In Deutschland formiert sich eine Allianz für den Aufbau einer neuen europäischen Ratingagentur. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat ein umfassendes Konzept für einen schlagkräftigen Konkurrenten der dominierenden amerikanischen Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch entwickelt. Gemeinsam mit der hessischen Landesregierung, der Deutschen Börse und der Finanzplatz-Initiative Frankfurt wirbt Berger bei europäischen Regulierern, Regierungen und Aufsichtsbehörden sowie in der Finanzbranche für das Projekt. Die Bundesregierung unterstützt die Pläne.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich vor kurzem für eine europäische Alternative zu den US-dominierten Ratingagenturen stark gemacht. "Europa sollte dafür das Selbstbewusstsein haben", sagte Merkel. Die Initiative für eine europäische Ratingagentur solle aber aus der Wirtschaft kommen. Jetzt heißt es in Regierungskreisen, die Bundesregierung unterstütze den von Roland Berger und dem Finanzplatz Frankfurt initiierten Vorstoß.
Ratingagenturen stehen vor allem in Europa massiv in der Kritik. S&P, Moody's und Fitch kontrollieren zu 95 Prozent den Markt. Obwohl es sich hier um Privatfirmen ohne demokratische Legitimation handelt, haben ihre Noten großen Einfluss: Geschäftsbanken, Notenbanken, Aufsichtsbehörden und Investoren richten sich nach den berüchtigten Buchstabencodes. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben. Investmentfonds müssen beispielsweise Staatsanleihen verkaufen, wenn die Notengeber diese Wertpapiere als Ramsch einstufen.
Ratingagenturen sind die einzigen Leitplanken weltweit, die es erlauben, die Bonität von Investments international zu vergleichen. Allerdings beeinflusst die Veränderung der Ratingnoten selbst die wirtschaftliche Situation eines Landes: Sobald Griechenland aufgrund seiner schlechten finanziellen Lage kein Geld mehr an den Kapitalmärkten bekam, senkten die Ratingagenturen den Daumen noch weiter. Danach bekam Griechenland erst recht kein Kapital mehr - trotz der 110MilliardenEuro an Krediten, die vom IWF und der EU versprochen wurden. Die Agenturen verschärften die Krise, und dieser Umstand sorgt seit Monaten für Ärger.
Die Initiatoren einer neuen europäischen Ratingagentur wollen nun eine grundlegende Reform der bisherigen Rating-Praxis. "Wir müssen den Markt für Ratingagenturen grundlegend verändern, wenn wir die Risiken für das Finanzsystem in den Griff bekommen wollen", sagte Markus Krall, Senior Partner bei Roland Berger der Süddeutschen Zeitung.
Das Grundproblem sei, dass "wir im Moment nicht genügend Wettbewerb auf dem Markt haben und die Interessenkonflikte im bestehenden Ratingsystem zu groß sind." Ratingagenturen werden von den Unternehmen und Banken bezahlt, die sie bewerten. Das brachte ihnen den Vorwurf ein, nicht unabhängig zu urteilen. Zudem haben sie in der Vergangenheit die bewerteten Unternehmen auch beraten, mit dem Argument, dass die Kunden so erfahren, wie sie ihre Bonitätsbewertung verbessern können.
Die Kritik an Ratingagenturen geht zurück bis ins Jahr 2002, damals platzte die Internetblase, was die Notengeber nicht rechtzeitig erkannt haben. In der Finanzkrise 2008 verschärfte sich das Problem zusehends. Die Ratingagenturen räumen mittlerweile selbst ein, dass sie bei der Bewertung amerikanischer Immobilienrisiken zum Teil völlig danebenlagen.
Private Stiftung
An diesen Mängeln wollen die Initiatoren einer neuen europäischen Ratingagentur ansetzen. "Ein Hauptproblem liegt darin, dass bislang die bewerteten Unternehmen und die Banken selbst die Ratings bezahlen. Wir wollen stattdessen die Investoren bezahlen lassen, die diese Ratings auch nutzen", sagte Krall. "Um die Schwächen bestehender Ratingagenturen abzustellen, ist mehr Transparenz notwendig - mit Blick auf die Daten, die in den Ratingprozess einfließen, auf die Modelle, das Ratingverfahren und die Organisation der Agenturen."
Die europäische Ratingagentur soll als private Stiftung organisiert sein, die vor allem von Investoren und Börsen getragen wird. Diese Gruppen liefen am wenigsten Gefahr, sich als Betreiber einer Ratingagentur in Interessenkonflikte zu begeben. Nach der Finanzkrise von 2008 hatte es Forderungen aus der Politik gegeben, eine staatliche Ratingagentur zu bilden. Allerdings sind die Staaten zugleich die größten Emittenten von Anleihen, die von Ratingagenturen bewertet werden. Deshalb droht ein Interessenkonflikt, wenn beispielsweise eine von der Bundesregierung oder auch von der Europäischen Zentralbank betriebene Ratingagentur über die Werthaltigkeit von Staatsanleihen zu entscheiden hätte.
Der FDP-Finanzexperte Florian Toncar sagte der SZ, er unterstütze die Initiative. "Es ist höchste Zeit, dass die Pläne für eine europäische Ratingagentur konkret werden." Wichtig sei jedoch auch, dass sich Investoren und staatliche Einrichtungen wie die EZB unabhängiger von den Ratings machten. "Wir sprechen mit allen Beteiligten: Regierungen, Aufsichtsbehörden und Investoren. Das Feedback ist meist sehr positiv", sagt Berger-Partner Krall.
Die Zeit scheint reif, denn auch die neue europäische Wertpapieraufsicht ESMA nimmt eine harte Haltung gegenüber US-Ratingagenturen ein. Ihre Zulassung in den USA bedeute nicht, dass sie künftig auch in Europa automatisch weiterarbeiten könnten, sagte ESMA-Chef Steven Maijoor der Financial Times Deutschland am Freitag. Den Amerikanern droht hier das geschäftliche Ende.
Die Angegriffenen spüren den Gegenwind und reagieren. "Die Ratingagenturen sollen bei der Regulierung der Banken weniger Gewicht erhalten. Wir wollten gar keine so große Rolle spielen", sagte der Deutschland-Geschäftsführer der Ratingagentur Fitch, Jens Schmidt-Bürgel, kürzlich in einem SZ-Interview.
Bisher sind zahlreiche Versuche gescheitert, ein europäisches Gegengewicht zu den drei großen US-Agenturen zu etablieren. Einzelne Finanzunternehmen erklärten am Freitag jedoch ihr grundsätzliches Interesse an einer europäischen Agentur.
Laut Berger-Partner Krall könnte der Aufbau der Agentur in sechs bis zwölf Monaten beginnen, "wenn wir die notwendige politische und regulatorische Unterstützung bekommen." Weitere zwei bis drei Jahre dürfte es dann dauern, bis die Agentur voll am Markt etabliert ist. "Es geht nicht um Europa gegen Amerika, sondern darum, mehr Wettbewerb und mehr Transparenz im Ratingbereich zu schaffen", betonte Krall.