Tamiflu:Lager voller Nichts

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Noch immer horten viele Bundesländer Millionen Einheiten des Mittels und warten, ob die zuständigen Institute ihre Empfehlung revidieren.

Katrin Blawat

Ein Platzproblem haben die Bundesländer offenbar nicht. Sonst könnten sie es sich wohl kaum leisten, Millionen Einheiten eines teuer eingekauften, aber nahezu wirkungslosen Medikaments zu horten. Bayern zum Beispiel hält noch 2,8 Millionen Einheiten Tamiflu beziehungsweise von dessen Wirkstoff Oseltamivir parat. Hinzu kommen eine Million Einheiten einer weiteren Influenza-Arznei mit dem Handelsnamen Relenza. Insgesamt könnte sich also etwa ein Drittel aller Bayern aus den Vorräten bedienen.

Diese Zahlen gehen aus einem Schreiben des bayerischen Gesundheitsministeriums vom März hervor. Damit reagierte die Staatsregierung damals auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion, ob das Land seinen Umgang mit Tamiflu angesichts der heftigen Kritik an dem Grippemittel ändern wolle.

Eine eindeutige Antwort darauf enthält der Bericht jedoch nicht. Man prüfe derzeit, ob Tamiflu-Vorräte in Zukunft erforderlich seien. Ähnlich gewunden äußert sich das Ministerium auch zu den wissenschaftlichen Belegen für die ungenügende Wirksamkeit des Mittels. Staatsminister Marcel Huber, Autor des Schreibens, verweist auf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die in Deutschland zuständige Prüfbehörde. Das BfArM sehe Tamiflu "weiterhin als Therapie der Wahl" an. "Die aktuelle Cochrane-Analyse vom 18.01.2012 ändert unsere Einschätzung nicht." So zitiert Huber aus einem Schreiben des BfArM von Ende Februar. Auch das Gesundheitsministerium des Bundes verweist auf das BfArM und auf die Europäische Arzneimittelagentur Ema. "Deren Einschätzung schließen wir uns an", sagt Ministeriumssprecher Oliver Ewald. Vom BfArM selbst war am Dienstag keine Stellungnahme zu erhalten zur Frage, wie es trotz der Kritik der Cochrane-Wissenschaftler zu seinem positiven Urteil gekommen war.

Niemand fühlt sich verantwortlich", kritisiert Kathrin Sonnenholzner. Die Ärztin ist gesundheitspolitische Sprecherin der bayerischen SPD-Landtagsfraktion und hat die Anfrage an die Staatsregierung mit initiiert. "Anfangs habe ich die Tamiflu-Vorräte befürwortet in dem Glauben, das Mittel könne die schweren Verläufe der Influenza reduzieren. Nach allem, was jetzt bekannt ist, sage ich: Die Daten reichen nicht aus, um nur einen Cent für Tamiflu-Vorräte auszugeben."

Das sehen die Regierungen vieler Bundesländer offensichtlich anders. Hessen und Baden-Württemberg horten antivirale Grippemittel derzeit für jeweils 20 Prozent der Bevölkerung. In Nordrhein-Westfalen lagere der Tamiflu-Wirkstoff Oseltamivir für etwa 27 Prozent der Bürger, sagt Christoph Meinerz, Sprecher des dortigen Gesundheitsministeriums. Vor gut einem Jahr haben sich die nordrhein-westfälischen Lager jedoch etwas geleert. 624 000 der teuer eingekauften Tamiflu-Einheiten waren abgelaufen - und wurden vernichtet. Die jetzigen Wirkstoff-Vorräte seien noch drei Jahre lang haltbar, so Meinerz.

Und was passiert dann? Eine Arbeitsgruppe prüfe und debattiere; über das weitere Vorgehen will man, wie auch in Bayern, nichts Konkretes sagen. Doch werden sich die Bundesländer wohl weiterhin an den Empfehlungen des BfArM orientieren. Und an denen des Robert-Koch-Instituts (RKI), das den sogenannten Pandemieplan erstellt. In dessen jüngster Fassung aus dem Jahr 2007 empfiehlt das RKI, Grippemittel für 20 Prozent der Bevölkerung vorrätig zu halten. Diesen Anteil haben die Fachleute mit Hilfe einer Modellrechnung bestimmt, für die sie wiederum die Daten einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2005 herangezogen haben.

Ich kann nicht sagen, dass die Empfehlung noch aktuell ist", sagt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. "Es hat seither eine Pandemie gegeben, und man hat Erfahrung in vielerlei Hinsicht gesammelt." Der Pandemieplan werde zwar aktualisiert. Doch was das für die Tamiflu-Empfehlung heißt, stehe noch nicht fest.

© SZ vom 11.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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