Burnout bei Lehrern:Wenn Schule krank macht

Ausgebrannt mit 50 - immer häufiger sind Lehrer dem Druck in den Klassenzimmern nicht mehr gewachsen. Der letzte Ausweg ist oft die Klinik.

Christine Burtscheidt

Es sind die seltenen Augenblicke, die Birgit Schatt mit ihrem anstrengenden Arbeitsalltag versöhnen. Jüngst etwa, als sie Nora in der U-Bahn traf. Das Mädchen, das in seiner Kindheit stets auf der Flucht war, bis es mit den Eltern Asyl in Deutschland fand und in Schatts Schulklasse landete. Dort lernte Nora mühsam schreiben und rechnen. Jetzt berichtete sie, Zahnarzthelferin geworden zu sein und demnächst den Führerschein zu machen. "Ich bin so stolz auf Dich", sagte Schatt.

Burnout bei Lehrern: Der Druck steigt: Etwa 60 Prozent der Lehrer leben in der Gefahr, psychosomatisch zu erkranken.

Der Druck steigt: Etwa 60 Prozent der Lehrer leben in der Gefahr, psychosomatisch zu erkranken.

(Foto: Foto: iStock)

Die 50-Jährige ist Lehrerin an einer Hauptschule im Münchner Osten. Ihre Schüler kommen aus den Krisengebieten der ganzen Welt. Manche sind hoch begabt, andere können nicht schreiben. Schatt sagt, der Unterricht habe den "Charme einer alten Dorfschule", doch er fordert sie. Zwei Jahre lang hat sie die Belastung geschultert, bis sie zusammenbrach.

Erst waren es Rückenschmerzen, dann Erschöpfungszustände. Am Ende half nur mehr ein halbes Jahr Auszeit. Schatt zählt, wie Andreas Hillert berichtet, zur Risikogruppe der Pädagogen, die oft am eigenen Idealismus und Perfektionismus zerbrechen. Hillert ist Chefarzt der medizinisch-psychosomatischen Klinik Roseneck am Chiemsee. Dort hat man sich auf das "Burn-out-Syndrom" bei Lehrern spezialisiert und erfährt seit Jahren einen wachsenden Zulauf.

"Der Druck steigt", sagte der Chefarzt auf der Tagung der evangelischen Akademie Tutzing zum Thema "Stress lass nach". Zahlen des früheren Leiters des psychologischen Instituts der Universität Potsdam, Uwe Schaarschmidt, verdeutlichen die Situation. Demnach leben zurzeit etwa 60 Prozent der Lehrer in der Gefahr, psychosomatisch zu erkranken. Besonders anfällig sind sie dafür im Alter zwischen 46 und 55 Jahren. Noch häufiger als Männer trifft es Frauen. Denn offenbar scheuen sie mehr als ihre männlichen Kollegen Konflikte und haben Probleme, sich vom Arbeitsalltag rechtzeitig zu distanzieren, oder wie Schatt es sagt: "Ich musste erst mühsam lernen, loszulassen."

Mehr als nur Rechnen, Lesen und Schreiben

Auch Schatt liebt ihre Arbeit leidenschaftlich, wie sie sagt. Sie will ihren Schülern mehr als nur Grundkenntnisse in Rechnen, Lesen und Schreiben mit auf den Lebensweg geben. Ihre Arbeit ist um 13 Uhr nicht beendet. Als Beratungslehrerin ist sie auch zentrale Ansprechpartnerin für das Leben der Jugendlichen außerhalb der Schule.

Die Münchner Hauptschullehrerin brachte die Doppelbelastung sowie die Unfähigkeit, an den Schicksalen ihrer Schüler irgendetwas ändern zu können, an den physischen und psychischen Abgrund. Kollegen wie Fritz Schäffer, Gymnasiallehrer aus Ingolstadt und Mitglied des bayerischen Lehrerverbands, listen weitere Faktoren auf: fehlende Rückzugsräume, große Klassen, eine hohe Unterrichtsverpflichtung sowie der Zwang, Noten zu geben.

Man weiß viel über die Lehrergesundheit

Es sind also nicht nur, wie Psychologe Schaarschmidt sagt, "unzureichende persönliche Voraussetzungen", die krank machen können, sondern auch die "Bedingungen des Berufs selbst". Dazu zählt auch der "Druck immer wieder neuer Forderungen seitens der Obrigkeit". Fazit der Tagung ist denn, dass man, wie Hillert es formuliert, viel über Lehrergesundheit weiß, dass jedoch die Politik bislang wenig dazu beigetragen hat, hier präventiv tätig zu werden.

Zu den wichtigsten Maßnahmen, darin sind sich die Experten einig, zählt vor allem eine bessere Ausstattung der Schulen. Sie fängt an bei kleineren Klassen, mehr Lehrern, regelmäßigen Fortbildungen bis hin zur Bereitstellung eigener Arbeitszimmer. Entscheidend für das Arbeitsklima ist jedoch auch die Rolle des Schulleiters. "Er muss Kollegen entlasten und nicht belasten", sagt der Münchner Hauptschulrektor Rudi Wenzel.

Kein "Einzelkämpfertum" mehr

Das heißt: "Er muss nicht alles durchreichen, was von oben beschlossen wird." Er hat auch sicherzustellen, dass Teamarbeit und Supervision zum Alltag werden statt des vielfach noch praktizierten "Einzelkämpfertums". Nicht zuletzt drängen die Teilnehmer der Tagung darauf, die Lehrerbildung zu verändern. Frühe Praxissemester im Studium werden für unverzichtbar gehalten, damit Lehramtsanwärter rasch realisieren, ob sie dem Job gewachsen sind.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: