Honorarstreit der Ärzte:Wenn das System krank ist

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Es geht nicht einmal um eine Kürzung der kassenärztlichen Honorare, sondern nur um eine zu geringe Anhebung. Trotzdem drohen die Ärzte mit Streik und spielen mit den Ängsten der Schwächsten. So erscheint das Gejammer der Ärzte wie das Luxusproblem einer ungezogenen Elite. Dabei sind viele Ärzte selbst Opfer.

Werner Bartens

Wenn Ärzte protestieren, demonstrieren oder gar mit Streik drohen, hat das jedesmal auch eine jämmerliche Note. Wer die Linderung von Leid und Not zum Beruf hat, sollte nicht mit Ängsten der Menschen spielen und in der Manier von Buchhaltern vorrechnen, welche Patienten - im Falle eines Ausstandes - doch noch behandelt, an das Krankenhaus verwiesen würden oder mit längeren Wartezeiten zu rechnen hätten. Dass es häufig um Leben und Tod, immer aber um Wohl und Wehe der Menschen geht und nicht um Zug- oder Flugausfälle, unterscheidet die Streiks der Mediziner von denen der Lokführer oder Flugbegleiter. Die Drohung, die ärztliche Versorgung einzuschränken, ist perfide, weil sie die Sorgen der Schwächsten nährt. Dieser Unfug sollte unterbleiben und nicht alle Quartale wieder hervorgeholt werden.

So wie sich die Ärzte in ihrem Protest gebärden und ihre Unzufriedenheit darstellen, wirkt ihr Gejammer wie das Luxusproblem einer ungezogenen Elite. (Foto: ddp)

Zudem hat es etwas Ungehöriges, wenn eine der - trotz aller Klagen - noch immer am besten verdienenden Berufsgruppen sich zum wiederholten Mal darüber beschwert, dass die Anhebung der Honorare diesmal zu gering ausfällt. Man muss das betonen: Es geht in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit Politik und Krankenkassen um einen Anstieg der kassenärztlichen Honorare, nicht um ihre Kürzung.

Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass Ärzte in der öffentlichen Wahrnehmung nur verlieren können, wenn sie zum wiederholten Mal drohen, die Arbeit niederzulegen, weil der Aufschlag für ihre Leistungen zu gering ausfällt. So wie sie sich in ihrem Protest gebärden und ihre Unzufriedenheit darstellen, wirkt das Gejammer der Ärzte wie das Luxusproblem einer ungezogenen Elite.

Dabei hätten die Ärzte wahrlich genügend Gründe, sich zu empören. Manche von ihnen, etwa jene, die primär nach medizinischen und nicht nach ökonomischen Erwägungen ihre Patienten behandeln, sind tatsächlich zu bedauern. In der Frage der Bezahlung der Ärzte sollte sich der Protest daher nicht gegen die Höhe, sondern die Verteilung der Honorare richten. Die ist in der Tat skandalös - und zwar für Ärzte wie für Patienten. Dass der Arzt beispielsweise für die ausführliche Beratung eines Krebspatienten oder den Hausbesuch beim gebrechlichen Alten schlechter bezahlt wird als die Tankstelle für einen Reifenwechsel, ist weder zu verstehen noch hinzunehmen.

Falsche Anreize im Gesundheitswesen

Längst gilt für die Arztpraxis das zynische Motto: Wenig Patienten - viel Geld. Der betriebswirtschaftlich kundige Mediziner lässt Maschinen für sich arbeiten und meidet den Krankenkontakt. Patienten, besonders jene, die hauptsächlich reden wollen, machen viel Arbeit, bringen aber nichts ein. Je nach Bundesland bekommt ein Facharzt nur 15, 17 oder 21 Euro dafür, dass er einen Patienten zu Wort kommen lässt, ihn körperlich untersucht und vielleicht noch einen Ultraschall anschließt. Das ist unter einer halben Stunde kaum zu machen. Die Kardiologen, die Radiologen oder Labormediziner, die Herzkatheter schieben, Kernspin und CT auslasten und routinemäßig große Blutkontrollen veranstalten und dabei höchstens als Grüßaugust vorbeischauen, verdienen hingegen das Vielfache.

In der Medizin sind seit Jahren falsche Anreize gesetzt worden, das System ist aus dem Ruder gelaufen. Obwohl - und das ist in vielen Studien belegt - fast die Hälfte aller Patienten, die zum Arzt gehen, psychosomatisch grundierte Beschwerden haben, wird die oft beschworene "sprechende Medizin" nicht oder lächerlich schlecht honoriert. Stattdessen wird im Gesundheitswesen Geld verschwendet für Überdiagnostik und Übertherapien - unnötige Tests und Behandlungen, die Menschen nicht gesünder, sondern kränker machen. 80 Prozent aller Kniespiegelungen in Deutschland sind überflüssig, fast ebenso viele Röntgenaufnahmen vom Rücken, die Mehrzahl der Kernspin- und CT-Aufnahmen und etwa zwei Drittel aller Herzkatheter. Diese unnötige Medizin ist rein ökonomisch motiviert, nicht medizinisch.

Dagegen sollten die Ärzte protestieren: Wie die Industrialisierung der Medizin die Gesundheit der Menschen bedroht und ein falsches Honorarsystem Ärzte korrumpiert und Gesunde zu Kranken macht. In diesem System verzweifeln jene Ärzte, die trotz aller Widrigkeiten noch primär ethisch handeln. Die anderen Ärzte halten sich für Dr. Schlau, behandeln nur noch Privatpatienten oder bieten unnütze Gesundheitsleistungen (Igel) an, die der Patient selbst zahlen muss. Die Medizin richten sie damit zugrunde.

Es wird Zeit einzusehen, dass viele Ärzte Opfer eines kranken Systems sind. Sie müssen sich aber vorhalten lassen, dass sie und ihre Funktionäre dieses System mitgestaltet und mitverschuldet haben.

© SZ vom 04.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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