Studiengang Katastrophenmanagement:Arbeiten, wo andere sterben

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Erdbeben, Überschwemmungen, Reaktorunfälle: Wie man in Extremsituationen richtige Entscheidungen fällt, lernen Studenten des Katastrophenmanagements. Ihr Berufsfeld wächst.

Christiane Langrock-Kögel

Florian Klinner hat das Risiko berechnet. Das Risiko für Gesundheit und Leben seiner Kollegen, die am Flughafen in Tokio auf ihren Einsatz im japanischen Katastrophengebiet warteten. Während die Mitarbeiter von Humedica, einer deutschen Hilfsorganisation aus Kaufbeuren, festsaßen, geriet die Lage im Atomkraftwerk Fukushima zunehmend außer Kontrolle.

Das Risiko abschätzen und entscheiden: In der Arbeit von Katastrophenmanagern geht es manchmal um Sekunden. (Foto: AP)

Klinner musste entscheiden. Er hat gelernt, wie man Risiken abwägt. An der Hochschule Magdeburg-Stendal hat er den Bachelor-Studiengang "Sicherheit und Gefahrenabwehr" abgeschlossen und dann an der Universität Bonn einen Master in "Katastrophenvorsorge und Katastrophenmanagement" daraufgesetzt. Klinner hat also gerechnet - und seine Kollegen dann, vorerst, aus Japan zurückgeholt.

Im Katastrophenschutz und in der Katastrophenhilfe müssen Entscheidungen schnell und professionell fallen. Experten wie Klinner müssen abschätzen können, wo und wie sofort geholfen werden kann - und wann nicht. Der 28-Jährige ist bei Humedica als Projektleiter zuständig für das von Erdbeben, Tsunami-Wellen und radioaktiver Strahlung getroffene Japan. Der studierte Katastrophen-Manager arbeitet in einem Bereich, der immer mehr Bedeutung bekommt. "Das Berufsfeld ist in den vergangenen zehn Jahren sehr viel größer geworden", sagt die wissenschaftliche Koordinatorin von Klinners Bonner Master-Studiengang, Gabriele Hufschmidt. "Internationale Datenbanken zeigen, dass die Zahl der Naturkatastrophen weltweit steigt."

Veränderte Ausbildung

Durch die neuen Stellen, die Behörden und Institutionen seit vielen Jahren für Katastrophenschutz-Beauftragte schaffen, hat sich auch die Ausbildungslandschaft verändert. Es gibt heute viele Möglichkeiten, in Deutschland ein Bachelor- oder Master-Studium im Bereich Rettungsingenieurwesen oder Gefahrenabwehr zu beginnen. Die Bergische Universität Wuppertal zum Beispiel bietet einen Bachelor in "Sicherheitstechnik" an, die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften einen für "Gefahrenabwehr". Master-Studiengänge gibt es an den Universitäten Bochum, Wuppertal, Clausthal und an den Fachhochschulen in Eberswalde, Bremerhaven oder Kaiserslautern.

Zu den ältesten Studiengängen des Fachgebiets gehört der "Rettungsingenieur" der Fachhochschule Köln. Wer sich dort bewirbt, muss die Fachhochschulreife und ein "dreimonatiges, einschlägiges Praktikum" nachweisen. Neben technischen Fächern wie Bau- und Fahrzeugtechnik stehen Psychologie, Epidemiologie, Controlling und Fremdsprachen im Curriculum. Der Master-Studiengang befasst sich drei Semester lang mit Themen wie Führung und Finanzen, mit Brandschutzkonzepten und der Simulation von Störfällen und Katastrophen. Als Einsatzorte ihrer Studenten sehen die Kölner Dozenten hauptsächlich Rettungsdienste, den Katastrophenschutz und Hilfseinsätze im Ausland.

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Florian Klinner war zuletzt in Brasilien, bei Erdrutschen sind dort etwa tausend Menschen ums Leben gekommen. Er stammt nicht aus einer Familie, in der das Helfen zur Tradition gehört. Nach der Fachoberschule arbeitete er beim Deutschen Roten Kreuz als Rettungssanitäter. "Mir hat es immer Spaß gemacht, aktiv helfen zu können", sagt Klinner. "Es ist ein gutes Gefühl, andere zu unterstützen." Er entschied sich, seinen Beruf durch ein Studium auszubauen. Aber er sieht sich nicht als Weltenretter: "Die Kommilitonen mit dem Helfersyndrom haben das Studium schnell gekippt."

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Klinner ist jetzt seit einem halben Jahr bei Humedica. Seit mehr als 30 Jahren ist der Verein weltweit aktiv. "Mit Katastrophenromantik hat unsere Arbeit nichts zu tun", sagt er. "Wir müssen sehr professionell arbeiten. Und auch finanziell effizient sein." Ehrenamtlich arbeitet er nebenbei weiterhin als Rettungssanitäter, bei Humedica aber hat er wie seine knapp 30 Kollegen einen Job als festangestellter Projektmanager.

An der Bauhaus-Universität in Weimar ist der Diplom-Ingenieur Jochen Schwarz für Naturkatastrophen zuständig. Seine Studenten sollen lernen, die verheerende Wirkung von Erdbeben, Tsunamis, Fluten und Stürmen auf Bauten und Infrastruktur zu verstehen und zu ermitteln - und daraus die richtigen Schlüsse für den Bau neuer Gebäude zu ziehen. "Die beste Vorsorge", sagt Schwarz, "ist die ereignisgerechte Konstruktion".

"Wir wollen Generalisten"

Er und seine Kollegen des englischsprachigen Master-Studiengangs "Natural Hazards and Risks in Structural Engineering" lehren, wie Gebäude auszulegen sind, wie man Schäden prognostizieren und das Risiko ganzer Regionen bewerten kann. Viele Studenten kommen aus dem Ausland, sie sind mit Erdbeben- oder Fluterfahrungen groß geworden und wollen die Vorsorge in ihrem Heimatland verbessern. Seit 2003 gibt es den Hazards-Studiengang, seit 2006 wird er vom Deutschen Akademischen Austauschdienst durch Stipendien gefördert. Das Interesse ist groß. Auf jeden der 20 Studienplätze kommen vier bis fünf Bewerber.

In Weimar treffen sich die Bauingenieure. An der Bonner Uni, wo Florian Klinner gerade seine Master-Arbeit abgegeben hat, ist das Spektrum der Studenten breiter. "Katastrophenschutz ist eine klassische Querschnittsaufgabe, man braucht für sie die unterschiedlichsten Kompetenzen", sagt die Koordinatorin Gabriele Hufschmidt. Der Studiengang kooperiert eng mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. "Natur- und sozialwissenschaftliche Fragen haben bei uns den gleichen Stellenwert", sagt Hufschmidt. "Wir wollen Generalisten mit einem grundlegenden Verständnis für alle Aspekte einer Katastrophe ausbilden."

Sie kommt gerade aus einem Workshop des Kollegiums, das "Mega-Ereignis" in Japan war das Thema. Kann man sich wirklich auf so etwas vorbereiten? Künftig müsse man das Undenkbare denken, sagt Gabriele Hufschmidt. "Unser Studiengang sieht sich nun noch mehr in der Pflicht: Bildung und Ausbildung sind ein großer Teil der Katastrophenvorsorge."

© SZ vom 26.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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