Wie Ratingagenturen arbeiten:Daumen runter - Panik hoch

Wissen sie noch, was sie tun? Ratingagenturen wie Standard & Poor's sind in der Finanz- und Schuldenkrise unter enormen Druck geraten - weil ihr hartes Urteil schwachen Staaten weiter zusetzt. Wie sie arbeiten, wie sie sich absichern: Einblicke in eine rätselhafte Notenindustrie.

Jannis Brühl

Im Frankfurter Main Tower wird über das Schicksal entschieden. Zum einen jeden Samstag. Da zieht Lottofee Franziska Reichenbacher im 53. Stock des Wolkenkratzers im Frankfurter Bankviertel die Gewinnzahlen. Zum anderen 23 Stockwerke darunter, täglich. Da geht es um das Schicksal ganzer Länder - sagen zumindest viele Politiker. Hier sitzt die deutsche Vertretung von Standard & Poor's, einer der drei wichtigsten Ratingagenturen, die das Kreditrisiko von Unternehmen und Ländern bewerten.

EINWEIHUNG MAIN TOWER FRANKFURT

"Negativer Ausblick" sagen Ratingagenturen, wenn sie schätzen, dass der Kreditausfall eines Unternehmens oder Landes steigen wird. Von ihren Büros aus sehen die Analysten gut: Standard & Poor's sitzt hoch oben im Frankfurter Main Tower.

(Foto: DPA)

Dass ihnen Standard & Poor's (S&P), Moody's und Fitch ins Handwerk pfuschen, davon dürften die Politiker der westlichen Welt spätestens seit der Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit durch S&P in der Nacht auf Samstag überzeugt sein. Die big three, die drei großen Agenturen seien zu mächtig, ist der Vorwurf. Sie stuften überschuldete Länder wie Portugal oder Griechenland unnötigerweise auf Ramschnoten herunter und verschärften so die Krise, weil Investoren aus den Ländern flöhen. Die Kritik ist so laut wie die Forderung nach Veränderungen. Um die Macht der etablierten Agenturen zu brechen, soll die Unternehmensberatung Roland Berger eine europäische Agentur als Gegengewicht zu den US-Unternehmen aufbauen.

Die drei Großen wehren sich. Ihre Ratings seien keine Kauf- oder Verkaufsempfehlungen für Wertpapiere, sondern Meinungen. Was sie auf den Kapitalmärkten auslösen, liege nicht in der Hand der Agenturen. Das ist freilich ein bisschen geheuchelt - schließlich haben viele Anlegerfonds Sicherheitsregeln, nach denen nur in Wertpapiere bis zu einer bestimmten Bonitätsstufe investiert werden darf. Wenn die Agenturen Staatsanleihen tiefer herabstufen, muss der Fonds sie umgehend abstoßen. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich zu einem solchen Automatismus verpflichtet - den sie in der Krise allerdings immer weiter aufweicht. Eine Neubewertung kann also Verkäufe auf der ganzen Welt auslösen.

Im Prinzip dient die Logik der Agenturen dem Schutz der Anleger. Kritikwürdig wird sie erst, wenn Zweifel an ihrem Zustandekommen entstehen - was die Frage aufwirft: Wie entscheiden die Rating-Experten? Wie arbeiten die Agenturen, und wie verlässlich ist ihr Urteil?

sueddeutsche.de gibt einen Überblick: am Beispiel von S&P, der größten der big three.

Keiner weiß, was ein Rating genau kostet

2,9 Milliarden Dollar Umsatz machte die Agentur 2010. "Transparenz" ist eines der häufigsten Wörter in ihren Broschüren. Doch die Offenheit hat Grenzen. In der Pressestelle ist man zwar auskunftsfreudig. Aber auf Anfrage von sueddeutsche.de, ob man im deutschen Büro im Main Tower vorbeikommen könne, ist die Antwort eindeutig: Das gehe nun wirklich nicht.

Geheimniskrämerei gehört zum Geschäftsmodell. Neben öffentlichen Daten und der täglichen Zeitungslektüre erhalten die Agenturen oft privilegierten Zugang zu Daten von Unternehmen und Regierungen. Torsten Hinrichs, Geschäftsführer von S&P in Deutschland, sagt sueddeutsche.de: "Die Ratingkunden sind verpflichtet, unseren Analysten Zugang zu Informationen zu gewähren. Im Normalfall beinhaltet dies auch nicht öffentliche Informationen." Die Agentur regelt deshalb in Insiderrichtlinien, in welche Papiere die Analysten investieren dürfen - die Gefahr des Handels mit den vertraulichen Informationen ist groß.

Geheimnisvoll ist auch, was ein Rating eigentlich kostet. Hinrichs nennt keine genaue Zahl, nur eine Größenordnung: 50.000 Euro aufwärts bei der ersten Bewertung, die Jahresgebühr für die folgende Überwachung liegt bei mindestens 40.000 Euro. Der unabhängige Rating-Analyst Oliver Everling schätzt, Bewertungen könnten auch mal mehrere Millionen Euro kosten. Das Rating mancher Staaten sei entscheidend für Unternehmen, die dort ihren Sitz haben - weil es gleichzeitig als Obergrenze für ihre eigene Bewertung diene. Deshalb zahlen reiche Staaten wie Deutschland laut Everling nichts für ihre Bewertungen. Aber "insbesondere die ärmsten Länder werden von den US-Agenturen mit stattlichen Beträgen zur Kasse gebeten, weil für diese Staaten ihr Rating von existentieller Bedeutung ist".

Firewalls gegen Interessenskonflikte

Zwar kann auch ein Investor ein Papier bewerten lassen - im Normalfall zahlen Unternehmen oder Regierungen aber selbst für ihre Bewertung. Mit diesen sogenannten Emittenten schließt die Agentur einen unbefristeten Vertrag. Der Emittent zahlt jährlich eine Pauschale, dafür steht er unter Beobachtung. Die Analysten können dadurch seine Bonität überprüfen, wann immer sie es für nötig halten.

Zynisch könnte man sagen: Griechenland hat in diesem Jahr mehr als 40.000 Euro bezahlt, um sich auf den Ramschstatus CC herunterstufen zu lassen. Das entkräftet ein bisschen den häufigen Vorwurf, die Agenturen könnten mit dem einem Interessenkonflikt nicht umgehen - dass nämlich der Emittent, dessen Anleihen bewertet werden, sich ein positives Urteil erkaufen könne. Griechenlands Vertrag mit S&P läuft nach Angaben der Agentur seit 2004. Trotz sieben Abwertungen in Folge habe die Regierung ihn nicht gekündigt.

Interessenkonflikte vermeidet S&P laut eigenen Angaben durch "Firewalls", also interne Regeln. Analysten, die Daten von Emittenten bewerten, dürften zum Beispiel nicht mit jenen Kollegen über ihre Arbeit reden, die mit dem Emittenten über die Gebühren verhandeln. "Trennung von Analyse und Geschäft" heißt das. Verschiedene Zugangsberechtigungen sollen verhindern, dass Mitarbeiter in Räume gelangen, in denen sie Dinge sehen könnten, die nicht für sie bestimmt sind.

Schulnoten für Schuldensünder

Ausgebildet und zertifiziert werden die Kreditanalysten bei S&P selbst. Wenn sie zuvor für Banken oder Versicherer gearbeitet haben, dürfen sie bei der Bewertung ihres ehemaligen Unternehmens nicht mitmachen. Der Ratingprozess selbst erfolgt in zwei Stufen: Erst erstellen zwei Experten das Rating, dann wird in einem Komitee darüber abgestimmt.

Die Angestellten von S&P sind in drei Gruppen unterteilt: Sogenannte Qualitätsoffiziere wachen darüber, dass die zwei Kreditanalysten sich in der Bewertung an Vorgaben halten, die von einer dritten Gruppe ausgearbeitet werden, den Kriterienoffizieren. So werde ein objektives Rating gewährleistet, behauptet die Agentur. Das Urteil der Kreditanalysten setzt sich aus fünf Faktoren zusammen. Sie vergeben Schulnoten von eins bis sechs - den Score - in diesen Kategorien:

[] Politischer Score: Wie stabil ist das Land? Ist die Regierung in der Krise? Wie vorhersehbar sind ihre Entscheidungen?

[] Ökonomischer Score: Wie sind die Wachstumsaussichten des Landes? Wie ist das Einkommensniveau? Und wie volatil respektive beständig ist die Wirtschaft?

[] Externer Score: Wie akzeptiert ist die Währung des Landes international? Wie begehrt ist das Land bei Investoren?

[] Fiskalischer Score: Wie viel finanziellen Spielraum hat die Regierung im Krisenfall? Wie viele und welche Schulden hat das Land? Welcher Teil der Staatseinnahmen geht wieder für Zinsen drauf? Hat der Staat vor allem Schulden im Ausland (was negativ wäre, wie im Falle Griechenlands) oder bei den heimischen Banken (was Analysten für weniger gefährlich halten, wie in Italien)?

[] Geldwirtschaftlicher Score: Wie effektiv kann die Zentralbank des Landes Zinsen als Instrument einsetzen, um wirtschaftliche Probleme zu kontrollieren - zum Beispiel die Inflation kontrollieren, indem sie das Geld verknappt? Für Euro-Länder übernimmt diese Funktion die europäische Zentralbank.

Andere Einflussfaktoren sind zum Beispiel Kriegsrisiken oder die Gefahr einer Naturkatastrophe. Darunter leidet zum Beispiel die Bonität der Karibikstaaten - S&P rechnet in ihr Rating die Hurrikangefahr mit ein - und der Golfstaaten. Haben die Analysten ihr Urteil erstellt, legen sie es dem Rating-Komitee vor. Dort fällt die endgültige Entscheidung. Die Mitglieder können die Beurteilung annehmen oder ändern. Im Komitee sitzen mindestens fünf Analysten; für ein eindeutiges Abstimmungsergebnis muss es eine ungerade Zahl sein. Bei S&P verweist man darauf, dass die stimmberechtigten Analysten nicht nur zertifiziert, sondern auch senior analysts mit einigen Jahren Erfahrung sein müssen.

"Frei von politischen Zwängen" - derzeit nicht

Und wie akkurat sind die Bewertungen nun? Nach der US-Hypothekenkrise haben Politiker und Anlegerschützer die Agenturen beschuldigt, ihre Bewertungen seien zu oft falsch gewesen. Tatsächlich vergaben sie die Bestnote AAA auch für Derivate aus toxischen Hypothekenkrediten. Aktuell erhebt die US-Regierung den Vorwurf, S&P habe sich bei der US-Schuldenprognose um zwei Billionen Dollar verrechnet und deshalb falsch geurteilt - was die Agentur zurückweist, aber nichts an der Kritik an ihr ändert.

Dass die Politik so hart auf die Abwertungen reagiert, stößt bei S&P und den anderen auf Verwunderung. Die Politik war es schließlich, die den Agenturen so viel Macht verliehen hat - in Deutschland in der Solvabilitätsverordnung. Diese regelt, wie viel Eigenkapital Banken je nach Qualität ihrer Investments halten müssen. Je mehr Ramsch, desto mehr Eigenkapital ist nötig, und umgekehrt. Die Bewertung der Investments übernehmen von der Bankenaufsicht BaFin anerkannte Ratingagenturen - in den meisten Fällen also S&P, Moody's und Fitch.

Die Ironie der Geschichte steckt in Paragraph 53, Absatz 2 der Verordnung über Ratingagenturen. Deren Arbeit, steht da, müsse "frei von äußeren politischen Einflüssen oder Zwängen sein". Davon kann derzeit keine Rede sein.

Linktipp: Den kompletten Bericht von Standard & Poor's zur Herabstufung der US-Bonität finden Sie hier.

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