Vorlesung per Video:Besser als Kino

Lesezeit: 3 min

Fehlt nur noch das Popcorn: Amerikanische Hochschulen locken weltweit Zuschauer mit Video-Vorlesungen. Deutsche Studenten haben es da schwerer.

Johannes Boie

Chris Anderson ist einer der smartesten Denker im Internet. Er ist der Veranstalter der jährlichen TED-Konferenz, in der revolutionäre Konzepte jeder erdenklichen Art vorgestellt werden. Anderson sagte neulich auf die Frage, wie das Internet das Denken verändere, das Netz sei das erste audiovisuelle Medium, in dem Wissen auf hohem Niveau vermittelt werde. "Der Eindruck, den ein Redner auf intellektueller Ebene bei seinen Zuhörern hinterlässt, ist im Video viel höher als in einer gedruckten Version."

Kommunikation immer und überall, selbst auf einem stillgelegten Bahngleis, ist in einer digitalisierten Welt zum Standard geworden. (Foto: Foto: dpa)

Wissen per Video

Der Mann muss es wissen. Die TED-Talks, wie die Vorträge auf seiner legendären Konferenz heißen, werden als Videos im Netz veröffentlicht. Auf der Seite des Projekts sind 622 Videos zu finden, die das Wissen von Experten unterschiedlicher Gebiete aus allen Teilen der Welt enthalten - von Wissenschaftlern über Apple-Chef Steve Jobs bis hin zum britischen Starkoch Jamie Oliver.

Wissen online per Video zu vermitteln ist mehr als ein Trend. Das Verfahren ist in der digitalisierten, globalisierten Welt zum Standard geworden. Ganz vorne mit dabei sind amerikanische Universitäten. Von denen gibt es Videos, die sind so spannend, dass man sie wie einen Kinofilm mit Popcorn genießen möchte. Und das kann man auch: zu Hause, vor dem eigenen Rechner.

Der Reiz des MIT

Am populärsten ist dabei die Videoseite Youtube. Auf dem Portal können Nutzer Videos kostenfrei hochladen und anschauen. In einer speziellen Rubrik mit dem Namen Youtube Edu sind sämtliche von Universitäten hochgeladenen Videos gesammelt. Edu ist in diesem Fall die Abkürzung von Education.

Mehr als 54.000 Menschen schauen sich etwa regelmäßig die Videos des Massachusetts Institute of Technology (MIT) an, knapp 1200 Videos haben dessen Administratoren bereits ins Netz gestellt. Die MIT-Videos gehören zu den populärsten Lehrmaterialien auf Youtube, auf den Plätzen zwei und drei finden sich die Stanford University und die University of California in Berkeley.

Kostenloser Sprachkurs

Dabei sind die Vorlesungen nicht nur für Zuschauer interessant, die sehr gut Englisch sprechen, sondern auch für solche, die Englisch lernen wollen. Eine viertel Million Mal wurde etwa eine Seminarübung des Professors Mark Hancock vom MIT angeschaut. Er bringt ausländischen Studenten eine Stunde lang die korrekte amerikanische Aussprache gewöhnlicher Wörter bei.

Bedeutung von Handzeichen
:Andere Länder, andere Gesten

Daumen hoch! Wer im internationalen Geschäftsleben Handzeichen verwendet, sollte sich genau überlegen, was sie bedeuten. Die Bilder

Viola Schenz

Andere Videos haben einen spezielleren Inhalt. Vorlesungen zur Chemie der Festkörper, wie sie unter anderem ebenfalls das MIT anbietet, dürften nicht jedermanns Sache sein. Wohl aber die von Chemiestudenten und -interessierten rund um die Welt.

In Deutschland gibt es keine zentrale Anlaufstelle für Lehrvideos aus dem universitären Umfeld. Wer deutschsprachige Videos sucht, muss daher selber suchen. Führend dabei ist hierzulande das Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik in Potsdam. Mehr als 1,2 Millionen Mal wurde auf die 3100 Kurzvideos im Jahr 2009 zugegriffen.

Vorteil für die Armen

Zusätzlich zum Dozenten sind auf den Videos und Podcasts auch die jeweilige Tafelpräsentationen zu sehen. Das JFK-Institut der Freien Universität in Berlin stellt Videos berühmter Gastdozenten online, etwa eine Rede von Philip Zelikow, einem US-Spitzendiplomaten, oder von dessen Landsmann Hal Varian, dem Chefökonom von Google. Auch einige andere Unis haben mittlerweile eine umfangreiche Videodatenbank eingerichtet - zum Beispiel Regensburg: Allerdings können hier nur immatrikulierte Studenten mit Passwort darauf zugreifen.

Sofern Lehrvideos im Netz frei zugänglich sind, dürften unter den Zuschauern nicht selten Menschen aus ärmeren Ländern sein: Wer sich kein Studium leisten kann, aber einen Computer besitzt, kann auf diese Weise dennoch lernen. Ein Inder im Internetcafé wird so zwar kein Diplom einer amerikanischen oder europäischen Universität bekommen - aber vielleicht einen besseren Job im Heimatland.

Mehr Transparenz im Lehrbetrieb

Und noch einen globalen Effekt haben die Videos: Lehrqualitäten und -standards werden transparent. Wissen wird global verbreitet und damit vergleichbar, gleichzeitig wird aber auch die Wissensvermittlung einem Wettbewerb ausgesetzt. Die Zugriffszahlen im Netz zeigen deutlich, welcher Professor beliebt ist - und wo Präsentationen mangelhaft bleiben. Herausragende Videos erhalten selbst dann viele Klicks, wenn ihr Inhalt sehr spezieller Natur ist. Dennoch darf man nicht vergessen, dass populäre Unterhaltungsthemen unabhängig von der Qualität ihrer Präsentation in der Regel öfter angeklickt werden als zum Beispiel eine Vorlesung für fortgeschrittene Semester im Fach Halbleiterelektronik.

© SZ vom 22.02.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: