Praktikum als Diplomat:Mit Ahmadinedschad auf der Toilette

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Plötzlich ganz nah an der großen Politik und ihren Protagonisten: "Islands First"-Praktikant Frederik von Paepcke begegnete in New York unter anderem dem iranischen Machthaber Mahmud Ahmadinedschad (bei der UN-Vollversammlung 2012 in New York). (Foto: dpa)

Vom Rechtsreferendar zum Diplomaten auf Zeit: Der Deutsche Frederik von Paepcke erlebte als Berater des kleinen Inselstaates Tuvalu bei den Vereinten Nationen in New York die Protagonisten der Weltpolitik aus nächster Nähe. Und in sehr intimen Momenten.

Von Werner Bloch

Es war wohl die surrealste Begegnung seines Lebens. Als Frederik von Paepcke die Toilette aufsuchte, tauchte plötzlich neben ihm der iranische Präsident Ahmadinedschad auf - ganz ohne Leibwächter. "Ich hätte nie gedacht, dass ich der großen Weltpolitik einmal so hautnah begegnen würde", sagt der Doktorand aus Brabeek bei Kiel.

Es war sein großer Tag. Bei der UN-Generalversammlung in New York saß Paepcke in der ersten Reihe, nur fünf Meter von Barack Obama entfernt, verfolgte die Reden von Westerwelle und Netanjahu, lauschte Staatspräsidenten und Diktatoren aus aller Welt. Im streng abgeschirmten Sicherheitsbezirk am East River ging der heute 29-Jährige drei Monate lang ein und aus, saß in Konferenz- und Hinterzimmern, wo über Kriege, Krisen und Friedensmissionen beraten wird.

Vom Rechtsreferendar zum Diplomaten - diesen Karrieresprung verdankt Paepcke einem der kleinsten Staaten der Welt, der Inselrepublik Tuvalu. 10.400 Einwohner, eine Gruppe von Inseln und Atollen im Südpazifik, die noch nie im Licht der Weltöffentlichkeit standen. "Als ich den Namen Tuvalu zum ersten Mal hörte, musste ich das erst mal googeln", sagt Paepcke.

Beistand für bedrohte Pardiese

Seit ein paar Jahren gibt es eine Organisation, die sich speziell um die Interessen dieser Region kümmert: "Islands First". Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz in New York vertritt etwa 40 Staaten, die alle existenziell durch den Klimawandel bedroht sind und von denen manche wohl bald untergehen werden. Die Malediven gehören dazu, Fidschi, Vanuatu, Mikronesien, Palau - und eben Tuvalu.

"Tuvalu wird nach jetzigen Schätzungen in 60 bis 100 Jahren vom Meer verschluckt", sagt Frederik von Paepcke. "Da hat globale Umweltpolitik allerhöchste Priorität." Und daher braucht die Botschaft von Tuvalu jeden Beistand, den sie nur irgendwie kriegen kann.

Tuvalu hat einen Botschafter bei den Vereinten Nationen (UN) in New York, unterstützt wird er von seiner Frau und seiner Schwiegertochter. Dazu gibt es ein bis drei Praktikanten, die von "Islands First" abgestellt werden. Da es für die Inseln ums nackte Überleben geht, ist bei den vielen Ausschüssen, Sitzungen, Empfängen jeder Mitstreiter höchst willkommen, vor allem, wenn er den Zwergstaat nichts kostet.

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"Wir haben für unsere Staaten immer zwischen sechs und zwölf Praktikanten bei den UN im Einsatz", sagt "Islands First"-Geschäftsführer Mark Jariabka. 20 bis 30 Mitarbeiter, fast alle aus Europa und den USA, nähmen jährlich an den Programmen teil, die mindestens drei Monate dauern. Bewerben können sich Interessierte aus der ganzen Welt. Juristische Vorkenntnisse, ein Hochschulabschluss in Jura, Politikwissenschaft oder Internationalen Beziehungen ist erwünscht.

In New York musste sich Paepcke erst ein mal in der Praxis bewähren. "Islands first" hatte ihn überraschend schnell und formlos in den diplomatischen Olymp katapultiert - ohne Vorbereitung, ohne Vorstellungsgespräch, nur nach Aktenlage und einem kurzen Telefonat. "Ich habe mich einfach über das Internet beworben und meinen Lebenslauf geschickt", sagt Paepcke. Kurze Zeit später erhielt er einen Anruf, man teilte ihm mit, dass er dabei war.

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Bei den UN trug er einen blau leuchtenden Pass um den Hals, mit dem klangvollen Titel "Advisor". Er fand sich auf fremdem Terrain wieder, das ihm zunächst schillernd und unüberschaubar erschien. "Man begegnete mir meist sehr freundlich, aber manchmal konnte man geradezu spüren, wie beim Gegenüber plötzlich das Interesse erlosch, wenn er erfuhr, dass ich für Islands First tätig war."

Paepcke hetzte von Ausschuss zu Ausschuss, schrieb Berichte für seinen Chef, den Botschafter, beantwortete Briefe und nahm an einem Workshop für Nachwuchsdiplomaten teil. Und er besuchte Partys - in offizieller Mission. Das bedeutete: plaudern, Kontakte knüpfen, Visitenkarten austauschen.

Nicht auffallen, keine Fehler machen, Mund halten

"Die Hauptregeln bei den UN heißen: erstens, nicht auffallen, zweitens, keine Fehler machen, drittens, den Mund halten", sagt Paepke. Schließlich sei man ja Repräsentant eines Staates und wolle diesen nicht durch Wissenslücken oder Fehltritte blamieren.

Will Paepcke nun Berufsdiplomat werden? Nein, sagt er nachdrücklich. Er habe auch eine Menge Leerlauf und Stillstand in New York erlebt, der diplomatische Dienst bestehe nicht jeden Tag aus der Rettung des Weltfriedens. "Ich fühlte mich an meine norddeutsche Heimat erinnert, da würde man sagen: Treckertreffen. Alle schwingen große Reden, aber es werden nicht immer große Steine ins Rollen gebracht."

Und doch hat Frederik von Paepcke eine Menge geschafft. Er hat an einer Rede des Botschafters mitgeschrieben und sich so in den Annalen der UN verewigt. Er hat gelernt, innerhalb kürzester Zeit zu repräsentieren. "Einmal musste der Botschafter plötzlich verreisen, da wurde ich kurzfristig zum Büroleiter von Tuvalu ernannt." Zwanzig Minuten hatte er, um sich auf die Aufgabe vorzubereiten.

Auch nach der Rückkehr nach Deutschland lässt ihn das Thema nicht los. Was geschieht, wenn Tuvalu tatsächlich eines Tages überflutet wird? Was passiert mit seinen Bewohnern, wenn sie möglicherweise umsiedeln müssen? Was mit einem Staatsgebiet, das unter Wasser liegt?

Teures Engagement

Diesen Fragen geht Paepcke inzwischen in seiner juristischen Dissertation an der Uni Kiel nach. "Es gibt nur zwei Möglichkeiten", sagt er. "Entweder müssen die Menschen eine andere Staatsbürgerschaft annehmen. Oder der komplette Staat wird verlagert und den Bewohnern wird ein neues Staatsgebiet zugewiesen." Ob dann Entschädigungsansprüche bestehen und ob der Schadenersatz auf freiwilliger Basis geleistet werden soll - auf diese Fragen hat das Völkerrecht bisher keine Antwort.

Das Abenteuer Tuvalu ist für Paepcke noch nicht vorbei. "Der Botschafter hat mich in seine Heimat eingeladen. Wenn ich komme, kann ich bei ihm wohnen." Die Diplomaten-Familie besitzt eine Insel für sich allein, mit Strandhaus und allen pazifischen Annehmlichkeiten.

Schöne Aussichten - allerdings müsste Paepcke die Anreise in die Südsee selbst bezahlen, so wie er auch seinen Aufenthalt in New York ganz allein hat schultern müssen. Anreise, Verpflegung, Unterkunft - da laufen schnell zwischen 5000 und 10.000 Dollar auf. Das Praktikum ist also nichts für Leute, die ihren Lebenslauf nur mit einer glamourösen Station schmücken wollen, sondern eher für solche, die sich ihr Engagement für bedrohte Inseln auch etwas kosten lassen können.

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Von Johanna Bruckner und Zoe Frey

Anmerkung: Die Überschrift in einer früheren Version ließ den Schluss zu, dass wir Irans Präsident Ahmadinedschad als Diktator einstufen. Das haben wir korrigiert.

© SZ vom 25./26.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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