Gutachten am Europäischen Gerichtshof:Fettleibigkeit könnte vor Kündigung schützen

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Gilt Adipositas bald als Behinderung? Stark übergewichtige Menschen sind im Berufsleben nach einem Gutachten am EuGH künftig möglicherweise besser vor einer Kündigung geschützt.

  • Ein Gutachten am Europäischen Gerichtshof (EuGH) legt nahe, dass stark übergewichtige Menschen bald besser vor Kündigung geschützt sein könnten.
  • Ein Gericht aus Dänemark hatte beim EuGH nachgefragt, ob Adipositas als Behinderung gilt, nachdem ein Tagesvater gegen seine Entlassung geklagt hatte.
  • Ob es sich dabei um eine Diskriminierung handelt, entscheidet der EuGH Ende des Jahres.

Der Kläger wiegt mehr als 160 Kilogramm

Was ist eine zulässige Kündigung und wo beginnt Diskriminierung? In dieser Frage versucht der EuGH derzeit Rechtssicherheit zu schaffen. Hintergrund ist der Fall eines dänischen Tagesvaters, der gegen seine Entlassung nach 15 Arbeitsjahren geklagt hatte. Die Gemeinde hatte die Kündigung mit rückläufigen Kinderzahlen begründet.

Der Mann wiegt über 160 Kilogramm und gilt medizinisch als stark adipös. Der Tagesvater vermutet als Grund für die Kündigung seine Fettleibigkeit und ging wegen unzulässiger Diskriminierung vor Gericht.

Wann Adipositas als Behinderung gelten kann

Ein Generalanwalt am EuGH legt nun ein Rechtsgutachten vor, nach dem stark übergewichtige Menschen im Erwerbsleben bald besser geschützt sein könnten. Demnach könne starke Fettleibigkeit als Behinderung gelten, wenn sie zu deutlichen Einschränkungen bei der Teilhabe am Arbeitsleben führt. Das zuständige Gericht im dänischen Kolding hatte beim EuGH angefragt, ob Adipositas als Behinderung gilt.

Generalanwalt Niilo Jääskinen betont, dass EU-Recht eine Diskriminierung wegen Fettleibigkeit nicht direkt verbietet. Adipositas könne aber eine Behinderung sein, "wenn sie so gravierend ist, dass sie ein Hindernis für die volle, mit anderen Arbeitnehmern gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben darstellt". Dies komme bei einer besonders schweren und krankhaften Adipositas in Betracht, die zu Einschränkungen bei der Mobilität und Belastbarkeit führt.

Als Grenzwert nennt der Gutachter einen Body-Mass-Index (BMI) von 40. Nach gängiger Definition gilt jemand mit einem BMI zwischen 25 und 29,9 als übergewichtig, bei Werten von 30 oder höher spricht man von Fettleibigkeit oder Adipositas. Beim BMI wird das Gewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Größe in Metern.

Die Situation in Deutschland

Damit geht Jääskinen etwas weiter als die geltenden Regelungen in Deutschland. Nach den hier maßgeblichen Anhaltspunkten kann eine Adipositas für sich genommen nicht zur Anerkennung einer Schwerbehinderung führen. Berücksichtigt werden "nur Folge- und Begleitschäden", insbesondere des Bewegungsapparats und des Herz-Kreislauf-Systems.

Erst vor kurzem war eine angeblich als zu dick abgelehnte Bewerberin um einen Führungsposten mit ihrer Klage auf Entschädigung gescheitert. Das Arbeitsgericht Darmstadt sah in seinem Urteil keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz.

Das Urteil am EuGH fällt erst in einigen Monaten. In den meisten Fällen folgen die Richter dem Gutachter. Starke Fettleibigkeit würde somit als Behinderung gelten. Falls ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter wegen dessen starken Übergewichts kündigt, entspräche dies einer Diskriminierung und würde gegen europäisches Recht verstoßen.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/kjan - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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