Krankenkassen-Studie:So krank sind deutsche Arbeitnehmer

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Erkrankt ein Arbeitnehmer, fällt er der DAK-Studie zufolge durchschnittlich 12,6 Tage aus. (Foto: inkje / photocase.com)

Rückenschmerzen, Verletzungen, Depressionen: Unter diesen Erkrankungen leiden deutsche Arbeitnehmer am häufigsten. Während die Zahl der Fehltage leicht zurückgeht, setzt sich der Negativ-Trend bei einer bestimmten Erkrankungsart weiter fort.

Von Johanna Bruckner

Worunter leiden deutsche Arbeitnehmer? Welche Beschwerden haben berufstätige Frauen im Gegensatz zu Männern? Und entwickelt sich Burn-out tatsächlich zur neuen Volkskrankheit? Der "DAK-Gesundheitsreport 2013" versucht Antworten auf diese Fragen zu geben - ein Überblick.

Erkrankungen nach Geschlecht

Ob nun die Kaufhausmitarbeiterin, die stundenlang hinter der Kasse steht, oder der Bauarbeiter, der einen Zementsack nach dem anderen über die Schulter wuchtet: Am Ende des Arbeitstages und mit zunehmenden Arbeitsjahren werden beide nicht selten von Rückenschmerzen geplagt. Aufgeschlüsselt nach Art der Diagnose liegen Rückenschmerzen auf Platz eins der Beschwerden. Insgesamt sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems dem DAK-Gesundheitsreport zufolge der häufigste Grund für Krankschreibungen sowohl bei Frauen (21,2 Prozent) als auch bei Männern (25,2 Prozent).

Unterschiede gibt es hingegen auf Rang zwei: Während bei Männern Verletzungen die zweithäufigste Erkrankungsursache sind (15,8 Prozent), kommen bei Frauen an dieser Stelle bereits psychische Erkrankungen (17,3 Prozent). Ein Grund für diesen Unterschied könnte sein, dass Männer ungleich häufiger schwere körperliche Arbeit verrichten - zum Beispiel auf dem Bau - und insofern ein höheres Verletzungsrisiko haben. Auf Platz drei folgen dann bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Erkrankungen des Atmungssystems wie Bronchitis.

Der Zahn der Zeit nagt: Die Wahrscheinlichkeit, Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems zu bekommen, steigt mit zunehmendem Alter. Während bei den 15- bis 19-Jährigen nur etwa acht Prozent der Arbeitsunfähigkeits-Tage (AU-Tage) auf Rückenerkrankungen entfallen, sind es in der Gruppe der über 60-Jährigen etwa 30 Prozent. Demgegenüber fallen jüngere Arbeitnehmer im Vergleich überdurchschnittlich oft aufgrund von Verletzungen aus (26,4 Prozent der AU-Tage bei den 15- bis 19-Jährigen). Die Forscher führen dies auf ein "anderes Freizeitverhalten und eine größere Risikobereitschaft" zurück.

Psychische Erkrankungen sind mit zunehmendem Alter häufiger Grund für eine Krankschreibung. "Der Anteil der psychischen Störungen am Gesamtkrankenstand steigt von 5,8 Prozent bei den 15- bis 19-Jährigen kontinuierlich auf einen prozentualen Anteil von 16,9 Prozent bei den 40- bis 44-Jährigen an", heißt es dazu in der Studie. Interessanterweise sind seelische Beschwerden danach wieder seltener für einen Arbeitsausfall verantwortlich. Bei den über 60-Jährigen liegt ihr Anteil an den Krankschreibungen nur noch bei zwölf Prozent.

Eine Erklärung für dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis könnte dem Expertenbericht zufolge der sogenannte "Healthy-Worker-Effekt" sein. Arbeitnehmer in den höheren Alterssegmenten seien "wahrscheinlich besonders gesunde Arbeitnehmer, während ihre kränkeren Kollegen zu einem großen Teil aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind".

Arbeitsunfähig, weil die Seele streikt: Wichtigste Erkenntnis des DAK-Gesundheitsreports ist einmal mehr das gesteigerte Bewusstsein für psychische Leiden. "Die Zunahme der Arbeitsunfähigkeiten aufgrund psychischer Erkrankungen ist seit etwa 15 Jahren die bei weitem auffälligste Entwicklung", heißt es dazu im Bericht.

Im Zeitraum von 1997 bis 2012 sei eine Steigerung der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen um 165 Prozent zu beobachten. Dies sei nicht allein darauf zurückzuführen, dass erkrankte Arbeitnehmer immer länger ausfallen - wie von Arbeitgeberseite gerne kolportiert wird. "Die Betroffenenquote, also der Anteil der Beschäftigten, die wegen einer psychischen Diagnose krankgeschrieben waren, wächst im betrachteten Zeitraum um 131 Prozent", heißt es im Bericht.

Mit einem Anteil von 14,5 Prozent an den Fehltagen (über Geschlecht und Alter hinweg) sind "die psychischen Erkrankungen auf Rang zwei der wichtigsten Ursachen für Krankschreibungen" gerückt. Bei den Krankschreibungen zugrundeliegenden Diagnosen belegen seelische Störungen bereits Platz zwei ("depressive Episode") und drei ("Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen").

Zwar erkranken Frauen häufiger als Männer, doch die Rangfolge der Diagnosen innerhalb der psychischen Erkrankungen unterscheidet sich nicht nach Geschlecht. "Das heißt für Frauen wie für Männer ist die Depression diejenige Diagnose, die (mit Abstand) die meisten Fehltage verursacht." Allerdings fallen Arbeitnehmer mit entsprechenden Beschwerden im Schnitt etwas länger aus als Arbeitnehmerinnen.

Eine von AU-Tagen aufgrund psychischer Erkrankungen besonders betroffene Branche ist das Gesundheitswesen. Dass Arbeitnehmer in diesem Bereich besonders häufig unter entsprechenden Beschwerden leiden, könnte mit den dort gängigen Arbeitszeiten (zum Beispiel wechselnde Schichten im Krankenhaus) und dem hohen Arbeitsdruck (durch zu wenig Personal) zusammenhängen.

"Von einem AU-Volumen nahe null im Jahr 2004 erfährt das Burn-out-Syndrom einen steilen Aufstieg und verzeichnet im Jahr 2012 zehn Fehltage pro 100 Versicherte", heißt es im DAK-Bericht. Entwickelt sich Burn-out also tatsächlich zur neuen Volkskrankheit?

Der Gesundheitsreport beantwortet diese Frage mit: jein. Zwar nehmen psychische Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit seit etwa 15 Jahren tatsächlich kontinuierlich zu. Die Forscher kommen jedoch gleichzeitig zu dem Schluss, dass sich die Prävalenz solcher Erkrankungen - also das Vorhandensein in der Bevölkerung - über die Zeit nicht gesteigert habe. Als mögliche Erklärungen dieses scheinbaren Widerspruchs nennen die Experten vor allem zwei Entwicklungen:

  • Verschiebung der Diagnosen von somatischen hin zu psychischen Diagnosen

In der Bevölkerung und auch in der Ärzteschaft ist die Sensibilität für seelische Erkrankungen gestiegen. Wurde bei Beschwerden früher hauptsächlich nach körperlichen Ursachen gesucht, rücken psychische Belastungen immer stärker in den Fokus und werden konkret abgefragt. "Dies", so heißt es in der Studie, "gibt Grund zu der Annahme, dass psychische Erkrankungen zwar nicht 'real' zugenommen haben, dass sie aber häufiger als früher als expliziter Grund für eine Krankschreibung dokumentiert werden."

  • Höhere Sensibilität und Offenheit für psychische Erkrankungen bei Arbeitnehmern

Im Report heißt es: "Das Stichwort 'Burn-out' ist aus Sicht der Hausärzte ein 'Vehikel', psychische Probleme anzusprechen." Weiter konstatiert der Bericht auch patientenseitig eine höhere Sensibilität und Offenheit für Erkrankungen der Seele, sowie "eine gesteigerte Bereitschaft, Diagnosen aus dem psychischen Bereich zu akzeptieren".

Obwohl das Bewusstsein für psychische Erkrankungen gestiegen ist, hat die Akzeptanz solcher Beschwerden als Grund für einen Arbeitsausfall nicht in gleichem Maße zugenommen. Vielleicht auch deshalb enthält der DAK-Bericht Beobachtungen, die sorgenvoll stimmen könnten. Demnach sind psychische Störungen sehr viel häufiger, "als man aufgrund von (...) Arbeitsunfähigkeitsdaten annehmen würde". Zur hohen Dunkelziffer passt, dass immer weniger Arbeitnehmer, die sich seelisch krank fühlen, im Job pausieren. Das, so betonen die Experten in ihrem Bericht, müsse aber nicht zwangsläufig, eine negative Entwicklung sein: Demnach kann es je nach Fall sogar heilsam sein, "möglichst schnell wieder ins Berufsleben einzusteigen".

Datenbasis des Berichts sind die knapp 2,7 Millionen Versicherten (im Jahr 2012) der DAK.

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