Frage an den Jobcoach:Darf ein krankgeschriebener Mitarbeiter Sport treiben?

Michael B. ist sich nicht sicher, ob er bezüglich eines seiner Angestellten die Personalabteilung einschalten soll. Nun bittet er den SZ-Jobcoach um Rat.

SZ-Leser Michael B. fragt:

Ich bin Bereichsleiter bei einem mittelständischen Unternehmen und habe sechs Mitarbeiter, alles Ingenieure. Einer meiner Mitarbeiter ist schon seit längerer Zeit krank, was ihm genau fehlt, weiß ich nicht. Er ist ein recht beliebter Kollege, ich habe allerdings immer das Gefühl, dass er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Aus einer Eingebung heraus habe ich seinen Namen gegoogelt. Dabei bin ich auf die Seite eines Sportvereins gestoßen, die ihn als Gewinner eines überregionalen Fechtturniers zeigt, just zu der Zeit, als er krankgeschrieben war. Das ärgert mich insofern, als wir hier alle seine Arbeit mitmachen, es ihm aber offensichtlich gut geht. Kann ich ihn dafür von unserem Personalverantwortlichen abmahnen lassen? Oder tue ich ihm damit womöglich Unrecht?

Ina Reinsch antwortet:

Lieber Herr B., Ihr Impuls, nicht gleich loszuschießen, sondern das Verhalten des Mitarbeiters zu hinterfragen, ehrt Sie. Grundsätzlich macht es natürlich stutzig, wenn ein krankgeschriebener Arbeitnehmer nachweislich sportlichen Freizeitaktivitäten nachgeht. Der Verdacht liegt nahe, dass er sich seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschwindelt hat und krankfeiert. Allerdings muss das nicht zwangsläufig der Fall sein, wie ich Ihnen gleich zeigen möchte.

Der SZ-Jobcoach

Ina Reinsch hat Jura, Kriminologie und Soziologie in München und Zürich studiert. Heute lebt sie als Rechtsanwältin, Autorin und Referentin in München und befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Arbeitsrecht.

Wer krankgeschrieben ist, darf nichts unternehmen, was seine Genesung gefährdet oder verzögert, so lautet der Grundsatz. Wer dagegen verstößt, riskiert eine fristlose Kündigung, zumindest aber eine Abmahnung. Was der Patient allerdings im Einzelfall tun darf, hängt stark von der Art seiner Erkrankung ab.

So verbietet es sich von selbst, mit einem Bandscheibenvorfall Ski zu fahren oder Marathon zu laufen. Wer angeblich ein Bein gebrochen hat, sollte sich auch nicht beim Tanzen erwischen lassen. Und mit einer Grippe hat ein kranker Mitarbeiter definitiv nichts beim Shoppen im Einkaufszentrum zu suchen. Auf der anderen Seite kann ein Spaziergang an der frischen Luft bei einer Erkältung oder einem Rückenleiden die Genesung fördern. Hat der Arzt keine Bettruhe verordnet, darf der Mitarbeiter auch im Supermarkt einkaufen. Der gesunde Menschenverstand ist hier ein guter Gradmesser dafür, was noch erlaubt oder schon verboten ist.

Psychische Erkrankungen nehmen dabei eine gewisse Sonderstellung ein. Vieles, was bei körperlichen Beschwerden gar nicht geht, kann hier sogar wünschenswert sein. Wissenschaftliche Studien belegen, dass es für Menschen mit Depression oder Burnout wichtig ist, sich möglichst viel bei Tageslicht draußen zu bewegen. Auch Sport stabilisiert das seelische Wohlbefinden. Spazierengehen, Joggen, Tanzen - vielleicht auch Fechten - kann sich positiv auswirken.

Sollte Ihr Mitarbeiter körperlich krank sein, fehlt mir momentan die Fantasie, mir eine Krankheit vorzustellen, die ein Fechtturnier trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtfertigen könnte - was aber nicht heißt, dass es sie nicht gibt. Ist er psychisch krank, könnte zwar Fechten erlaubt sein. Ob allerdings die Teilnahme an einem Wettkampf zuträglich ist, würde ich infrage stellen. Ohne Kenntnis der Diagnose und der ärztlichen Empfehlung lässt sich allerdings nur im Nebel stochern. Was also können Sie tun?

Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Glaubt der Arbeitgeber, dass der Mitarbeiter blaumacht, muss er Tatsachen vortragen, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen. Das funktioniert zum Beispiel über eine Begutachtung beim Medizinischen Dienst der Krankenkasse des Mitarbeiters. Dazu muss der Arbeitgeber die Gründe, aus denen er an der Richtigkeit der Bescheinigung zweifelt, ganz konkret und schlüssig darlegen. Das Ergebnis der Begutachtung erfahren zunächst nur der behandelnde Arzt und die Krankenkasse. Der Arbeitgeber wird allerdings dann benachrichtigt, wenn er noch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leistet und der Medizinische Dienst zu einem anderen Ergebnis kommt als der Arzt, der die Krankschreibung ausgestellt hat.

Dazu sollten Sie allerdings Ihre Personalabteilung einschalten. Ich halte Ihre Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich für so begründet, dass Sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, jemanden zu Unrecht zu verdächtigen. Vielleicht hat Ihr Mitarbeiter tatsächlich einen Burnout und Fechten ist das Beste, was er tun kann. Dann wird sich das sicher aufklären lassen. Wenn nicht, steht für Ihren Mitarbeiter einiges auf dem Spiel - im schlimmsten Fall eine fristlose Kündigung und die Rückzahlung der geleisteten Entgeltfortzahlung. Als Führungskraft müssen Sie aber auch diese zwischenmenschlich unangenehme Konsequenz aushalten und mittragen.

Ihre Frage an den SZ-Jobcoach

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