Arme Universitäten:Sogar Bayern bröckelt

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Jahrzehntelang war es der Anspruch Bayerns, gute Bedingungen für Bildung und Wissenschaft zu bieten. Jetzt regieren oft die Technokraten - und sie drohen den Universitäten mit harten Einschnitten.

Johan Schloemann

Was hat man nicht einst in der Republik zu spotten gehabt über reaktionäre bayerische Ministerpräsidenten, die lateinische Briefe schrieben, und über konservative, humanistische Sonnenkönige in Staatsministerämtern - damals, als sich die bayerischen Politiker für ihre BMWs achtundzwanzigspurige Autobahnen bauten und renitente Störer der Wehrkundetagung beherzt in den Münchner Kessel trieben. Heute jedoch, im Herbst des Jahres 2010, sehnt sich so mancher in Bayern jene Gestalten zurück.

Irgendwann ist keine vernünftige Ausbildung mehr möglich: Den bayerischen Universtitäten drohen finanzielle Einschnitte. (Foto: dapd)

Denn wie sehr man sich auch früher an der CSU rieb: Die Zusage, eine großzügige Freistatt für Bildung und Wissenschaft zu bieten, war kein Lippenbekenntnis. Als Bayern in der Nachkriegszeit von einem bedürftigen Agrarland zum potenten Industrieland ausgebaut wurde, bildete sich der lange Zeit sakrosankte Anspruch, zugleich an dem hohen Einsatz für Kultur und Forschung ohne Wenn und Aber festzuhalten.

Im 19. Jahrhundert hatte das katholische Bayern einen protestantischen Historiker wie Heinrich von Sybel ebenso an sich gebunden wie auch den weltberühmten Chemiker Justus von Liebig - zwei Beispiele unter vielen. Dieser Tradition folgte der Freistaat in der Nachkriegszeit, mit einer oft weitsichtigen Berufungs- und Bibliothekspolitik, mit den Universitätsneugründungen in Augsburg, Bayreuth, Passau und Regensburg sowie der Wiedergründung in Bamberg, bei gleichzeitigem Ausbau der älteren Universitäten in Würzburg, Erlangen und München, dazu von renommierten außeruniversitären Instituten, Fachhochschulen, Laboren und Archiven. Minister wie Hans Maier oder Hans Zehetmair stehen für diese Entwicklung: eine Verbindung von Herkunfts- und Qualitätsbewusstsein mit einer gewissen Liberalität.

Doch nach und nach sind an vielen Positionen in Bayern Technokraten an die Stelle der Humanisten getreten. Gegen alle bisherigen politischen Beteuerungen wächst nun in diesen Tagen die Angst vor Einsparungen in Lehre und Forschung, die die Einschnitte unter Edmund Stoiber noch in den Schatten stellen könnten - und damit allen bayerischen Traditions-, Bildungs- und Innovations-Proklamationen Hohn sprächen. Denn die Landesbank hat mit höchst untraditionellen Geschäften ein Milliardenloch in den Haushalt gerissen.

Zunächst wurde den Universitäten eine Haushaltssperre bis Ende des Jahres 2010 verordnet - das heißt Baustopp und Stellenstopp. So werden beispielsweise der Universität Würzburg im laufenden Jahr bereits eingeplante 1,1 Millionen Euro und der Universität Erlangen-Nürnberg 1,2 Millionen gestrichen. So etwas hat unmittelbar Wirkungen auf das Lehrangebot, die Anschaffungsetats und Öffnungszeiten der Bibliotheken, auf Rechenzentren und Sanierungsvorhaben.

Kämpfen wie ein Löwe

Nun geht die berechtigte Sorge um, es könnte sich dabei nicht um ein einmaliges Opfer handeln. Am 6. und 7. November geht das bayerische Kabinett unter dem Hallodri Horst Seehofer in eine Sparklausur, auf der der Doppelhaushalt 2011/12 beschlossen werden soll. Es wird von Sparforderungen von bis zu 200Millionen Euro an den Wissenschafts- und Kunstminister Wolfgang Heubisch gemunkelt, der, ebenfalls untraditionellerweise, von der FDP kommt, aber angeblich wie ein Löwe kämpfen will.

Von Kürzungen ist die Rede, die den Wissenschaftseinrichtungen fünfzehn, zwanzig oder gar bis zu dreißig Prozent ihrer Etats nehmen könnten. Zwar gibt es einen Pakt zum Ausbau von Kapazitäten für die wachsenden Studentenzahlen - im nächsten Jahr kommt wegen der "G8"-Reform ein doppelter Abiturientenjahrgang -, aber das könnte verpuffen, wenn bei der Grundausstattung gespart wird.

Studenten und Professoren müssen sich, wenn es so kommt, dreimal betrogen fühlen. Erstens haben sie die Einführung von Studiengebühren hinnehmen müssen, mit dem Versprechen, dass damit nur die Studienbedingungen (Räume, Bücher, Dozenten) verbessert, nicht aber Haushaltslöcher gestopft würden.

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Zweitens wurden unter Protest die Bologna-Reformen installiert - jetzt beklagen die Fakultäten, dass durch Bachelor und Master der Betreuungsaufwand um etwa zwanzig Prozent gewachsen sei, ohne dass dies kompensiert werde.

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Und drittens haben sich die Universitäten wohl oder übel auf die bundesweite Exzellenzinitiative eingelassen, wobei die beiden Münchner Universitäten erfolgreich waren - mit dem Versprechen, dass die temporären Fünfjahresprojekte und die dafür eingerichteten Professuren auch auf Dauer nicht zu Lasten des Normalbetriebs gingen. Im nächsten Jahr wird über die nächste Runde der Exzellenzinitiative entschieden - dann gehen die Verteilungskämpfe zwischen den fantastischen Exzellenzvorhaben und der regulären Lehre und Forschung in einer ächzenden Infrastruktur erst richtig los, nicht nur zwischen den Universitäten, sondern auch innerhalb derselben Universität.

Ein wettbewerbsfähiger Ort der Wissenschaft braucht gute Spezialeinrichtungen und erstklassigen Zugang zur Forschungsliteratur, analog und digital. Sonst kommen die besten Forscher nicht. Und so hat nun auch die Bayerische Staatsbibliothek, eine der wichtigsten des deutschsprachigen Raumes, Alarm geschlagen. Auch sie ist von der kurzfristigen Sperre betroffen und fürchtet daher für die nächsten Jahre das Schlimmste.

Die Bibliothek hat Aufgaben für ganz Bayern und darüber hinaus: Seit 2002 ist der Umfang von Fernleihe und Dokumentenlieferung aus München um 93 Prozent gewachsen. Und sie hat lokale Aufgaben: Die Besuche im Lesesaal - der inzwischen jeden Tag, auch sonntags, von 8 bis 24 Uhr geöffnet ist - sind von 489000 im Jahr 2002 auf stolze 1,18 Millionen Besuche im Jahr 2009 angestiegen. Nun warnt Bibliotheksdirektor Rolf Griebel vor "umfassenden Abbestellungen von Zeitschriftenabonnements und Einschnitten in der Bucherwerbung". Zudem bestehe die Gefahr, dass der Ankauf von Handschriften und alten Drucken "nahezu vollständig eingestellt" werden müsse.

Kaum Zeit für's Archiv

Eine kleinere, aber feine Einrichtung ist die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Sie besteht seit 1858, wurde von Leopold von Ranke gegründet und stellt als gesamtstaatlich wirksame Institution - dem alten, nationalkulturellen Anspruch Bayerns entsprechend - Quelleneditionen zur gesamten deutschen Geschichte bereit. Solche Textsammlungen sind gerade für Bologna-Studenten wichtig, die kaum noch Zeit haben, selbst ins Archiv zu gehen. Der Etat der Historischen Kommission beträgt 1,5 Millionen Euro im Jahr. Wenn dort, wie zu befürchten, 15 bis 20 Prozent gekappt würden, müsste kurioserweise auch der befristet beschäftigte Mitarbeiter entlassen werden, der an der Edition der "Protokolle des Bayerischen Ministerrats" arbeitet ...

In zweierlei Hinsicht sind die bayerische Spardrohungen fürs ganze Land paradigmatisch.

Das reiche Bayern wackelt

Zum einen kann die Wissenschaftspolitik nicht immer mehr kluge Studenten wollen und diese dann in verarmte Legebatterien zusammenpferchen. Zum anderen gilt: Wenn schon das reiche Bayern wackelt, dann steht zu befürchten, dass überall die Schere zwischen den Exzellenzparallelwelten - die ja überwiegend auch von öffentlichem Geld finanziert werden - und dem regulären Universitätsleben immer weiter auseinandergeht.

© SZ vom 29.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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