Vereinbarkeit von Familie und Beruf:Baby an Bord

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"Meine Mama kann grad nicht ans Telefon, kann ich vielleicht weiterhelfen?" (Foto: Getty Images)

Der nächste Kita-Streik steht bevor, viele Arbeitgeber zeigen sich kooperativ. Aber wie viel Kind verträgt der Job wirklich?

Von Tanja Rest

Als berufstätige Frau gerät man immer wieder an Menschen - häufig andere berufstätige Frauen -, die einem sagen, man solle sich im Job um Gottes willen an den Männern orientieren, sonst gebe es kein Weiterkommen. Gib dem Chef das Gefühl, dass er der Größte ist, sagen die Frauen beschwörend, das machen die Jungs doch auch.

Oder: Rechtfertige dich bloß nicht, wenn du schlecht vorbereitet bist, auf so eine Idee würde ein Mann niemals kommen. Und dann natürlich auch: Wenn du wegen der Kinder später kommen oder früher gehen musst, lass die Kinder aus dem Spiel - oder hast du die Begründung schon mal von einem Mann gehört?

"Sagen Sie einfach, dass Sie einen Termin haben. Punkt."

Letzteres stammt aus einem Seminar für weibliche Führungskräfte, gehalten von einer in ihrem Fach renommierten Frau. Man dachte noch, dass man die Entschuldigung in der Tat schon mal von einem Mann gehört hatte, nämlich erst wenige Tage zuvor vom Kollegen M., der um 16 Uhr enteilt war, Ballettaufführung der Tochter.

Aber das hatte die Seminarleiterin schon einkalkuliert: Männer, die der Kinder wegen doch mal eine Konferenz versäumen, kämen im betrieblichen Umfeld als moderne Väter rüber, erklärte sie, "das bringt denen sogar noch Sympathien". Frauen hingegen, die wegen der Kinder das Meeting schwänzen müssen, hätten aus Sicht des Arbeitgebers ihr Privatleben nicht im Griff. "Und darum sagen Sie einfach, dass Sie einen Termin haben. Punkt."

Der vierwöchige Praxis-Test für alle Eltern: Der Kita-Streik

Anwenden konnte man das Ganze, als der größte anzunehmende Ernstfall heraufdämmerte. Der Kita-Streik. Tausende berufstätige Eltern zogen vier Wochen lang alle Strippen, um ihre Kinder zu versorgen und ihrem Arbeitgeber gleichzeitig das Gefühl zu geben, dass sie ihr Privatleben im Griff haben.

Großeltern wurden eingespannt, Babysitter engagiert, private Betreuungsgruppen gebildet, zuletzt blieb noch Home Office, was in Anwesenheit eines zu Tode gelangweilten Kindes schlecht funktioniert, oder eben, das Kind ins Büro mitzunehmen, was noch schlechter funktioniert, weil es sich da noch mehr langweilt und die Kollegen vom Arbeiten abhält.

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Am Ende mussten viele Eltern freinehmen oder weniger arbeiten, und obwohl auch Väter in dieser Zeit Heldenhaftes geleistet haben, so waren das doch meistens die berufstätigen Mütter, die ja ohnehin der Kinder wegen zu 58 Prozent teilzeitbeschäftigt sind, während die Kompromissbereitschaft der Väter nur schleppend steigt, auf zuletzt 20 Prozent.

Viele Unternehmen drücken in Streik-Zeiten ein Auge zu

Rein rechtlich ist die Sache relativ klar, einen halbwegs kooperativen Arbeitgeber vorausgesetzt. In Paragraph 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es, dass ein Arbeitgeber auf seinen Verdienst nicht verzichten muss, wenn er für eine "nicht erhebliche Zeit (...) ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird". Die "nicht erhebliche Zeit" wird nicht näher definiert, Arbeitsrechtlern zufolge sind pro Jahr zwei bis drei Tage üblich.

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, kurzfristig Urlaubstage zu gewähren. Und was die Fehlzeiten angeht: Viele Unternehmen drücken während des Kita-Streiks ein Auge zu; häufig gibt es auch die Möglichkeit, Überstunden ab- oder Minusstunden aufzubauen. So weit das Formale. Die Psychologie dahinter ist aber eine ganz andere. Wie viel Kind verträgt der Job wirklich?

Kinder eignen sich hervorragend als Gesprächsthema auf Betriebsfesten und in der Kantine; die meisten Chefs schätzen sogar, wenn ihre Mitarbeiter Familie haben, weil sie das gefühlt ein Stück weit von ihrer Verantwortung entbindet - vorausgesetzt, die Lieben daheim stehen einem Acht- bis 16-Stunden-Arbeitstag nicht im Weg.

Und es gibt sie natürlich: Eltern, die ihre Kinder als ewige Begründung benutzen, warum sie bestimmte Dinge auf gar keinen Fall tun können, auf die sie in Wahrheit selbst keine Lust haben (ausgehen, Sport machen, ein intensives Gespräch führen, mit offenen Augen durch die Welt laufen), und sie sind zweifellos die Pest.

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Allerdings begegnet man ihnen im Bekanntenkreis häufiger als im Büro, da sind die Leute eher vorsichtig mit dem Kinder-Argument. Das gilt vor allem für Frauen, insbesondere für Frauen in Führungsjobs - und nicht nur, weil sie statistisch etwa viermal so häufig mit kranken Kindern, ausgefallenen Babysittern und geschlossenen Kindergärten konfrontiert sind wie die Väter.

Frauen in Führungspositionen arbeiten mit Kindern verbissener als vorher

Frauen sind mit der Tatsache aufgewachsen, dass sie für verantwortungsvolle Aufgaben auch deshalb nicht in Erwägung gezogen werden, weil sie Kinder haben oder kriegen könnten und damit quasi auf Ausfall programmiert sind. Das muss man erst mal abschütteln. Es gibt weibliche Vorgesetzte, die sich lieber die Zunge abbeißen würden, als ihren Mitarbeitern zu erzählen, dass sich hinter dem 18-Uhr-Termin das Laternenfest verbirgt. Andere arbeiten mit Kindern eher noch verbissener als vorher.

Ein x-beliebiges Beispiel: Als Penny Herscher, CEO bei einer Unternehmensberatung, ihr erstes Kind bekam, gingen alle Mitarbeiter wie automatisch davon aus, dass sie beruflich nun kürzertreten werde. Genau deshalb telefonierte sie während ihrer Elternzeit täglich mit dem Büro. Den Zweitgeborenen nahm sie im Alter von vier Wochen mit in die Arbeit, "ich habe ihn gestillt, Bäuerchen machen lassen und durch eine Woche voller Meetings geschaukelt. Danach hat keiner mehr mein Engagement infrage gestellt." Yahoo-Chefin Marissa Mayer, aktuell mit Zwillingen schwanger, hat bereits angekündigt, sie werde selbstverständlich durcharbeiten.

Soll man im Büro thematisieren, dass man fürs Kind einspringt - oder einen Termin vorschieben?

Das kann man extrem finden. Man kann auch die Frage stellen, ob Frauen nicht ein bisschen sehr bereitwillig davon ausgehen, dass der Chef oder die Kollegen über außerplanmäßige Einsätze an der Kinderfront die Nase rümpfen. Die meisten aber lassen es lieber nicht drauf ankommen: Berufstätige Mütter, zumal in Führungsjobs, sind meist wahnsinnig gut organisiert und haben ein engmaschiges Betreuungsnetz gespannt; idealerweise haben sie sich damals außerdem in einen Mann verliebt, der sich für die Kinder heute genauso zuständig fühlt wie sie selbst. Trotzdem: Partner können ausfallen, Netze reißen, Kinder werden krank - und Kitas streiken. Ab Anfang Oktober wieder; wenn es dumm läuft, dauert es Wochen.

Mütter, die deshalb einige Stunden ausfallen oder freinehmen müssen, haben da genau zwei Möglichkeiten: Sie können die Tatsache, dass es die Kinder sind, die sie vom Arbeiten abhalten, im Büro nicht weiter thematisieren - das ist der leichte und möglicherweise auch der geschickteste Weg, jedenfalls empfehlen das die meisten Karriereberater. Andererseits: Solange ein nicht näher definierter "Termin" seriöser klingt als der Satz "Ich muss zu meinem Kind", genau so lange wird sich an der Familienfeindlichkeit vieler Unternehmen auch nichts ändern.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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