Crystal Meth in Deutschland:Einsamer Kampf gegen eine grausame Droge

Rauschgiftkontrolle in deutsch-tschechischer Grenzregion

Kristalle des Methamphetamins: Die Droge wird auch Crystal oder Ice genannt.

(Foto: dpa)

Crystal Meth ist nur in einigen Gegenden Deutschlands verbreitet. Für die betroffenen Regionen ist das Problem enorm: Sie stehen allein vor einer Entwicklung, für die sie kaum gewappnet sind.

Von Berit Uhlmann

Für Fiktionen ist der Stoff perfekt. Aus der Droge Crystal Meth erwächst der Aberwitz von "Breaking Bad", jener Serie, in der ein biederer Pädagoge Drogenkristalle von unglaublicher Reinheit erschafft, die zum Schmutzigsten, Bösesten, Brutalsten führen, was man im TV derzeit zu sehen bekommt. Es stimmt, dass Methamphetamin eine grausame Droge ist, vergleichsweise billig, und doch "gefährlicher als Heroin, Kokain und Speed", wie Roland Härtel-Petri, Leiter des Suchtbereichs am Bezirkskrankenhaus Bayreuth, sagt. Das kristalline Gift macht rasch abhängig und wirkt neurotoxisch. Es stimmt auch, dass Meth in den USA weitverbreitet ist; schon 1962 hoben Ermittler erste Labore aus, 2004 wurde es zur meistgenutzten synthetischen Droge des Landes erklärt. Richtig ist auch, dass in Mexiko grausame Bandenkriege um die Kristalle geführt werden. Aber kann das stimmen: Diese böse Droge gibt es mitten in Deutschland?

Fast genau im geografischen Zentrum der Bundesrepublik liegt Mühlhausen. Das Städtchen bettet sich idyllisch in die thüringische Landschaft. Durch den historischen Stadtkern ziehen Touristen, in die psychiatrische Klinik des Ortes kommen Meth-Süchtige. Jeder zweite Suchtpatient ist von Methamphetamin abhängig, sagt die Chefärztin des Ökumenischen Hainich Klinikums, Katharina Schoett. 250 Menschen werden pro Jahr hier behandelt, und es werden mehr. Und hier trennt sich die Realität von der Fernsehwelt: Die meisten sind keine zahnlosen, verlorenen Randexistenzen. Sie kommen aus dem, was gemeinhin als die Mitte der Gesellschaft gilt. Sie nehmen die Droge nicht, um ihrem Umfeld zu entfliehen, sondern weil sie genau in dieser Mitte durchhalten wollen.

Crystal als Ego-Shooter

Es sind Menschen, die mehr arbeiten wollen, als ihr Körper ihnen zugesteht: der Arbeiter, der auf dem Bau - häufig auch schwarz - bis zum Umfallen schuftet, nur dass er eben zunächst nicht umfällt, weil Methamphetamin Müdigkeit, Hunger und Schmerzen unterdrückt. Die alleinerziehende Mutter, die mit Crystal Schlafmangel, Stress und Sorgen wegzudrücken versucht. Die junge Frau, die um jeden Preis schlank sein will, denn als Nebenwirkung von gedämpften Hungergefühl und gesteigertem Bewegungsdrang verlieren Crystal-User Gewicht.

Geschluckt, geschnupft, geraucht und gelegentlich gespritzt wird die Droge auch von Partygängern. "Sie suchen allerdings weniger das Gefühl von Verbundenheit, Liebe und Spiritualität, das beispielsweise die Konsumenten von Ecstasy erleben", sagt Härtel-Petri. Meth-User wollen durch die Droge vorrangig fit zum Feiern werden, mehr Alkohol vertragen, Kontakte ohne jeden Selbstzweifel anbahnen, vermeintlich besseren Sex abliefern. Crystal ist der "Ego-Shooter schlechthin", sagt der Psychiater. Mehr leisten, besser drauf sein - das bedeutet Meth. Wer mit seinen Konsumenten täglich zu tun hat, sagt "Crystal ist die Droge unserer Zeit".

Weitere Bundesländer melden Meth-Funde

Und so schwelt unter Experten eine Furcht: Braut sich da ein großes Problem zusammen? Wird die Droge zum gesamtdeutschen Phänomen? Gegenwärtig ist Crystal in Sachsen, Thüringen und Nordbayern verbreitet, den Regionen entlang der Grenze zu Tschechien. Dort wird das Rauschgift seit Jahren billig produziert. Dealer gelangen in der Regel unbehelligt über die Grenze, wo sie schon nach wenigen Kilometern so viele Abnehmer finden, dass sie sich gar nicht die Mühe machen müssen, die Chemikalie weit durch Deutschland zu schaffen, vermutet Katharina Schoett.

Doch mittlerweile gibt es bereits in Sachsen-Anhalt Crystal-Konsumenten, in Südbrandenburg berichtet die Polizei von zunehmenden Meth-Funden. Härtel-Petri und Kollegen werden von Suchtmedizinern aus dem gesamten Land um Rat gefragt. Die Droge scheint zudem nicht mehr nur aus Tschechien zu kommen, auch am Hamburger Hafen wurde sie schon entdeckt.

Der jüngste Drogenbericht der Bundesregierung vermeldet Steigerungen: 50 Prozent mehr auffällige Erstkonsumenten im Jahr 2012 verglichen mit dem Vorjahr, fast doppelt so viele Beschlagnahmungen. Mehr Meth listen auch europäische und weltweite Drogenstatistiken auf. Doch natürlich sind all dies nur Indizien für die Verbreitung der Droge in Deutschland. Eine systematische Erhebung wurde erst in diesem Jahr begonnen. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Suchtforschung gibt es in der Region traditionell kaum

So lange widmen Suchthilfe-Einrichtungen außerhalb der betroffenen Regionen der Droge wenig Aufmerksamkeit. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen betonte in ihrem jüngsten Bericht, dass es immer mal wieder lokale Phänomene in der Drogenlandschaft gebe, die sich nie zum flächendeckenden Problem auswüchsen. Die Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans lehnte Präventionsprogramme ab, um kein größeres Problem "herbeizurufen". Für die betroffenen Regionen heißt das, sie sind auf sich allein gestellt.

Das ist umso pikanter, als die Hotspots der Szene eben nicht altbekannte Ecken wie ein Bahnhof Zoo sind, sondern Orte wie Aue im sächsischen Westerzgebirge, wo die Polizei Crystal schon 1998 erstmals entdeckte. Suchtforschung, Erfahrungen mit Konsumenten harter Drogen, Strukturen für die Prävention - all das existiert in vielen der Regionen nicht.

Die Sozialarbeiter, Psychologen und Ärzte, bei denen die Abhängigen Hilfe suchen, versuchen von internationalen Erfahrungen zu lernen und behelfen sich mit allgemeinen Leitsätzen der Drogenhilfe. Doch nicht immer funktioniert das reibungslos. "Crystal passt schlecht in das deutsche Suchthilfesystem", sagt Andreas Rothe. Er leitet in Chemnitz eine Jugend-Drogenberatungsstelle, die in der Region als Instanz in Sachen Crystal gilt.

"Crystal passt schlecht in das deutsche Suchthilfesystem"

Viele, die die Einrichtung der Stadtmission aufsuchen, brauchen sofort Hilfe. Schlagen die Berater einen Termin in mehreren Wochen vor, werden sie wahrscheinlich nicht wiederkommen. Crystal beeinträchtigt das Zeitgefühl. Wie extrem sich dies auswirken kann, zeigte ein Fall, der im Sommer bei einer Konferenz in München vorgestellt wurde. Eine Crystal-Userin war überzeugt, ihre letzte Menstruation sei erst zwei Wochen her; tatsächlich war sie in der 20. Woche schwanger.

Um die derart aus der Zeit Gefallenen nicht alleinzulassen, bieten ihnen die Chemnitzer Berater häufige Kurzkontakte an. Das flexible System kostet Kraft, zumal das Klientel, nach Einschätzung aller die mit ihm zu tun haben, anstrengend ist. Crystal-Konsumenten haben oft nächtelang nicht geschlafen. Sie treten gereizt und enthemmt auf. Um die inneren Grenzen gegen die geballten Aggressionen aufrechterhalten zu können, bräuchten die Berater mehr Erholungspausen. Das aber gibt das Hilfesystem nicht her. "Wir sind an unserer Belastungsgrenze angelangt", sagt Rothe.

Auch die Kliniken sind herausgefordert. Die Menschen, die mit Crystal glatter durch den Alltag kommen wollten, straucheln am Ende selbst bei einfachen Aufgaben. "Wenn wir den Patienten drei Zettel mit den nächsten Untersuchungsterminen in die Hand drücken, sind einige schon überfordert", so Schoett. Klassische Therapiesitzungen von 50 Minuten Länge stehen viele der unruhigen und konzentrationsschwachen Patienten nicht durch.

In der Suchthilfe gelten Freiwilligkeit und Einsicht als Voraussetzung der Behandlung. Doch was ist, wenn eine Droge genau diese Einsicht verhindert? Crystal schränkt das Problembewusstsein ein. "Patienten schlafen sich in der Klinik ordentlich aus und glauben dann, dass sie keine weitere Behandlung brauchen", erlebt die Medizinerin Schoett immer wieder. Doch die Patienten können weiterhin hoch aggressiv sein. Mit dem Entzug drohen schwere Depressionen, mitunter Suizidversuche. Hinzu kommt die Gefahr von psychotischem Erleben, fast ein Fünftel der Meth-Konsumenten erleben Studien aus Australien und Kanada zufolge psychotische Symptome wie Halluzinationen oder Verfolgungswahn. Bis zu welchem Grad kann man unter diesen Umständen Therapieabbrüche bedenkenlos hinnehmen?

Mehr Aufmerksamkeit benötigen die Patienten auch in der Nachsorge, hat Drogenberater Rothe beobachtet. Bis ehemalige Konsumenten wieder funktionieren, können bis zu drei Jahre vergehen. Dem widersprechen die Förderrichtlinien der Deutschen Rentenversicherung, die 20 bis maximal 40 Stunden vorsehen. Eine Lösung? Nicht in Sicht. Wie das alles weitergeht, sollte sich die Droge weiter in das Land hineinfressen? Auch hierauf gibt es keine Antwort. Suchtberater Rothe sagt am Ende nur den Satz: "Wir versuchen hier einfach nur von Tag zu Tag durchzukommen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: