Aids:HIV-Diagnose im Wohnzimmer

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Die Bundesregierung erwägt, HIV-Tests für den Hausgebrauch zuzulassen. Aids-Experten begrüßen den Schritt und verweisen auf die positiven Erfahrungen anderer Länder.

Von Berit Uhlmann

"Praktisch und diskret", "mit vielen möglichen Vorteilen für den Anwender" - die Beschreibung der Weltgesundheitsorganisation WHO klingt ein wenig so, als würde hier ein Kosmetikprodukt vorgestellt. Tatsächlich empfiehlt die Behörde mit diesen Worten neuerdings einen HIV-Test für den Hausgebrauch. In einigen Ländern, darunter sind die USA und Großbritannien, ist es bereits jetzt möglich, in der eigenen Wohnung zu erkunden, ob man sich mit dem Erreger der Immunschwächekrankheit angesteckt hat. Nun erwägt auch das Bundesgesundheitsministerium, solche Tests zuzulassen.

Deren Anwendung ist in der Tat recht einfach. Voraussetzung ist, dass die mögliche Infektion mindestens acht Wochen zurückliegt. Diese Zeit braucht der Organismus, um jene Antikörper zu bilden, auf die der Test reagiert. Ein wenig Speichel oder ein Tropfen Blut genügen für die Heimdiagnose, nach etwa 15 bis 30 Minuten kann das Ergebnis abgelesen werden. "Das funktioniert im Prinzip nicht viel anders als ein Schwangerschaftstest", sagt Hans Jäger, der in München eine Schwerpunktpraxis für HIV-Infizierte betreibt.

Ein wenig komplizierter ist dafür der Umgang mit dem Ergebnis. Ein negativer Befund bedeutet zwar Entwarnung. Ein positives Ergebnis dagegen heißt nicht zwangsläufig, dass sich der Anwender infiziert hat. Um eine endgültige Diagnose zu bekommen, muss er sich beim Arzt einem exakteren Test unterziehen.

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Und noch mehr Menschen dürften das Virus in sich tragen, ohne davon zu wissen. Dabei können Medikamente inzwischen verhindern, dass sie andere anstecken.

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Hinzu kommt die Frage, wie man mit dem Hinweis auf eine schwere Erkrankung umgeht, wenn man damit allein auf der heimischen Couch sitzt. Ist die Situation psychisch nicht zu belastend? Jäger begegnet in seiner Praxis immer wieder Patienten, die sich den Test im Ausland oder über das Internet besorgt haben. Er beobachtet bei ihnen, dass ein positives Ergebnis längst keine Panik mehr auslöst. Auch die deutsche Aids-Hilfe hat ihre früheren Bedenken revidiert. Sie verweist auf die Erfahrungen aus anderen Ländern: Berichte über psychische Krisen angesichts des Testergebnisses habe es dort nicht gegeben. Als Hilfsangebot könnten zudem die Telefonnummern seriöser Beratungsstellen auf die Testpackungen gedruckt werden.

Eine HIV-Infektion ist heute kein Todesurteil mehr. Mit modernen Medikamenten haben die Patienten eine annähernd normale Lebenserwartung. "Sie stecken auch niemanden mehr an, wenn sie die Medikamente regelmäßig nehmen", sagt Jäger. Doch um die rettenden Mittel zu erhalten, müssen die Patienten erst einmal wissen, dass sie infiziert sind. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts leben in Deutschland derzeit etwa 85 000 Männer und Frauen mit dem Virus; mehr als 12 000 von ihnen könnten keine Ahnung von der Infektion haben.

Doch selbst in den Arztpraxen werde viel zu selten getestet oder auch nur über HIV gesprochen, sagt Jäger. Und wenn schon der Arzt das Thema scheut, wird der Patient nicht unbedingt offensiv einen HIV-Test einfordern. Vor diesem Hintergrund hält der Mediziner den Heimtest für eine sinnvolle Ergänzung zu den bereits jetzt bestehenden Diagnosemöglichkeiten in Praxen und Gesundheitsämtern. Mehr noch, sagt Jäger: "Die Überlegungen des Ministeriums sind überfällig."

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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