Kindersterblichkeit:Zu früh für diese Welt

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Der Rückgang der Sterbefälle infolge von Frühgeburtlichkeit beträgt seit dem Jahr 2000 nur ungefähr zwei Prozent jährlich (Foto: Britta Pedersen/dpa)
  • Im vergangenen Jahr sind weltweit geschätzt 6,3 Millionen Kinder im Alter unter fünf Jahren gestorben. Die mit 1,1 Millionen größte Gruppe der Todesfälle geht auf die Folgen und Komplikationen von Frühgeburten zurück.
  • Besonders die wirtschaftlich armen und bevölkerungsreichen Länder haben viele Opfer durch zu frühe Geburten zu beklagen.
  • Ein paar Maßnahmen können helfen, das Risiko für Frühgeburten zu senken, beispielsweise eine Familienplanung, die Schwangerschaften vor dem 17. und nach dem 40. Lebensjahr vermeidet.

Von Werner Bartens

Die Kleinsten der Kleinen haben die wenigsten Reserven. Wenn sie sich mit aggressiven Keimen auseinandersetzen müssen, und ihre Organe und ihr Immunsystem noch nicht reif genug sind, weil sie schlicht zu früh auf die Welt gekommen sind, dann schweben sie in besonders großer Gefahr. Im vergangenen Jahr sind weltweit geschätzt 6,3 Millionen Kinder im Alter unter fünf Jahren gestorben. Die mit 1,1 Millionen größte Gruppe der Todesfälle geht auf die Folgen und Komplikationen von Frühgeburten zurück. Wissenschaftler um Robert Black von der Johns Hopkins School of Public Health beschreiben im Fachmagazin The Lancet (online) vom heutigen Montag die Hintergründe dieser erschreckenden Zahlen und Fakten.

Das Forscherteam aus London und Baltimore kann gemeinsam mit Kollegen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwar auch einen positiven Trend verkünden. So starben im Jahre 2000 noch 76 von 1000 geborenen Kindern vor Vollendung des fünften Lebensjahres. Bis zum Jahre 2013 konnte dieser Anteil auf 46 von 1000 gesenkt und damit erheblich reduziert werden. Trotzdem liegen die absoluten Zahlen noch immer dramatisch hoch. In der EU sterben vier von tausend Kindern bis zum fünften Geburtstag.

Die Forscher sehen zwar, dass die Anstrengungen im Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Lungenentzündungen, Malaria, Masern, Durchfallerkrankungen und Tetanus erfolgreich waren. Darauf geht allein die Hälfte des Rückgangs der Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren zurück. Impfkampagnen, Moskitonetze, Antibiotika und spezifische Therapien gegen Malaria, HIV und Tetanus haben entscheidend dazu beigetragen.

In armen und bevölkerungsreichen Ländern ist das Problem besonders groß

Gleichzeitig fallen die Fortschritte, die tödlichen Folgen der Frühgeburtlichkeit zu vermeiden oder zumindest zu verringern, vergleichsweise bescheiden aus. Hier beträgt der Rückgang der Sterbefälle seit dem Jahr 2000 nur ungefähr zwei Prozent jährlich. Erschwert wird das Problem dadurch, dass der Anteil der Frühgeborenen mit einem von zehn Babys - das waren im Jahr 2013 weltweit ungefähr 15,1 Millionen Frühgeborene - weiter ansteigt.

Im Jahr 2013 starben weltweit ungefähr 965 000 Frühgeborene innerhalb der ersten vier Lebenswochen, weitere 125 000 in den Monaten und Jahren danach an Spätkomplikationen wie Organunreife, Entwicklungsrückstand und Abwehrschwäche. Lungenentzündungen fordern jährlich weltweit immer noch 935 000 Todesopfer unter den Säuglingen und Kleinkindern. An nächster Stelle folgen Todesfälle durch Geburtskomplikationen - daran sind 2013 mehr als 720 000 Kinder gestorben, kaum dass sie auf der Welt waren.

"Wir haben in den vergangenen Jahren viele beeindruckende Erfolge im Kampf gegen ansteckende Krankheiten gesehen", sagt Joy Lawn von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. "Das zeigt doch, dass wir auch erfolgreich in der Bekämpfung der Frühgeburtlichkeit sein können, wenn wir in die Vorbeugung und andere Maßnahmen investieren."

Besonders die wirtschaftlich armen und bevölkerungsreichen Länder haben viele Opfer durch zu frühe Geburten zu beklagen. In Indien starben vergangenes Jahr 361 600 Kinder, weil sie zu früh auf die Welt kamen. In Nigeria waren es 98 300, in Pakistan 75 000, im Kongo 40 600 und in China 37 200. Es folgen Bangladesh, Indonesien, Äthiopien, Angola und Kenia. Bezogen auf die Bevölkerung gibt es auch in den derzeit von der Ebola-Seuche geplagten Staaten Westafrikas einen hohen Anteil kindlicher Todesfälle nach Frühgeburten. In Sierra Leone und Liberia wird sich die Lage daher wohl noch verschärfen.

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"Jeden Tag sterben 7600 Neugeborene, das muss man sich vorstellen: jeden Tag", sagt Andres de Francisco, der einem Zusammenschluss mehrerer Organisationen für frühkindliche Gesundheit angehört. "Diese epidemischen Todesfälle unter den Früh- und Neugeborenen stellen eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen im 21. Jahrhundert dar." Dabei ist der Aufwand, sie zu bekämpfen, gar nicht so groß. "Zwei Drittel dieser Todesfälle ließen sich auch ohne intensivmedizinische Behandlung vermeiden", sagt Francisco.

Armut, schlechte Ernährung, diverse Schadstoffe und chronischer Stress tragen zu vermehrten Frühgeburten bei, ebenso hoher Blutdruck und starkes Übergewicht der Mutter. Ein paar Maßnahmen können helfen, das Risiko für Frühgeburten zu senken, beispielsweise eine Familienplanung, die Schwangerschaften vor dem 17. und nach dem 40. Lebensjahr vermeidet. Auch Kaiserschnitte vor der 39. Schwangerschaftswoche, die nicht medizinisch indiziert sind, sollten unterbleiben, weil sie das Risiko für frühgeburtliche Komplikationen ebenfalls erhöhen. Zudem ist es in manchen Ländern erlaubt, bei der künstlichen Befruchtung mehr als drei Eizellen einzusetzen, wodurch automatisch das Risiko für Mehrlingsschwangerschaften und Frühgeburten erhöht wird.

Auch in Deutschland gilt: Man könnte die Überlebensrate von Frühgeborenen noch verbessern

In den wohlhabenden Ländern sterben insgesamt deutlich weniger Kinder unter fünf Jahren. Die medizinische Versorgung ist dort meist gut, weniger Kinder fallen Infektionen zum Opfer. Daher ist der Anteil der Todesfälle durch Frühgeburten vergleichsweise hoch: In den USA liegt er bei 28,1 Prozent, in Deutschland bei 29,1 Prozent, in der Schweiz bei 32,7 Prozent und in Dänemark bei 43 Prozent.

In Deutschland könnten vermutlich etliche Komplikationen bei besonders kleinen Frühgeborenen vermieden werden, wenn es eine Regelung gäbe, wonach nur solche Krankenhäuser die Kleinsten der Kleinen behandeln dürfen, die 50- oder gar 70-mal im Jahr solche schwierigen Fälle betreuen. Bisher ist die lukrative Versorgung aber jeder Klinik erlaubt, sofern sie dies mindestens 14-mal im Jahr tut. Die internationale Fachliteratur hat indes gezeigt, dass mehr Kinder überleben und weniger schwere Folgen davontragen, wenn die Krankenhäuser ausreichend Erfahrung mit den Frühgeborenen haben.

Weltweit haben sich etliche Gesundheitsbehörden und Nichtregierungsorganisationen das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2030 alle vermeidbaren Todesfälle von Müttern und Kleinkindern zu verhindern. "Wir müssen alle zusammenarbeiten, um die ebenso tragische wie vermeidbare Realität zu beenden und das Überleben der Kinder wie auch die Gesundheit der Mütter zu sichern", sagt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Um daran zu erinnern, wird an diesem Montag in mehr als 60 Ländern mit Initiativen und Veranstaltungen auf die prekäre Lage vieler Kleinkinder aufmerksam gemacht.

© SZ vom 17.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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