Abitur-Aufgaben:Verstörender Traum

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Es geht um Verführung Minderjähriger und Stressabbau mittels Waffengewalt: NRW verordnet "American Beauty" als Abiturthema - eine fragwürdige Wahl.

Werner Schneider

US-Präsident Barack Obama sieht seine Lebensgeschichte als ein Beispiel für die Verwirklichung des amerikanischen Traums. Der Optimismus, der sich damit verbindet, spiegelt sich auch in seinem Wahlspruch wider: "Yes, we can!" Obama hat den amerikanischen Traum definiert als ein "Versprechen, dass jeder von uns durch harte Arbeit und Opferbereitschaft seine eigenen Träume verwirklichen kann".

Der Traum einer Nation? Filmszenen von "American Beauty" taugen nur bedingt dazu, den Optimismus der USA im Unterricht zu erklären. (Foto: Foto: dpa)

Aus gutem Grund haben die deutschen Kultusministerien seit langem den amerikanischen Traum zu einem Pflichtthema des Englischunterrichts in der Oberstufe gemacht. Ein interessantes Beispiel sind die Abitur-Vorgaben in Nordrhein-Westfalen. Für alle Grund- und Leistungskurse Englisch wurde für das Zentralabitur des Jahres 2011 als ein Schwerpunkthema "Der amerikanische Traum einst und jetzt" vorgegeben. Allerdings wurde ihm verpflichtend und alternativlos der Spielfilm "American Beauty" zugeordnet.

Verachtung gegen leitende Arschlöcher

Die Hauptfigur des Films, Lester Burnham, 42 Jahre alt, verheiratet, eine Tochter, Mitarbeiter einer Medienfirma, befindet sich in einer Lebenskrise und ist in Gefahr, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. "Mein Job besteht im Wesentlichen darin, die Verachtung zu verbergen, die ich gegen die leitenden Arschlöcher hege und wenigstens einmal am Tage die Herrentoilette aufzusuchen, um ordentlich zu wichsen, während ich von einem Leben phantasiere, das nicht so sehr der Hölle gleicht", sagt er.

In einem Gespräch vor seiner Entlassung droht Lester einem anderen Mitarbeiter an, zu behaupten, er sei von ihm sexuell belästigt worden. Dadurch erpresst er eine hohe Abfindung. Dann sucht Lester eine neue Arbeit, die möglichst wenig an Verantwortung verlangt, wird Verkäufer einer Imbisskette und sieht es als sein neues Lebensziel an, die sich lolitahaft aufführende Freundin seiner Tochter zu verführen.

Man braucht nicht Pädagoge zu sein, man muss auch nicht die gedruckt vorliegenden "Aufgaben und Ziele des Unterrichts und der Erziehung in der gymnasialen Oberstufe" des Landes Nordrhein-Westfalen kennen; man braucht nur in Sorge um seinen Arbeitsplatz zu sein oder ihn bereits verloren haben, um zu fragen: Wer denkt sich einen solchen Film als Pflichtthema für das Abitur aus?

Stress abbauen , indem man eine Waffe abfeuert

Das Ministerium hatte auch keine Bedenken, mit "American Beauty" einen Film zu verordnen, in dem die Tötung eines Vaters von der eigenen Tochter und ihrem Freund erwogen, die Ermordung eines Ehemannes von seiner Ehefrau geplant und mit Schießübungen vorbereitet wird, die Erschießung eines Nachbarn mit einem aufgesetzten Schuss ausgeführt und der Ratschlag erteilt wird, dass man Stress abbauen könne, indem man eine Waffe abfeuert.

Der Film beschränkt sich auf zwei dysfunktionale Familien; er zeigt Szenen brutaler Gewalt eines Vaters gegen seinen Sohn, Szenen gegenseitiger Verachtung und drastisch praktizierter Treulosigkeit von Ehepartnern; er stellt dar, wie gewinnbringend der Handel mit Drogen ist und wie man als jugendlicher Händler und Konsument seine Eltern täuscht.

Auf der nächsten Seite: Wie das Schulministerium die Entscheidung für "American Beauty" begründete - und eine Alternative zum Film bot, die pädagogisch ebenso unsinnig ist.

Eingeschränkt geeignet

Die zuständige Abteilung des Ministeriums begründete die Auswahl von "American Beauty" mit dem Argument, der Film stelle die Brüchigkeit des amerikanischen Traums beispielhaft dar. Nun mag der Film ohne Zweifel für eine bestimmte Gruppe von Zuschauern unterhaltsam und interessant sein, der Film ist jedoch nur eingeschränkt geeignet als ein Unterrichtsstoff, mit dem Schüler sich wochenlang beschäftigen müssen. Auf die eingeschränkte Eignung des Films als alternativlose Abitur-Vorgabe ist das Ministerium in einer ausführlichen Eingabe hingewiesen worden.

Im November 2008 wurden die Einwände zunächst zurückgewiesen, schließlich entschied jedoch die Schulministerin Barbara Sommer (CDU) persönlich, dem Film eine Alternative an die Seite zu stellen. Nachdem im Spiegel unter dem Titel "Prüde Prüfung" an dieser Entscheidung Kritik geübt worden war, fragte die SPD-Opposition im Landtag, warum neben "American Beauty" ein zweiter Film vorgegeben werde: "Ist diese Landesregierung zu prüde?"

Bbrillanter schwarzer Schüler oder Waisenjunge

Das Ministerium hat mittlerweile die Alternative bekanntgegeben. Es handelt sich um den Spielfilm "The Great Gatsby". Er spielt in den USA der zwanziger Jahre und erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der durch Alkoholschmuggel zu einem Vermögen gekommen ist und versucht, seine inzwischen verheiratete Jugendliebe zurückzugewinnen. Der Film endet mit der Ermordung Gatsbys und dem Selbstmord des Täters. Formal haben die Schüler jetzt die Wahl zwischen zwei Filmen. Betrachtet man aber die Morbidität von "American Beauty" und "The Great Gatsby", ist es eine Wahl zwischen Skylla und Charybdis.

Es wird das Geheimnis des Ministeriums bleiben, warum keiner der Filme berücksichtigt wurde, die Kritiker als didaktisch geeignete Alternativen vorgeschlagen haben: die Filme "Erin Brockovich", "The Cider House Rules", "Finding Forrester". Die Hauptfiguren dieser Filme zeigen, wie ein Leben gelingen kann, wenn Selbstvertrauen, Verantwortungs- und Anstrengungsbereitschaft das Leben leiten. Erin Brockovich, eine alleinerziehende Mutter, Homer, ein Waisenjunge ohne formale Bildung, und Jamal Wallace, ein brillanter schwarzer Schüler und Basketballspieler, erfüllen jeder für sich und in unterschiedlicher Weise den Amerikanischen Traum.

Der Autor war Lehrer für Englisch und Latein, Leiter einer gymnasialen Oberstufe und Referent in der Lehrerfortbildung. Er hat über die Filmanalyse im Englischunterricht promoviert.

© SZ vom 29.6.2009/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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