident zu Besuch war.

© SZ vom 19.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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