Seuchenschutz:WHO startet gewaltige Impfkampagne gegen Gelbfieber

Gelbfieber  in Angola

In mehr als 20 Ländern wurden die Impfkampagnen gegen Masern ausgesetzt. Jetzt steigt die Zahl der Kranken.

(Foto: dpa)

Gesucht: Zehn Millionen Nadeln. Damit der Impfstoff für möglichst viele Menschen in Afrika reicht, bekommt jeder nur eine kleine Dosis. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang

Von Kai Kupferschmidt

Die Zeit drängt, sagt Sylvie Briand von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Denn bald kommt der Regen. Und mit ihm kommen die Mücken. Dann könnte der Gelbfieberausbruch, der seit Dezember 2015 in Afrika wütet, noch heftiger werden. Zugleich wird es dann noch schwieriger, Menschen zu erreichen, um sie gegen das Virus zu impfen. Briand und ihre Kollegen bei der WHO haben deshalb diese Woche eine der größten Impfkampagnen der Geschichte begonnen: 14 Millionen Menschen sollen in den nächsten Wochen in Angola und der Demokratischen Republik Kongo gegen Gelbfieber geimpft werden. Das schützt einerseits die Menschen in der Region, andererseits soll die Maßnahme eine weitere Ausbreitung der tödlichen Krankheit verhindern. "Wir wollen dem Ausbruch das Rückgrat brechen", sagt Briand.

Es ist eine Mammutaufgabe, wie sie selbst die Weltgesundheitsorganisation nur selten stemmen muss: 41 000 Helfer sind an 8000 Orten im Einsatz. 500 Fahrzeuge und Millionen Spritzen werden benötigt. Die Zeit drängt. Mehrere Tausend Menschen sind laut WHO bereits erkrankt, mehr als 500 gestorben. Die wirklichen Zahlen könnten deutlich höher liegen. Und die Krankheit hat inzwischen Kinshasa erreicht, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, in der mehr als zehn Millionen Menschen leben.

Experten warnen seit Jahren vor einem Gelbfieberausbruch in einer Megastadt wie Kinshasa. Die Krankheit wird von einem Virus verursacht und von Mücken der Art Aedes aegypti übertragen. Der Erreger lebt vor allem in Affen. Hin und wieder wird er von einer Mücke, die einen infizierten Affen gestochen hat, auf einen Menschen übertragen. So kommt es vor allem in der Nähe des Dschungels immer wieder zu einzelnen Infektionen. Doch wenn das Virus in eine Stadt gelangt, übertragen die Mücken die Krankheit direkt von einem Menschen auf den nächsten und der Erreger kann sich explosionsartig ausbreiten.

Um die Bevölkerung rechtzeitig zu schützen, greift die WHO zu einer drastischen Maßnahme

Die Infizierten leiden unter Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit. Nach einigen Tagen verschwinden die Symptome wieder und für die meisten ist die Krankheit damit ausgestanden. Doch bei etwa 15 Prozent folgt eine zweite, schlimmere Phase. Das Fieber kommt zurück, dann die Übelkeit. Überschwemmt von Viren versagt die Leber. Die Augen färben sich gelb, dann die Haut. Die Patienten beginnen häufig aus Augen, Mund und Nase zu bluten. Jeder Zweite, der diese toxische Phase erlebt, stirbt. Ein Heilmittel gibt es nicht.

Einen Impfstoff gibt es dagegen bereits seit 1938. Er basiert auf einer abgeschwächten Form des Virus. Die Produktion ist umständlich, das Virus muss in Hühnereiern herangezüchtet werden. Weltweit gibt es nur noch vier Fabriken, die den Impfstoff herstellen, seit Jahren kommt es deshalb zu Lieferengpässen. Dieses Jahr wurden bereits mehr als 16 Millionen Impfdosen für Notfallkampagnen eingesetzt, dabei sind im internationalen Notvorrat eigentlich nur sechs Millionen Dosen vorgesehen.

Um die Bevölkerung in Kinshasa rechtzeitig zu schützen, greift die WHO nun zu einer drastischen Maßnahme: Die Menschen dort bekommen nur ein Fünftel der normalen Impfstoffdosis, 0,1 Milliliter statt wie üblich 0,5. So können mit den 1,7 Millionen Dosen, die für Kinshasa zur Verfügung stehen, mehr als acht Millionen Menschen geimpft werden.

Als Notfallmaßnahme wird diese Idee schon länger diskutiert. Studien in Brasilien und den Niederlanden haben gezeigt, dass auch eine niedrigere Dosis vor Gelbfieber schützt. Auf einer eilig einberufenen Sitzung im Juni hatte ein Expertengremium der WHO den Plan abgesegnet. "Wir glauben, dass der Vorteil, so viele Menschen wie möglich zu impfen, viel größer ist, als das Risiko, das manche nicht so gut auf den Impfstoff reagieren, wie sie auf eine volle Dosis reagieren würden", sagt Jon Abramson von der Wake Forest School of Medicine in den USA, ein Kinderarzt, der die WHO-Expertengruppe leitet.

Doch es gibt zahlreiche offene Fragen: Etwa wie lange der Impfschutz anhält. Früher musste die Gelbfieberimpfung alle zehn Jahre erneuert werden, inzwischen ist klar, dass eine volle Dosis Geimpfte ein Leben lang schützt. Doch bei der Minidosis ist das unwahrscheinlich. Möglicherweise lässt der Schutz schon nach zwölf Monaten nach. "Wir müssen unbedingt darauf achten, dass dies verfolgt wird und diese Menschen dann in Zukunft noch einmal geimpft werden", sagt Tom Monath, ein Virusforscher, der seit Jahrzehnten Gelbfieber erforscht und zurzeit bei der Biotechfirma New Link Genetics arbeitet.

"Die Pläne sind alle gemacht"

Auch wie die kleinere Dosis sich auf Nebenwirkungen auswirken wird, ist unklar. Paradoxerweise könnte eine geringere Impfstoffmenge zu mehr Nebenwirkungen führen. Schließlich handelt es sich bei dem Impfstoff um ein lebendes Virus, das sich im Körper des Geimpften vermehrt. Eine kleinere Dosis könnte theoretisch dazu führen, dass die Immunabwehr das Virus später erkennt, der Impfstamm also länger im Körper bleibt. Auch deshalb sei es wichtig, die Impfaktion von Forschern begleiten zu lassen, sagt Monath.

Doch zunächst einmal stehen die logistischen Probleme im Vordergrund. So werden für die kleineren Impfstoffdosen auch kleinere Nadeln benötigt. Zehn Millionen solcher Nadeln lassen sich aber nicht kurzfristig auf dem freien Markt kaufen und so setzt die WHO nun unter anderem acht Millionen Spritzen ein, die für Polioimpfungen vorgesehen waren. Hinzu kommt, dass der Impfstoff ständig gekühlt werden muss. Eine Herausforderung in Gegenden, in denen es häufig keine Stromversorgung und keinen Treibstoff für Generatoren gibt. Neben Millionen kleiner Spritzen hat die WHO deshalb auch 115 000 Kühlpacks nach Afrika verschifft. "Die Pläne sind alle gemacht", sagt Briand. "Die große Herausforderung ist, sie jetzt auch umzusetzen."

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